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03.09.2020

Buchtipp: Diskurs-Nostalgie

OMA/Rem Koolhaas. A Critical Reader


Es fällt schwer, bei der Lektüre dieses Buches nicht nostalgisch zu werden für die letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und die Vielseitigkeit der Architekturkritik damals – Herausgeber Christophe van Gerrewey, Professor an der EPFL, räumt dies gleich in seiner Einleitung zu OMA/Rem Koolhaas: A Critical Reader ein. Nostalgie stellt sich aber auch angesichts der polemischen Meinungsstärke ein, die der Koolhaas jener Jahre in vielen Interviews versprühte. Mit scharfsinnigen Folgerungen sind seine Antworten ebenso gespickt wie mit druckreifen Aphorismen und gelegentlichen ebenso fiesen wie klugen Anmerkung zur Kollegenschaft – insbesondere die Strukturalisten bekommen ihr Fett weg. Hält man da den aktuellen Koolhaas der Fundamentals- und Countryside-Ausstellungen dagegen, wird deutlich, wie sehr er sich inzwischen eindeutiger Aussagen enthält. Es mag die Lebenserfahrung sein.

Der Reader versammelt neben rund 20 Koolhaas-Interviews circa 130 Zeitungsartikel, Briefe, Würdigungen, Projektkritiken, Jurybemerkungen und Essays über seine Bücher und Entwürfe. Den Auftakt macht die erste Veröffentlichung eines OMA-Projekts – Exodus, or the Voluntary Prisoners of Architecture – auf dem Cover der italienischen Zeitschrift Casabella. Das Spannungsverhältnis, das zwischen seinen Worten und jenen seiner Kritiker entsteht, ist einer der reizvollsten Aspekte des gelungenen Readers. Koolhaas’ Haltung irgendwo zwischen Arroganz, Selbstbewusstsein und Ungeduld wird jedenfalls ein wenig verständlicher angesichts der oft nicht besonders scharfsinnigen Texte, die selbst bekannte Kritiker*innen über die Projekte von OMA abgeliefert haben. In seiner Eloquenz, in seiner Fähigkeit zur Zuspitzung ist der ehemalige Publikumsjournalist Rem Koolhaas seinen Kollegen vom Fach jedenfalls oft weit überlegen. Das mag zur Verklärung von OMA wesentlich beigetragen haben. Es lässt aber auch erahnen, wie der „romantische Modernist“ Koolhaas in jenen Jahren immer wieder an der fehlenden intellektuellen Konsequenz des Diskurses gelitten haben dürfte.

Warum ein über 400 Seiten starkes Buch nur mit Texten über Koolhaas und OMA? Da wären zum einen die vielen Perlen, die es natürlich gibt und die sonst langsam, aber sicher in den Magazinen staubiger Bibliotheken in Vergessenheit geraten würden. Und da wäre zum anderen jene Qualität seines Werkes, die sich selbst in weniger gelungenen Texten über ihn transferiert: Architektur und Stadt werden in einer kulturellen Vielschichtigkeit diskutiert, wie es zuvor nur selten der Fall war. Der Vorteil am Text-Blumenstrauß ist dabei, dass man Koolhaas nicht ausschließlich bei seinem eigenen, oft zwar prägnanten, aber eben manchmal auch etwas selbstverliebten Wort nehmen muss. In den Kapiteln, die nach Gebäuden, Meilensteinen oder Epochen geordnet sind, kommt eine Vielzahl an Perspektiven zur Sprache. Und vieles überrascht im Rückblick, beispielsweise wie sehr  Koolhaas’ Ideen gerade in den 80er Jahren die Szene zu elektrisieren schienen. Kenntnisreiche Kapiteleinführungen von Gerrewey helfen bei der historischen Einordnung.

Einer der Beiträge – ein Jury-Gespräch unter anderem zwischen Paul Rudolph und Peter Eisenman – verdient besondere Erwähnung. Besprochen wird Anfang 1975 jener Haus-Entwurf, den der ihnen noch unbekannte Remment Koolhaas mit Laurinda Spear für Spears Eltern in Miami entwickelt hat und der später in überarbeiteter Form als Arquitectonicas Pink House berühmt werden würde. Es sei eine der wenigen Einreichungen – es ging um einen Wettbewerb der Zeitschrift Progressive Architecture –, die sich als utopischer Kommentar zum Suburb lesen lasse, sagt Eisenman. Und Rudolph erwidert, dass man sich von solchen Projekten zwar verführen lassen dürfe, dass man sie aber keinesfalls ernst nehmen kann. Der Entwurf sei nicht das Werk eines Architekten, ergänzt er noch, aber er – Koolhaas – möge vielleicht eines Tages noch einer werden. Und so kam es ja dann auch.

Text: Stephan Becker

OMA/Rem Koolhaas: A Critical Reader

Christophe van Gerrewey (Hg.)
464 Seiten
Englisch
Birkhäuser, Basel 2019
ISBN 978-3-0356-1977-5 (Paperback)
ISBN 978-3-0356-1974-4 (Hardcover)
Preis: 38,95/
77,95 Euro


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Rem Koolhaas mit Modellen für das neue Rathaus von Den Haag, 1986. Fotograf unbekannt, Foto via EPFL

Rem Koolhaas mit Modellen für das neue Rathaus von Den Haag, 1986. Fotograf unbekannt, Foto via EPFL

100 Magazin-Cover führen in den Reader ein.

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Gerade zu Beginn werden ausschließlich Zeichnungen gezeigt.

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