Allein der Titel treibt einen zur unbedingten Lektüre dieser Publikation: Maschinenräume. Hinter der Kulisse der Wiener Ringstraße. Und wem das noch nicht genügt, wird spätestens beim ersten Absatz der Einleitung abgeholt: „In den Tiefgeschossen der Ringstraßenbauten bleiben die dienstbaren Räume still unter sich. Diese Unmerklichkeit ist ihr Zweck, geht es doch in den geräuschempfindlichen Monumentalbauten vor allem um haustechnische Reibungslosigkeit, um zugfreie Frischluftversorgung, um lautlose Heizung und Kühlung, darum, dass in den Prunkräumen oben niemandem der Atem ausgeht.“
Vor allem der Gegensatz zwischen dem Vorne und Hinten nimmt einen für das Buch von Hertha Hurnaus, Gabriele Kaiser und Maik Novotny ein. Gerade weil die Wiener Ringstraße mit Prunk, Pracht und architektonischer Repräsentation assoziiert wird, wirkt der Blick auf ihre technische Kehrseite verheißungsvoll. Dass hinter den historistischen Ordnungen und dem Bauschmuck von Anfang an eine Menge Technik steckte, ist letztlich keine Überraschung, entstanden der Boulevard und seine Bauten doch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – also zu einer Zeit, als sich Europa rasant industrialisierte.
Das Buchprojekt ergab sich, als Hurnaus 2017 damit beauftragt wurde, den Umbau des Parlaments fotografisch zu dokumentieren. Dabei stieß sie auf die historische – und mittlerweile ersetzte – Haustechnik des Bauwerks von 1883. Das mehrgeschossige, unterirdische Universum aus Luftschächten, Luftmischräumen, Steuerrädern und Rohrpostanlage faszinierte die Fotografin sofort. Beispielsweise konnten die Abgeordneten über individuell bedienbare Klappen direkt unter ihren Sitzen temperierte Luft zuströmen lassen.
Kurz darauf holte Hurnaus Novotny und Kaiser mit ins Boot. Gemeinsam tauchten sie rund acht Jahre in die technischen Eingeweide der Ringstraßenbauten ein. Mit ihrem Buch machen sie die sonst verborgenen Keller mit ihren kapillarartigen Grundrissen oder die überraschend atmosphärischen Dachstühle sichtbar. Zu entdecken sind die dienenden Räume von Burgtheater, Parlament, Kunsthistorischem Museum, Monturdepot, Naturhistorischem Museum, Wiener Bankverein, Rathaus und Universität. Tatsächlich entsprechen die Raumvolumen ihrer Infrastrukturen oftmals denen der öffentlichen Bereiche. In einigen Fällen übertreffen sie diese sogar.
Bestes Beispiel dafür ist das Wiener Burgtheater, dessen Zuschauerraum wie ein „kleiner kostbarer Kern, eingehüllt in eine Batterie aus Maschinenräumen“ daherkommt. An diesem Bau erklärt sich denn auch die ausufernde Fülle an Fotografien, die den Hauptteil des Buches ausmachen. Sicher ist nicht jedes Bild gleichermaßen interessant, doch als Dokumentation sämtlicher technischer Abläufe haben sie ihre volle Berechtigung.
So folgt Hurnaus im Burgtheater vor allem dem Weg der Frischluft: vom Einlaufbauwerk im Volksgarten hinab in den Luftbrunnen, vorbei an Kettenzügen und Bedienelementen der Drosseltür, weiter zur Luftfilter- und Befeuchtungsanlage und den Lusterboden, hinauf zur Ventilationsanlage für die Abluft und schließlich zur in Szene gesetzten Windfahne. Allein die Begrifflichkeiten, die irgendwo zwischen hochpräziser Beschreibung und poetischem Klang oszillieren, sind aufregend. Dankenswerterweise widmet Novotny dieser Sprache der Ingenieurskunst aus dem 19. Jahrhundert einen eigenen Beitrag.
Ergänzt werden die Fotoserien im vorderen Teil von essayistischen Texten, die den bauhistorischen Kontext der Ringstraße oder die technische Entwicklungen der Zeit in den Blick nehmen. Herauszuheben ist der Beitrag von Kaiser zum Lufthygieniker Karl Böhm von Böhmersheim, der, obwohl er weder Architekt noch Bauingenieur war, viele der Prachtbauten maßgeblich beeinflusste.
Mittlerweile existieren einige der hier abgebildeten haustechnischen Anlagen nicht mehr. Die Entwicklungen der Gegenwart haben sie eingeholt und teils obsolet gemacht. Insofern bezeichnen die Herausgeber*innen ihr Buch richtigerweise auch als Zeitdokument der Technikgeschichte.
Text: Maximilian Hinz
Maschinenräume. Hinter der Kulisse der Wiener Ringstraße
Hertha Hurnaus, Gabriele Kaiser und Maik Novotny (Hg.)
272 Seiten
Album Verlag, Wien 2025
ISBN 978-3-85164-219-3
42 Euro