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03.08.2010

Sehnsucht (sechs): Martin Schroth

Die BauNetz-Kolumne vor der Biennale


Am 29. August 2010 öffnet die 12. Architekturbiennale in Venedig ihre Pforten. Das Thema des deutschen Beitrags lautet „Sehnsucht“, und wir nutzen die Gelegenheit, um jede Woche einen Autor über Sehnsucht und Architektur schreiben zu lassen – diese Woche berichtet Martin Schroth von der Sehnsucht auf der Suche nach Interaktivität:

Mit der Erinnerung an den legendären C64, dem informationstechnischen Medium der 80er, sind bei vielen in meiner Generation phantastische Erinnerungen verbunden. Diese erste Generation, die mit einem Personalcomputer aufwuchs, sammelte früh Erfahrungen mit einem damals neuen, digitalen Medium, was sich später als profunde und ausbaufähige Basis für den Umgang mit CNC-Maschinen oder dem Programmieren von parametrischen Systemen erwies.

Natürlich wirkt die Programmiersprache BASIC aus heutiger Sicht begrenzt. Aber die Meldung nach dem Einschalten, das Betriebssystem sei READY, und das blinkende weiße Quadrat auf blauem Hintergrund eröffnete uns eine verheißungsvolle, neue, interaktive Welt der Darstellung, Steuerung und Simulation. Dieser Welt gelang es, die Fantasie der „Generation C64“ zu beflügeln. Die Sehnsucht nach den Potenzialen der Zukunft war erwacht und befeuerte den Glauben an grundlegend neue Strukturen in der Benutzung unsere Umwelt.

Die Suche meiner Generation nach interaktiven Prozessen führt heute in der architektonischen Praxis zu Raumvorstellungen, die Materie und Zeit neu hinterfragen und nach wechselseitigen Verhaltensweisen suchen, in denen die Raumgrenzen befähigt werden, mit ihrem Kontext zu interagieren. Eine Sehnsucht nach vielschichtigen Variationen, die mit digitalen Methoden in Echtzeit test- und erfahrbar sind, und nach neuen Ordnungsprinzipien der Materie suchen. Der Übergang von räumlichen Grenzen durch interaktive Möglichkeiten der Verbindung, Vernetzung oder Vermittelung erzeugt wechselseitige Beziehungsverhältnisse, die ihr Ausmaß und die Ausdehnung der Raumgrenzen an den wechselnden Bedürfnisse ausrichten, anstatt diese zu begrenzen.

Ausgehend von der Metamorphose im Werk von D'Arcy Thompson sind heute mit Hilfe der digitalen Werkzeuge relationale und interaktive Konzepte, basierend auf  den Prinzipien der Natur, steuer- und programmierbar geworden. Neue strukturelle Materialien, innovative Verarbeitungsmethoden und eine präzise CNC-Fertigung schreiten unaufhörlich voran, und sie verwischen zusehends die Grenzen zwischen Raum, Mensch und Natur. Dynamisch, individualisierbar und interaktiv – und von einer technischen Schönheit wie das iPad. Dieses neueste Medium zeigt, dass die zweite digitale Revolution keine Periode der Verbesserung, sondern der Restriktion sein wird – neue Grenzen werden definiert und erweitert, um neue Atmosphären des dreidimensionalen Raumes erfahrbar zu schaffen.

Die Sehnsucht nach einer ganzheitlichen Integration und Steuerung komplexer Anforderungen werden durch neue digitale Werkzeuge erfüllt, die in Zukunft zu ungeahnten Transformationen von virtuellen zu physischen Formationen führen werden. Im Rahmen dieser digitalen Praxis werden Fragen nach dem Verhältnis von Raumgrenzen und deren Flexibilität neu verhandelt. Induziert durch diese Medien, welche interaktiv auf ihre jeweilige Umgebung eingehen können, ist der Traum der Architekten nach räumlicher Interaktivität nun zum Greifen nahe – und eine der Sehnsüchte der Generation C64 geht endlich ihrer Erfüllung entgegen.

Martin Schroth (*1975 in Schrozberg) ist Architekt. Vor der Gründung seines eigenen Büros architekturSTUDIO Martin Schroth hat er in den Büros Behnisch, Behnisch und Partner und Kauffmann, Theilig und Partner in Stuttgart gearbeitet. Seit Mai 2007 als Künstlerischer Mitarbeiter an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart im Lehrgebiet für Digitales Entwerfen von Tobias Wallisser tätig.


Zuvor haben in unserer „Kolumne der Sehnsucht“ bereits die
Generalkommissare des deutschen Pavillons über die Sehnsucht als kreative Antriebskraft geschrieben, Bart Lootsma hat von den 1980er-Jahren und seinem Tattoo erzählt, bevor Wolfgang Bachmann über den Sinn des modernen, feuilletonistischen Cross-Sellings nachdachte, Benedikt Hotze von der retrospektiven und der prospektiven Sehnsucht schrieb und Arno Lederer von der Sehnsucht, die ihn auf Bausitzungen überkommt, berichtete. Die Kolumne läuft voraussichtlich noch bis zur Eröffnung der Architekturbiennale.


Zum Thema:

Download der BAUNETZWOCHE#178 „Sehnsucht”


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