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08.07.2020

Eine Architekturschule brennt

Zur Krise der AA in London


Die 1978 geborene Eva Franch i Gilabert gilt als Shooting Star in der Architekturszene. Im März 2018 wurde sie zur jüngsten Direktorin der Architectural Association School of Architecture (AA) in London gekührt – nun droht ihr der Rauswurf. Ein offener Brief wirft dem Verfahren gegen Franch Sexismus und Diskriminierung vor. Demgegenüber attestieren Lehrtätige der Direktorin einen zweifelhaften Führungsstil. Die Causa Franch schlägt hohe Wellen und gewährt tiefe Einblicke in die Hochschulstrukturen der Gegenwart. Nicht zuletzt wirft sie Fragen auf, die sich auch bundesrepublikanische Universitäten gefallen lassen müssen.

Von Alexander Stumm

Die 1847 gegründete AA gilt als die älteste unabhängige Architekturschule in Großbritannien und zugleich als eine der weltweit einflussreichsten Institutionen im Architekturdiskurs, deren lange Liste an Alumini von John Ruskin bis Richard Rogers reicht. Wohl einzigartig ist der basisdemokratische Aufbau der Schule, der jedem ein gleiches Stimmrecht verleiht, egal ob Studierende, Lehrende oder Professor*in. Die Möglichkeit der Einbringung von Resolutionen ist ein interner Kontrollmechanismus, von dem hiesige Hochschulen nur träumen können. Ebendiesen bekommt Eva Franch, die von 2010–18 als Chefkuratorin das Programm des New Yorker non-profit Ausstellungsraums Storefront for Art and Architecture bereicherte und seit gut zwei Jahren die AA als Direktorin leitet, derzeit mit aller Härte zu spüren. Das jüngst von den Mitgliedern der AA gegen sie ausgesprochene Misstrauensvotum, das mit einer vergleichsweise hohen Wahlbeteiligung von 66 Prozent verabschiedet wurde, liegt jetzt beim Board der AA zur Entscheidung.

Als Reaktion auf das Misstrauensvotum lancierte eine lange Reihe renommierter Architekt*innen, Professor*innen, Kurator*innen und Wissenschaftler*innen am 30. Juni einen offenen Brief, der Eva Franch explizit die Solidarität ausspricht. Das Argument ist, das Franch allein aus dem Grund, dass sie eine junge Frau sei, systematisch diskriminiert würde. Weiterhin wird darauf plädiert, dass vor dem Hintergrund der Coronakrise und der damit einhergehenden massiven Umstellungen auf die digitale Lehre ein Wechsel an der Spitze die Probleme an der AA verschärfe. Es sei zudem zu befürchten, dass „die Pandemie für antidemokratische Zwecke“ ausgenutzt werde und Vorurteile verstärke. „Als Außenstehende, Kollegen, Freunde und Verbündete fordern wir den Rat freundlich und nachdrücklich auf, Eva Franch nicht von ihrem Posten zu entfernen.“

Die Geschichte bekommt durch die von Lehrtätigen der AA jüngst verfassten Replik ein deutlich differenzierteres Bild. So wird darauf verwiesen, dass die Unterzeichner*innen in die internen Vorgänge an der Schule keinen Einblick hätten. Der Vorwurf von Sexismus und Frauenfeindlichkeit sei abwegig, da die Mehrheit der Mobbingvorwürfe von weiblichen Mitarbeitern vorgebracht wurden. Auch sei es unangebracht, dass elitäre Vertreter mit zumeist hochdekorierten Posten den Studierenden vorwerfen, ihre – meist prekären – Arbeitsbedingungen gäben ihnen nicht das Recht zur Kritik. Der offene Brief „repräsentiert und verkörpert grundlegende Probleme, die eine größere Krise in der Architekturdisziplin als Ganzes definieren. Die gegenwärtige Krise der AA ist […] der Höhepunkt eines langen historischen Prozesses des neoliberalen Managements und der neoliberalen Ideologie innerhalb der Architekturakademie, der Wissenschaft im Allgemeinen und der gesamten Architekturdisziplin.“

Aus internen Kreisen kann man vernehmen, dass es zwischen Direktorin und Mittelbau schon länger brodelte. Ihre Ansprachen seien mitunter konfus, viele ihrer Versprechungen unhaltbar und auch ihre Vision für die Schule bis zuletzt unklar gewesen. Den von ihr nach zwei Jahren im Amt erwarteten strategischen Plan für die Ausrichtung der AA wollte sie in einer Hauruckaktion im Rahmen einer Konferenz mit den Lehrenden aus dem Boden stampfen. Ohne Franchs fachliche Kompetenzen in Frage zu stellen, fehle ihr das politische Fingerspitzengefühl, das eine solche Position erfordere, so ein/e beteiligte/r Lehrtätige/r. Dass Franch einer Mitarbeiterin in anderem Rahmen und vor großer Runde mental health problems vorwarf, brachte das Fass zum überlaufen und den Anstoß für das Misstrauensvotum.

Inzwischen denken auch die ersten Unterstützer von Franch um. So hat Douglas Spencer darum gebeten, seinen Namen in der Solidaritätsbekundung für Franch wieder zu entfernen, wie er auf seinem Twitter Account bekanntgab, andere Unterzeichner haben das gleiche veranlasst. Ein erstaunlicher Richtungswechsel zeichnet sich ab, in dem sich im Hochschulbetrieb zumeist marginalisierte Stimmen erfolgreich Gehör verschaffen. 

Der Solidaritätsbrief für Franch formuliert: „Wenn wir Schulleiter ablehnen, weil bestimmte Parteien mit ihren Entscheidungen unzufrieden sind, müssten alle Leiter aller Architekturschulen mit sofortiger Wirkung von ihren Ämtern zurücktreten.“ Die Studierendenreplik aber stellt klar, dass „bestimmte Parteien“ hier die demokratische Mehrheit der Studierenden und Lehrkräfte darstellt. So wirft der Streit um die Position Franch die relevante Frage auf, ob wir im 21. Jahrhundert nicht auch an unseren Universitäten mehr von den Strukturen der AA nötig haben, um festgefahrene Prozesse in Bewegung zu bringen.


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Schauplatz des Richtungsstreits: die Architectural Association School of Architecture in London.

Schauplatz des Richtungsstreits: die Architectural Association School of Architecture in London.

Stein des Anstoßes: Die Architektin und AA-Direktorin Eva Franch i Gilabert.

Stein des Anstoßes: Die Architektin und AA-Direktorin Eva Franch i Gilabert.


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