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08.05.2024

Buchtipp: Konservative Nachhaltigkeit

Gegen Wegwerfarchitektur. Weniger, dichter, dauerhafter bauen


Zur Nachhaltigkeit scheint aktuell eigentlich alles gesagt zu sein. Kaum ein Buch zu Architektur oder Städtebau und sicher kein Projekt, das ohne Statement dazu auskommt. Nun meldet sich auch Vittorio Magnago Lampugnani mit einem 128 Seiten langen Essay Gegen Wegwerfarchitektur zu Wort und erklärt sich direkt in der Einleitung. Er wolle nicht „resümieren, was bislang entdeckt und ausprobiert wurde“, sondern die aktuelle Debatte, „die vielerorts zu eng geführt wird, an ihre historische und kulturelle Dimension erinnern.“ Denn das Bauen sei zu einer „Plage der Erde“ geworden, was er mit den hinlänglich bekannten Zahlen belegt.

Was also lässt sich tun? Im Grunde wiederholt Lampugnani all die Argumente, die wir von ihm seit den 1990er Jahren kennen. Eine auf Dauerhaftigkeit und Dichte angelegte Architektur ist für Lampugnani eine gute und ökologisch sinnvolle Architektur. Baut weniger, dichter und dauerhafter, ruft er uns ja schon im Untertitel seines Essays zu. Am nachhaltigsten sei ein einfaches, von Technik reduziertes Bauen, wie es der Autor vor allem in der traditionellen, dichten, europäischen Stadt findet. Und das vor allem dort, wo diese über Jahrhunderte wachsen und sich im Sinne einer beständigen Reparatur und Metamorphose evolutionär entwickeln konnte.

Viele dieser Themen finden sich schon in Lampugnanis Sammlung von Artikeln, die er als Herausgeber der Zeitschrift Domus schrieb und 1995 unter dem Titel Die Modernität des Dauerhaften ebenfalls bei Wagenbach veröffentlichte. Auch damals plädierte er für eine langsame, stille und robuste Architektur. Selbst die Argumente für eine Reparaturkultur finden sich bereits 1995 – auch wenn er sie im aktuellen Essay deutlich ausweitet.

Mit neuem Verve wirft sich Lampugnani gegen eine von kurzfristigem Profitdenken getriebene Wegwerfarchitektur, die er im Zentrum der aktuellen Problematik ausmacht. Deren ideologischen Kern verfolgt er über Archigram („Towards a Throwaway Architecture“) und Reyner Banham („aesthetics of expandability“) bis zu den italienischen Futuristen um Antonio Sant’Elia („Jede Generation baut sich ihre eigene Stadt“). Sie alle bekamen übrigens schon in den 1990ern von Lampugnani ihr Fett weg. Auch das Feindbild hat sich also nicht geändert.

Neu sind hingegen Passagen gegen die Wärmedämmarchitektur, die er als „Vermummungsfundamentalismus“ geißelt, gegen die Flächenversieglung oder gegen die Einteilung in richtige und falsche Baumaterialien. Holz, Ziegel oder Lehm seien nicht von Haus aus nachhaltig, schreibt Lampugnani, wenn man sie nicht in schlanken und intelligenten Tragwerkslösungen einsetzt oder rund um die Erde transportiere. Kein Material dürfe ausgeschlossen werden. Es gehe vielmehr um deren intelligenten Einsatz.

Dass viele dieser Argumentationsketten bereits bekannt sind, macht die Lektüre nicht langweilig. Lampugnani schreibt kurzweilig und rasch, hält sich bei keinem Punkt länger auf. Die Reihenfolge seiner Themen scheint eher assoziativ als argumentativ. Zum Glück vrkneift er sich auch über weite Strecken ein zeigefingerhaftes „Seht her, ich habs euch ja vor 30 Jahren schon gesagt!“. Und interessant wird es immer dort, wo er der aktuellen Debatte ihre historischen Dimensionen vor Augen führt. Die Ökobilanz des im Pantheon verbauten Betons sei anfangs vielleicht schlecht gewesen, so Lampugnani, aber über 2.000 Jahre hin gerechnet doch fabelhaft.

Interessant sind auch seine neuen Passagen zum zirkulären Bauen. Zwar erwähnt Lampugnani keines der Büros der aktuell blühenden Szene wie Rotor, baubüro insitu oder Cityförster. Aber er wendet sich doch indirekt an sie, wenn er historische Vorbilder von der Antike bis zu Lucien Kroll aufblitzen lässt und darauf hinweist, dass es auch beim zirkulären Bauen um Permanenz und Wertigkeit gehen muss: „Billige Allerweltslaminate oder klapprige Kunststofffenster wiederzuverwenden ist indessen unsinnig: Man würde einem neuen Gebäude nur die Makel weitergeben, die bereits das alte ästhetisch entwertet oder gar funktional untauglich gemacht haben.“

An den jahrtausendealten Regeln der Architektur, so Lampugnani, habe sich im Grunde nichts verändert. Das ist eine durch und durch konservative Position, mit der man sich anhand dieses Essays auch 2024 produktiv auseinandersetzen kann.

Text: Florian Heilmeyer

Gegen Wegwerfarchitektur. Weniger, dichter, dauerhafter bauen

Vittorio Magnago Lampugnani
128 Seiten
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2024
ISBN 978-3-8031-3737-1
18 Euro

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