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06.05.2022

Kinderspiele und Produktionslandschaften

15 Orte der Kunstbiennale Venedig


In Venedig verliert man schnell den Überblick, darum hier unsere 15 Lieblingspavillons und Ausstellungen – und ein paar weitere sehenswerte Tipps in der Bildergalerie.

Von Stephan Becker


Es ist nicht die schönste Präsentation, aber sie klingt am besten: Im Rahmen von „Feeling Her Way“ versammelt Sonia Boyce im Britischen Pavillon fünf bekannte Sängerinnen zur Improvisation. Neben der gelungenen Mehrkanalinstallation gibt es auch viel historisches Material. Boyce reflektiert damit auch ihr eigenes Leben. Weil es in der Kunst so wenige schwarze Vorbilder gab, suchte sie sich ihre Heldinnen eben in der Musik. Von der Jury wurde der Pavillon mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.

Im benachbarten französischen Pavillon ist Boyce übrigens selbst zu sehen. Im Rahmen des dortigen Beitrags „Dreams have no Titles“ von Zineb Sedira gibt sie ein Interview. In den Räumen lässt Sedira ein Filmset entstehen, das mit Performances live bespielt wird. Es geht um radikale Filmproduktionen der 1960er und 70er. Diese entstanden damals als Co-Produktionen unter anderem zwischen Italien und Algerien – dem Land ihrer Eltern. Sedira erhielt hierfür von der Jury eine besondere Erwähnung.

Fünfzehn weitere Pavillons und Ausstellungen, die uns aufgefallen sind:

Giardini + Arsenale

  • Österreich: Einen der besten Beiträge der diesjährigen Biennale präsentieren Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl. Ihre Soft Machine changiert zwischen zeitgenössischen Körperdiskursen und zahlreichen Architekturbezügen. Medial reicht das von Mode und Magazin über Malerei und Skulptur bis hin zu raumgreifender Installation – alles perfekt ineinander verschränkt.

  • Spanien: Nur eine kleine Korrektur verspricht Ignasi Aballí im Spanischen Pavillon. Ihm ist nämlich aufgefallen, dass das Gebäude im Vergleich zu den Nachbarn um ein paar Grad aus der Reihe tanzt. Mit massiven Raumscheiben greift er ein, so dass sich Realität und Ideal in den leeren Räumen überlagern.

  • Belgien: Gar nicht leer ist hingegen der Belgische Pavillon, wo der Fotograf Francis Alÿs unter dem Titel „The Nature of the Game“ seine gefilmten Kinderspiele ausstellt. Man sieht, egal auf welchem Kontinent, Kinder lassen sich schon etwas einfallen. Der Trubel auf den Screens korrespondiert dabei mit dem Trubel im Raum. Die Filme sind übrigens auch im Netz zu sehen.

  • Estland: Erstmals in den Giardini sind die Esten vertreten – und zwar im Niederländischen Pavillon. Deren Projekt – siehe unten – wurde nämlich in die Stadt verlegt, weshalb Estland zur Untermiete einziehen konnte. Ausgehend von der Botanik-Malerin Emilie Saal liegt der Fokus auf dem Phänomen des sogenannten „Orchidelirium“ des 19. Jahrhunderts. Immer mehr Menschen investierten damals in ihre Orchideenleidenschaft – mit entsprechenden ökonomischen und ökologischen Folgen. Koloniale Geschichte überlagert sich mit zeitgenössischen künstlerischen Positionen zum Thema.

  • Finnland: Um die versteckte Macht von privaten Sicherheitsfirmen geht es im Finnischen Pavillon. Die Rauminstallation der Künstlerin Pilvi Takala lässt einen die Seiten wechseln. Takala selbst hat längere Zeit im Bereich Sicherheit gearbeitet, was ihre Installation mit dem Titel „Close Watch“ umso fundierter – und beängstigender – macht.

  • Australien: Nerdiger geht es kaum, aber irgendwie macht der australische Beitrag „Desastres“ auch Spaß. Während der gesamten Biennale wird Marco Fusinato vor einem riesigen Screen mit seiner E-Gitarre improvisieren – ein zweihunderttägiges Noise-Konzert mit disparaten Visuals.

