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28.07.2021

Buchtipp: Moderne und Refugium

Georg Kolbes Sensburg als Architekturdenkmal der 1920er Jahre


Eines der schönsten, kleinen Museen Berlins liegt etwas abseits imWestend. Es ist das Georg Kolbe Museum, das bereits seit 1950 das ehemalige Wohn- und Atelierhaus des Bildhauers Georg Kolbe (1877–1947) für Ausstellungen, Veranstaltungen und als Café nutzt. Charakteristisch ist die ganz besondere Atmosphäre dieser zwei Häuser von 1929, die von einer Backsteinmauer vollständig umfasst und so mit dem Garten zusammen wie zu einer kleinen Burg- oder Klosteranlage verbunden werden. Noch heute treten die Besucher*innen durch eine schmale Tür in der Mauer in eine leicht entrückte Welt, in der die Skulpturen, die hohen Kiefern des Gartens und die Architektur eins werden. Anlässlich des 70. Jahrestages seiner Gründung publizierte das Museum im letzten Jahr das bemerkenswerte Buch Moderne und Refugium. Georg Kolbes Sensburg als Architekturdenkmal der 1920er-Jahre, in dem erstmals gründlich das Planmaterial und die Entstehungsgeschichte des Ensembles dokumentiert beziehungsweise erforscht werden.

Zum Zeitpunkt des Hausbaus befand sich Kolbe einerseits auf dem Höhepunkt seines Schaffens, anderseits aber in einer tiefen persönlichen Krise, ausgelöst durch den überraschenden Tod seiner Frau Benjamine 1927. Während seine Skulptur „Morgen“ 1929 im Barcelona-Pavillon Mies van der Rohes im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, baut er sich am damaligen Berliner Stadtrand ein Refugium, um sich vom Trubel der Metropole zurückziehen zu können.

Dass dieses kombinierte Werk- und Wohnhaus einen dezidiert modernen Ausdruck findet ist weder Zufall noch expliziter Wille des Architekten. Vielmehr war Kolbe selbst durch seine Arbeit schon früh eng mit den wichtigsten Protagonisten des Neuen Bauens verbunden, hatte in den 1910er- und 20er-Jahren mit Walter Gropius, Bruno Taut, Henry van de Velde, Hans Poelzig und eben Mies van der Rohe zusammengearbeitet. Seine Wahl für den Entwurf des eigenen Hauses fiel allerdings auf keinen der damaligen Stararchitekten, sondern auf den Schweizer Ernst Rentsch, den Kolbe wohl über seinen Bruder kannte. Rentsch stand für eine moderate Moderne und hatte sich mit seinem Berliner Büro auf Landhäuser für eine wohlhabende Kundenschicht spezialisiert. Vermutlich entschied sich Kolbe für Rentsch, weil er bereits starke eigene Ideen im Kopf hatte.

Ein einfacher Bauherr war Kolbe sicher nicht. In den Plänen sind einige seiner Änderungswünsche erhalten geblieben, die er mit dickem roten Stift einzeichnete. So zeigt das Buch, wie sich der Entwurf zwischen 1927 und 1928 veränderte und von einem leicht monumentalen, an die Fabriken von Peter Behrens erinnernden Stil zu einem Ausdruck klösterlich-moderner Zurückhaltung wurde, den die beiden Häuser noch heute ausstrahlen. Diese „Vielzahl an Entwurfskorrekturen“, so schreibt Museumsdirektorin und Herausgeberin Julia Wallner im Buch, seien im Wesentlichen als ein „Prozess des Weglassens zu begreifen, als Klärung der monumentalen Form zu einer substanziellen Vereinfachung.“ Statt einer Turbinenfabrik baute sich Kolbe letztlich zwei Häuser, die an die Meisterhäuser in Dessau denken lassen – nur eben in Backstein.

In das Wohnhaus zieht Kolbes Tochter Leonore von Keudell mit ihrer Familie. Kolbe selbst lebt in einer kleinen Wohnung im separaten Atelierhaus. An dieses wird schon bald ein Tonatelier angefügt – allerdings nicht mehr von Rentsch, mit dem sich Kolbe über die Kosten zerstreitet, sondern vom jungen Bauhaus-Schüler Paul Linder, von dem auch der halbrunde Balkon am Wohnhaus stammt, der die kantigen Volumen der Häuser noch ein Stück weiter mit dem Garten zu verbinden scheint. Bis zu seinem Tod 1947 wohnt und arbeitet Kolbe in seiner „Sensburg“. Auch die Reparatur der Bombenschäden nach dem Kriegsende überwacht er noch persönlich. In seinem letzten Lebensjahr gründet er eine Stiftung, die sich um seinen Nachlass inklusive der stillen Gebäude im Westend kümmern soll. Es ist die erste Museumsneugründung in Berlin nach dem Krieg – und es ist bis heute ein bemerkenswerter Ort, dessen Geschichte sich nun endlich ein angemessenes Buch widmet.

Text: Florian Heilmeyer


Moderne und Refugium. Georg Kolbes Sensburg als Architekturdenkmal der 1920er-Jahre

Julia Wallner (Hg.)
Deutsch und Englisch
192 Seiten
Eigenverlag des Georg Kolbe Museums, Berlin 2021
23 Euro


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Ansicht von der Sensburger Allee, 1928

Ansicht von der Sensburger Allee, 1928

Der selbstbewusste Bauherr markierte seine Änderungswünsche mit rotem Stift in Ernst Rentschs Zeichnungen.

Der selbstbewusste Bauherr markierte seine Änderungswünsche mit rotem Stift in Ernst Rentschs Zeichnungen.

Der nach Entwürfen des Bauhaus-Schülers Paul Linder angefügte Balkon am Wohnhaus, Foto nach 1935

Der nach Entwürfen des Bauhaus-Schülers Paul Linder angefügte Balkon am Wohnhaus, Foto nach 1935

Georg Kolbe Mitte der 1930er Jahre im Atelier mit seiner Enkelin Maria von Tiesenhausen

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