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26.09.2018

Buchtipp: Raumkonflikte in Israel

In Statu Quo. Structures of Negotiation


Anders als es der sperrige Titel vermuten lässt, ist „In Statu Quo. Structures of Negotiation“ trotz seines komplexen Themas freundlich und ausgesprochen zugänglich. Das von Michal Sahar gestaltete Buch liegt mit seinem weichen Leineneinband nicht nur auf Anhieb sehr angenehm in der Hand, es zieht seine Leser auch beim Aufblättern sofort in seinen Bann. Gleich zu Beginn gibt es fünf Doppelseiten, randlos mit schwarz-weißen Luftaufnahmen gefüllt. Sie zeigen uns die fünf Orte aus der Vogelperspektive, die auf den folgenden 300 Seiten ausführlich vorgestellt werden. Das ist erst einmal ein schneller Vorüberflug und eine gute Übersicht, worum es geht: der Tempelberg, die Klagemauer und die Grabeskirche in Jerusalem, die mythische Grabstätte von Rahel bei Betlehem sowie die Patriarchengräber bzw. Abrahamsmoschee in Hebron.

Nicht ganz unwahrscheinlich, dass diese Luftaufnahmen absichtlich an die Ästhetik erinnern, die wir heutzutage vor allem aus der Drohnenperspektive kennen. Es sind fünf Stätten von immenser religiöser Bedeutung für unterschiedliche Religionen – und entsprechend schwer umkämpfte Konflikträume. Darum geht es „In Statu Quo“: um die Sichtbarmachung der Konfliktlinien und ihre historischen Ursprünge. Und es geht um die absolut politische Rolle, die Architektur bei der Gestaltung, Aufteilung und Absicherung dieser Räume spielt.

Jedes der fünf Kapitel ist ausgesprochen umfassend. In Essays und an Hand von Archivmaterialien, Zeichnungen, Plänen und Fotos wird die Chronologie der Ereignisse nachvollziehbar gemacht. Ein besonderes Gewicht wird den Umgestaltungen gegeben, mit denen Politik und Religion immer neue räumliche Trenn- oder Verbindungslinien in diese Räume geschrieben haben. So ist zum Beispiel der große Platz vor der Klagemauer eine Folge des Sechstagekrieges von 1967, als die israelische Armee die Altstadt eroberte und mit dem Abriss der dichten Altstadt an dieser Stelle sehr schnell Tatsachen schuf. Noch vor Ende des Krieges waren die Häuser hier abgerissen, die Dimensionen des neuen Platzes, der die „Nation fassen“ sollte, hatte der Architekt Arieh Sharon rasch gezeichnet. Der nächste Plan, in dem Mosche Safdie in den 1970er-Jahren den Platz mit großen Terrassen voller Läden, Restaurants, Zufahrten, Treppen und Sitzstufen freundlicher gestalten wollte, war den Orthodoxen zu viel. Bis heute wird über dieses Vorhaben diskutiert.

Die Komplexität der aktuellen Konfliktlinien aus ihrer tiefreligiösen Geschichte zu erklären, sie sichtbar und verständlich zu machen, ist das große Verdienst dieses Buchs. Ob das die Geschichte jenes großen Platzes ist oder die komplexe Choreographie, nach der sich sechs christliche Konfessionen die Räume von Jesus’ Grabeskirche in Jerusalem räumlich und zeitlich aufteilen, oder das inzwischen von Israels Grenzmauer vollständig umschlossene, mystische Grab von Rahel. Dieses lag einst offen in der biblischen Landschaft, für jeden sichtbar und zugänglich – heute ist es von acht Meter hohen Betonplatten eng umstellt, von einem Wachturm überragt und nur durch einen ausgesprochen abschreckenden, schmalen Zugang (einschließlich exklusivem Parkplatz) zu erreichen.
 
Drei Dinge gelingen „In Statu Quo“ herausragend: Die komplexen Geschichten werden nachvollziehbar und übersichtlich erzählt. Dabei glückt dem Buch ein weitgehend objektiver, wertfreier Tonfall – auch wenn man sich hier und dort auch muslimische Stimmen gewünscht hätte. Allerdings ist „In Statu Quo“ das Buch zum diesjährigen israelischen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig und unterlag als solches wohl auch selbst einigen Beschränkungen. Drittens aber – und das ist gerade für einen Beitrag zur Architekturbiennale wichtig – unternehmen die Herausgeber-Kuratoren Ifat Finkelman, Deborah Pinto Fdeda, Oren Sagiv und Tania Coen-Uzzielli glücklicherweise keinen Versuch, neue architektonische „Lösungen“ für die fünf Fälle zu entwickeln. Sie konzentrieren sich ganz auf die Beschreibung des aktuellen „Status Quo“. So nähert man sich den vorgestellten Orten, ihrer Geschichte und der Gestaltung zwischen Koexistenz und Konflikt unbefangen und offen – was am Ende vielleicht viel mehr Perspektiven auf diese „Spaces of Negotiation“ öffnet, als es jeder neue Plan gekonnt hätte.

Text: Florian Heilmeyer

In Statu Quo. Structures of Negotiation
Ifat Finkelman / Deborah Pinto Fdeda / Oren Sagiv / Tania Coen-Uzzielli (Hg.)
Hatje Cantz, Berlin 2018
Englisch
330 Seiten

ISBN 978-3-7757-4428-7
40 Euro


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Schweres Thema, angenehme Publikation: Das von Michal Sahar gestaltete Buch liegt nicht nur auf Anhieb sehr angenehm in der Hand, sondern zieht die Leser bereits auf den allerersten Seiten sofort in seinen Bann.

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Der deutsche Architekt Conrad Schick baute 1862 für den ottomanischen Sultan ein Modell der Grabeskirche, in dem die Nutzung und der Besitz von sechs christlichen Konfessionen markiert ist.

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Die Klagemauer unmittelbar nach der Einnahme der Altstadt durch Soldaten der Israel Defence Force, 1967. Noch stehen die Mauern der Altstadthäuser bis dicht an die Klagemauer.

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Das mystische Grab von Rahel bei Betlehem ist heute von acht Meter hohen Betonplatten eng umstellt und nur durch einen ausgesprochen abschreckenden, schmale Zugang zu erreichen. Bild aus dem Foto-Essay „Das Gehege von Rahel, 2018“ von Gili Merin.

Das mystische Grab von Rahel bei Betlehem ist heute von acht Meter hohen Betonplatten eng umstellt und nur durch einen ausgesprochen abschreckenden, schmale Zugang zu erreichen. Bild aus dem Foto-Essay „Das Gehege von Rahel, 2018“ von Gili Merin.

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