- Weitere Angebote:
- Filme BauNetz TV
- Produktsuche
- Videoreihe ARCHlab (Porträts)
22.10.2025
Buchtipp: Das große Ziel, ein kleines Haus
Schöner Wohnen und das Eigenheim im Wirtschaftswunder
Für seine Dissertation hat sich Architekt Jan Engelke mit dem Einfamilienhaus der bundesdeutschen Nachkriegszeit beschäftigt und dafür zahlreiche Ausgaben der Zeitschrift Schöner Wohnen gelesen. Beginnend mit dem ersten regulären Heft, das im Januar 1960 erschien, arbeitete er sich durch die 60er und 70er Jahre, sichtete Homestorys, Produktwerbung, Grundrisszeichnungen, Fachbegriffsregister und DIY-Anleitungen.
Das Ergebnis dieser wissenschaftlichen Zeitschriftenlektüre ist kürzlich unter dem Titel Das große Ziel: ein kleines Haus. Schöner Wohnen und das Eigenheim im Wirtschaftswunder erschienen. Engelkes Buch ist eine spannende und sehr gut zu lesende Studie zur Geschichte einer Wohnform, die ungebrochen populär und zugleich heftig umstritten ist. Denn das Einfamilienhaus bildet weiterhin den Wohntraum der Mehrheit – trotz Zersiedelung, Ressourcenknappheit und Klimakrise.
Über 300 Eigenheime wurden in den ersten fünfzehn Jahrgängen von Schöner Wohnen vorgestellt. Für die architekturhistorische Forschung sind diese vielen Porträts von großer Bedeutung, so Engelke. Sie geben Aufschluss über all jene Themen, die er in seiner Studie in fünf Kapiteln untersucht: mediale Repräsentation, politische Rahmenbedingungen, Konzepte der Planung, technische Entwicklungen und vergeschlechtlichte Rollenbilder. Jedes Kapitel beginnt Engelke – der in Zürich und Weimar studiert hat und derzeit an der TU München forscht – mit einer Abbildung und einer beschreibenden Passage. Ein Angebot zum Einstieg in die Lektüre und ein Blick auf die Welt der Wirtschaftswunderjahre. Rationelles Bauen war das Zauberwort der Zeit – schnell, günstig und standardisiert.
Wie sehr die Regierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) den Traum vom Einfamilienhaus als politisches Instrument konservativer Zielsetzungen verwendete, zeigt Engelke mittels Beiträgen wie dem im Februar 1960 veröffentlichten Besuch bei „Hausbesitzer Professor Ludwig Erhard“. Auf fünf Doppelseiten und anhand von dreißig Fotografien konnte sich der damalige Wirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler vor dem Hintergrund seines 1955 gebauten Ferienhauses nahe des Tegernsees in Szene setzen. Als guter Gastgeber, als beschäftigter Verantwortungsträger oder als Kenner der Baukunst, vertieft im Gespräch mit Architekt Sep Ruf.
Bescheidenheit zu vermitteln, war dabei ein wesentliches Ziel der Reportage über Ludwig Erhard. Engelke verweist auf die geschickte Perspektive der großen Farbfotografie, die das Layout bestimmt. Das für ein Wochenendhaus mit circa 180 Quadratmetern großzügig bemessene, zweigeschossige Gebäude wurde gezielt „kleinfotografiert“ und wirkt wie eine schlichte Laube im Grünen.
Die in Schöner Wohnen veröffentlichten Beiträge über vorbildhafte Einfamilienhäuser waren eingebettet in einen Strom aus Berichten über und Anzeigen für Haushaltsgeräte. Die allgegenwärtige Reklame für Staubsauger, Mixer, Kaffeemaschinen oder Dunstabzugshauben suggerierte, so Engelke, dass die angepriesenen Apparate die häusliche Arbeit geradezu von allein erledigen würden. Der Tenor war dabei stets der gleiche: weniger Mühen für die Hausfrau.
Heft für Heft unterstrich die Redaktion tradierte Familienmodelle und definierte den weiblichen Aufgabenbereich, ohne dass die stets in schicken Kleidern posierenden Frauenfiguren jemals bei der häuslichen Arbeit gezeigt wurden. Das wachsende Arsenal an Haushaltsgeräten und das auf heteronormative Rollenbilder festgelegte Gesellschaftsbild der 1950er und 60er Jahre bedingten einander. Das wirkte sich, wie Engelke anschaulich und an vielen Beispielen (etwa der Durchreiche) zeigen kann, auf Materialität und Größe der Bauten ebenso wie auf räumliche Entwurfsentscheidungen aus.
Es beindruckt, welch ergiebiges Text- und Bildmaterial Engelke auf 190 Seiten versammeln konnte. Seine Publikation überzeugt durch ein schnörkellos formuliertes Zusammenfügen soziologischer Analyse und architektonischer Bestandsaufnahme. Da passt alles zusammen.
Text: Fiona Trede
Das große Ziel: ein kleines Haus. Schöner Wohnen und das Eigenheim im Wirtschaftswunder
Jan Engelke
192 Seiten
Jovis Verlag, Berlin 2025
ISBN 978-3-98612-184-6
34 Euro
Kommentare:
Kommentare (3) lesen / Meldung kommentieren

Schöner Wohnen 02/1960: Reportage über das von Sep Ruf entworfene Ferienhaus von Ludwig Erhard in Gmund am Tegernsee

Schöner Wohnen 07/1962: Studioaufnahme einer Einbauküche mit den Utensilien häuslicher Arbeit

Bebauungspläne der nördlichen Erweiterung von Eggenstein bei Karlsruhe in den 1950er und 1960er Jahren

Cover eines der ersten Ausgaben von Schöner Wohnen, die um 1955 als Sonderausgabe der „Constanze“ erschien
Bildergalerie ansehen: 13 Bilder