  • Italien (Arsenale): Was soll der schäbige Verhau? Wo normalerweise der – leider oft nicht sehr gute – Italienische Pavillon zu finden ist, hat der römische Künstler Gian Maria Tosatti eine Produktionslandschaft errichtet, die schon im Außenraum ihren diskreten Auftakt hat. Über mehrere Hallen hinweg bietet „History of Night and Destiny of Comets” eine vielschichte Fortschrittskritik am Beispiel der italienischen Industrialisierung – inklusive ihrer Räume.

  • Ghana (Arsenale): Weit hinten im Arsenale sollte man außerdem den ghanaischen Beitrag „Black Star – The Museum as Freedom" nicht verpassen. Zu sehen sind unter anderem Malereien von Na Chainkua Reindorf in einer modularen Ausstellungsarchitektur von DK Osseo Asare. Reindorf entwirft eine weiblich geprägte Geheimgesellschaft und porträtiert ihre Mitglieder in grafischen Tableaus.


Stadt + Inseln

  • Niederlande: Mit „When the Body says Yes“ bringt Melanie Bonajo das Thema Körperarbeit in eine alte Kirche in Cannaregio – zumindest auf dem Screen. Berührung und Intimität als Mittel gegen Entfremdung und Einsamkeit, das geht weiter als viele Beiträge in der Hauptausstellung.

  • Surrealism and Magic: Unter dem Motto „Echanted Modernity“ widmet sich die Peggy Guggenheim Collection dem historischen Surrealismus. Das ist nicht zuletzt deshalb spektakulär, weil die Sammlerin selbst eine wichtige Protagonistin der Kunstströmung war.

  • An Archaeology of Silence: Im Kloster auf der Insel San Giorgio Maggiore sind Arbeiten des amerikanischen Malers Kehinde Wiley zu sehen, der kunstgeschichtliche Referenzen mit zeitgenössischen afroamerikanischen Ausdrucksformen und Lebenswelten verbindet.

  • Danh Vo, Isamu Noguchi, Park Seo-Bo: Im Palazzo der Fondazione Querini Stampalia treffen fotografische Installationen (Vo), Papierlampen (Noguchi) und Zeichnungen (Seo-Bo) auf historische Interieurs und die atemberaubenden Umbauten von Carlo Scarpa – ein Pflichtbesuch für Architekt*innen.

  • Penumbra: In einer alten Kirche samt angrenzendem Gebäude auf dem Areal des Krankenhauses zeigt die Fondazione In Between Art and Film acht Videoarbeiten, die sich sowohl konkret als auch metaphorisch mit der Grauzone zwischen Hell und Dunkel auseinandersetzen.

  • Human Brains: Ein Gegengift für alle, denen die Kunst derzeit zu esoterisch ist. Auf Grundlage der Neurowissenschaft versammelt die Fondazione Prada Ansätze und Ideen aus unterschiedlichen Disziplinen, um die Funktionsweise des menschlichen Gehirns besser zu verstehen.

  • Pranayama Typhoon: Die Britin Fiona Banner lässt im Videoloop an einem Strand zwei schlaffe Kampfflugzeuge miteinander ringen. Surrealistische Akzente treffen auf dringliche Themen der Gegenwart, und zwar mit einer Präsenz und Poesie, wie sie in Venedig derzeit nur selten zu finden sind.


Zum Thema:

Die Kunstbiennale in Venedig läuft noch bis zum 27. November 2022. Nicht alle der erwähnten Ausstellungen sind bis zum Ende zu sehen. Eine Klärung vorab wird empfohlen.

Weitere Beiträge im BauNetz: „Rückbau Schicht um Schicht“ zum Deutschen Pavillon und „Gediegene Sinnlichkeit“ über die Hauptausstellung.

www.labiennale.org


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Kommentare:
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Bester Pavillon: Großbritannien wurde in diesem Jahr als hervorragender Länderbeitrag ausgezeichnet.

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Künstlerin Sonia Boyce versammelt vier ihrer Vorbilder aus der Musik: Errollyn Wallen, Tanita Tikaram, Poppy Ajudha und Jacqui Dankworth.

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Biennale-Präsident Roberto Cicutto überreicht Boyce bei der Preisverleihung den Löwen.

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Nicht prämiert, aber dafür rundum gelungen: Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl präsentieren im Österreichischen Pavillon ihre „Invitation of the Soft Machine and Her Angry Body Parts“.

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