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09.07.2025
Buchtipp: Detektivische Psychoanalyse
The House of Dr Koolhaas
Sommerferien: Entspannen, Baden, Krimis lesen. Für alle, die der eigenen Profession während des Urlaubs nicht komplett entsagen wollen, hat Park Books just den ersten Band einer Serie veröffentlicht, die Spannung, Lesevergnügen und Architekturgeschichte miteinander verbindet. Gumshoe heißt die Reihe, in Anlehnung an die schallgedämmten Sohlen, mit denen sich verdeckte Ermittler*innen an die Fersen von Verdächtigen heften. Jede Ausgabe untersucht ein Gebäude, das zwar längst Aufnahme in den Kanon der Moderne gefunden hat, aber dennoch Rätsel aufgibt.
Den Auftakt macht die Villa dall’Ava (1984–1991) von OMA in Saint-Cloud, das erste Gebäude, das Rem Koolhaas im Pariser Umland realisieren konnte. Unter dem evokativen Titel „The House of Dr Koolhaas“ geht die französische Architekturkritikerin Françoise Fromonot diesem mysteriösen Wohnhaus auf den Grund. Es besteht aus zwei durch den langgezogenen Pool verbundenen, gegeneinander verschobenen Mini-Apartments mit darunterliegendem gläsernen Pavillon, der die Funktionsbereiche aufnimmt. Mit den umgebenden Wohnhäusern aus dem 19. Jahrhundert scheint es bis auf die Hanglage nichts gemein zu haben.
Ausgehend von seiner Repräsentation in der OMA-Bibel S, M, L, XL legt Fromonot das Haus (und mit diesem, wie wir erfahren, in gewisser Hinsicht Koolhaas selbst) auf die Analysebank. Was bedeutet es, dass der Urbanist, der kurz zuvor das Manifest „Delirious New York” vorgelegt hatte, eine Villa errichtet, bei der die Stadt vermeintlich zur illustren Kulisse für das zurückgezogene Leben der Bauherrschaft verkümmert? Und dass sich diese Auftragsarbeit für eine Psychologin, einen Architekturkritiker und deren Tochter als virtuoses Meisterwerk (aka als frankensteineske Collage eines bis dahin als solches geltenden) geriert?
Dass die Dechiffrierung dieses Gebäudes eine cineastisch geprägte Suchbewegung wird, liegt zum einen am Kontext der Buchserie selbst, die sich am Genre des Film Noir orientiert. Koolhaas wird zu einer Art Gentleman-Verbrecher stilisiert, einem Meisterdieb, der wie zum intellektuellen Kräftemessen mit seinen Verfolgern unzählige, unübersehbare und doch rätselhafte Spuren legt. Die augenscheinlichste ist wohl der Bezug zur Villa Savoye. Wie durch ein Prisma macht die Betrachtung des Hauses einzelne Aspekte der komplexen Beziehung des um eine Avantgarde nach der Moderne ringenden Koolhaas zu Le Corbusier sichtbar.
Zum anderen finden sich unter den vielen „Indizien“ aus Kunst, Architekturgeschichte und -theorie jede Menge Querverweise und Zitate aus verschiedenenen Filmen. So geht es von Antonioni, Disney und Duchamp bis hin zu Vriesendorp, Wiene und Wilder. Nicht zuletzt entstammt die in S, M, L, XL enthaltene Bildsequenz zur Villa selbst einem Film: „2042– The Villa dell’Ava by OMA“ von Claudi Cornaz ist ein fiktiver Testlauf für das bourgeoise Leben in der schützenden Villa 50 Jahre nach ihrer Fertigstellung, und entstand noch vor deren Erstbezug während des Fotoshootings, geleitet von Hans Werlemann und Chiel van der Stelt.
Und die in diesen Bildern auftauchende Giraffe? Eine Hommage an Dalís Surrealismus, an Koolhaas’ Vater, an den Eiffelturm? Ein Zitat der windschiefen Pilotis oder des Opus-incertum-Mauerwerks der Villa dall’Ava selbst? Alles ist vieldeutig in diesem Essay Fromonots. In der vorliegenden vierten, überarbeiteten Veröffentlichung kommt er nun als rasant erzähltes, Gedankenschleifen mit Vollgas nehmendes und mit Bildmaterial verdichtetes Paperback daher. Eine kurzweilige Lektüre, die eine ähnliche Vertigo erzeugt wie ein Besuch auf dem geländerfreien Dach der Villa in Saint-Cloud.
Text: Kathrin Schömer
The House of Dr Koolhaas
Françoise Fromonot
Thomas Weaver (Hg.)
Englisch
224 Seiten
Park Books, Zürich 2025
ISBN 978-3-03860-407-5
19 Euro
Zum Thema:
Keine Krimiserie ohne Cliffhanger: Der zweite Fall in der von Architekturkritiker Thomas Weaver herausgegebenen Gumshoe-Reihe dreht sich um Oscar Niemeyers Gebäude für das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Frankreichs.
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Hans Werlemann, Rem Koolhaas in der Villa dall’Ava, 1991

Peter Aaron, Swimmer, 1991

Christopher Wood, Zebra and Parachute, 1930

Buchcover
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