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28.04.2020

Denkmal der Emanzipationsgeschichte

Petition für Erhalt der Poelzig-Villa in Berlin


Im Berliner Westend steht eine Villa kurz vor dem Abriss. Sie ist das einzige Haus von Marlene Moeschke-Poelzig, der zweiten Ehefrau Hans Poelzigs – und darf als wichtiges Zeugnis der Emanzipationsgeschichte gelten. Später lebte und arbeitete hier Veit Harlan. Wegen diverser Umbauten steht das Haus nicht unter Denkmalschutz. Doch ein überkommenes Denkmalverständnis, das in erster Linie auf die Authentizität der materiellen Überlieferung blickt, greift hier nicht.

Von Luise Rellensmann

Architekturliebhaberinnen können sich oft nicht vorstellen, dass jemand ein Grundstück mit einem Haus eines namhaften Entwerfers kauft, um dieses abzureißen und danach neu zu planen und nachzuverdichten. Doch genau das geschieht gerade im Berliner Westend. Dort schreitet derzeit der Abriss der sogenannten Poelzig-Villa voran, die einem Neubau mit mehreren Wohnungen weichen soll. Eine kürzlich gestartete Petition fordert nun den Denkmalschutz für das 1930 fertiggestellte Atelier- und Wohnhaus. Sie schlägt eine Anerkennung des Hauses als Denkmal der Emanzipationsgeschichte vor, denn die Villa plante nicht Hans Poelzig, sondern seine zweite Frau: Gemeinsam mit ihrem Mann gründete Marlene Moeschke-Poelzig Anfang der 1920er-Jahre das Bauatelier Poelzig. Das Wohnhaus der Familie, in dem sie bis zu Poelzigs Tod 1936 mit den drei gemeinsamen Kindern lebte, ist das einzige architektonische Werk für das sie eigenständig verantwortlich zeichnet.

Doch die Plakette am Eingangstor verkündigt lediglich, dass hier „der große Architekt und Lehrer“ Hans Poelzig lebte. So drängt sich schnell die Frage auf: Stünde das Bauwerk unter Denkmalschutz, wenn er es selbst entworfen hätte? „Erinnerung ist immer auch ein politisches Statement. Ich glaube zwar nicht, dass der Denkmalschutz daran scheiterte, dass eine Frau den Entwurf fertigte. Aber in der Emanzipationsgeschichte von Architektinnen spielt der Bau fraglos eine zentrale Rolle. Diese Aktualität sollte der Denkmalschutz, könnte auch die Politik, die ja derzeit in dem Fall gefordert ist, als Chance begreifen,“ so Architekturhistoriker Matthias Schirren, der zusammen mit Wolfgang Pehnt eine Stellungnahme der Akademie der Künste verfasst hat, die in diesen Tagen an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller gehen soll.

Aus heutiger feministischer Sicht lässt sich das Haus in der Tannenbergallee 28 als ein frühes gebautes Beispiel für die Verbindung von Reproduktions- und Erwerbsarbeit lesen, denn „der Grundriss gibt interessante Hinweise für ihre Rolle als Architektin, Ehefrau und Mutter“, wie die Kunsthistorikerin Sibylle Ehringhaus 1992 in einem Aufsatz zu Moeschken-Poelzig formulierte. Der Kindertrakt ist gleichberechtigt zum Arbeitsbereich des Hauses angelegt. Zur Förderung ihrer Selbständigkeit sollten die Kinder viel Freiraum zum Spielen und Nähe zur Natur haben.

Eine bedeutende Rolle kam daher auch der Gartengestaltung zu, die als wichtiges Frühwerk von Karl Foerster, Hermann Mattern und Hertha Hammerbacher gilt. Wie für die Arbeitsgemeinschaft charakteristisch, bildete der Freiraum eine Symbiose mit dem Haus. Das lag hier vermutlich auch daran, dass die beiden Frauen Hammerbacher und Moeschke-Poelzig – die zu dem Zeitpunkt noch nicht als eigenständige Künstlerinnen wahrgenommen wurden – eng zusammenarbeiteten, vermutet Lars Hopstock, Junior-Professor für Landschaftsarchitektur in Kaiserslautern und Hermann Mattern-Experte. Heute ist davon bis auf wenige Reste der maroden Gartenmauern kaum etwas erhalten, bedauert Hopstock. Ursprüngliche Proportionen ließen sich zwar noch nachvollziehen, aber auch das charakteristische Planschbecken sei durch ein frei geformtes Zementbecken ausgetauscht worden.

Aus verschiedenen Quellen heißt es, das Landesdenkmalamt habe bereits in den 1990er-Jahren die Denkmalwürdigkeit geprüft, eine Unterschutzstellung aber aufgrund diverser Anpassungen und Veränderungen abgelehnt. So war unter anderem das Flachdach der Villa 1954 durch ein Walmdach ersetzt worden. Der Fall zeigt deutlich die Grenzen des amtlichen Denkmalschutzes. Sowohl Schirren als auch Hopstock sind sich einig, dass die Frage nach dem Originalzustand nicht der Anknüpfungspunkt des Denkmalschutzes sein sollte.

Die kulturelle Bedeutung des Hauses sehen sie in dessen Erinnerungswert und seiner Nutzungs- und Veränderungsgeschichte, dem Nebeneinander von ursprünglichen Elementen und Transformationen. Zu diesem Erbe gehören auch unbequeme Geschichten. 1936 erwarb der für „Jud Süß“ bekannte Regisseur Veit Harlan das Haus und ließ einen Kinosaal einbauen, in dem der NS-Propagandafilm privat uraufgeführt worden sein soll. Eine Verbindung, die laut Schirren „keine bloße historische Sackgasse“ sei und bis in die jüngere Vergangenheit reiche, denn „Harlans monomanes Filmschaffen war für die Meisterwerke Stanley Kubricks vorbildhaft“.

Die Petition zählt inzwischen fast 2.000 Unterzeichner*innen. Während manch ein Kommentar unter der Bittschrift vermuten lässt, die Unterzeichnenden hätten vor allem den Namen Poelzig gelesen, fügen anderen dem Atelier- und Wohnhaus als Erinnerungsort weitere Dimensionen hinzu. So schreibt die Unterzeichnerin Claudia Schneider-Esleben – Tochter von Architekt Paul Schneider-Esleben – ihre Großmutter, Mutter und Tante hätten 1936 Zuflucht bei der Familie Poelzig im Haus gefunden, nachdem ihr jüdischer Großvater in das Konzentrationslager Oranienburg verschleppt worden war.




Zum Thema:

Link zur Petition „Abrissstop für die Poelzig-Villa in Berlin-Westend von Marlene Moeschke-Poelzig“ auf change.org.


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Kommentare:
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Das Wohnhaus der Familie Poelzig, in dem diese in den Jahren 1930–36 lebte, ist das einzige architektonische Werk von Hans Poelzigs zweiter Frau Marlene Moeschke-Poelzig, für das sie eigenständig verantwortlich zeichnet.

Das Wohnhaus der Familie Poelzig, in dem diese in den Jahren 1930–36 lebte, ist das einzige architektonische Werk von Hans Poelzigs zweiter Frau Marlene Moeschke-Poelzig, für das sie eigenständig verantwortlich zeichnet.

Eine kürzlich gestartete Petition fordert den Denkmalschutz für das 1930 fertiggestellte Atelier- und Wohnhaus als Denkmal der Emanzipationsgeschichte.

Eine kürzlich gestartete Petition fordert den Denkmalschutz für das 1930 fertiggestellte Atelier- und Wohnhaus als Denkmal der Emanzipationsgeschichte.

Die bedeutende Gartengestaltung von Karl Foerster, Hermann Mattern und Hertha Hammerbacher bildete eine Symbiose mit dem Haus, ist aber leider nicht mehr erhalten.

Die bedeutende Gartengestaltung von Karl Foerster, Hermann Mattern und Hertha Hammerbacher bildete eine Symbiose mit dem Haus, ist aber leider nicht mehr erhalten.

Den Kindern wurde in Haus und Garten viel Freiraum eingeräumt, der ihre Selbständigkeit und die Nähe zur Natur fördern sollte. Dies dürfte vermutlich auf die enge Zusammenarbeit von Moeschke-Poelzig und Hammerbacher zurückgehen.

Den Kindern wurde in Haus und Garten viel Freiraum eingeräumt, der ihre Selbständigkeit und die Nähe zur Natur fördern sollte. Dies dürfte vermutlich auf die enge Zusammenarbeit von Moeschke-Poelzig und Hammerbacher zurückgehen.

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