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21.04.2020

Buchtipp: Vogel, Hertweck, Basel

Drei neue Bücher zur Bodenfrage


Eins ist wenigstens sicher: Die Corona-Krise gibt uns mehr Zeit, zu lesen und über grundsätzliche Dinge unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens nachzudenken. Eines der möglichen Themen: die Bodenfrage, die in den letzten Jahren in die Diskussionen über steigende Immobilienpreise, urbane Verdrängungsmechanismen und den Umgang mit öffentlichen Gütern zurückgekehrt ist. 2018 widmete die Zeitschrift ARCH+ dem Thema bereits die sehr breit angelegte Ausgabe „The Property Issue. Von der Bodenfrage und neuen Gemeingütern“. Die vergangenen zwölf Monate zeigten allerdings mit gleich drei Büchern von unterschiedlichen Autoren und Verlagen eine regelrechte Publikationsoffensive.

1. Hans-Jochen Vogel: Mehr Gerechtigkeit!


Der SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel wird sowieso dauernd als „Kronzeuge“ angeführt, wenn es um die Bodenfrage geht. Als Oberbürgermeister von München hatte er 1970 eine Kommission für die Neuregelung des Bodenrechts in der Stadt eingesetzt, die eine Broschüre herausgab, die sich liest als sei sie von heute – vom Beklagen der Miet- und Bodenpreise in München bis zur Frage, wie und von wem bezahlbarer Wohnraum in der Innenstadt künftig gebaut werden kann und sollte. Die ARCH+, Florian Hertweck, Arno Brandlhuber oder Heribert Prantl – alle beziehen sich auf Vogels jahrzehntelanges Mahnen, dass dieses Thema dringend politisch bearbeitet werden müsse. Geschehen ist wenig.

Doch zum Glück liest sich Vogels Buch von 2019 nicht als sentimental-vorwurfsvoller Blick zurück, sondern als hochaktuelles Manifest! Der mittlerweile 94 Jahre alte Autor argumentiert, dass die Wohnungsfrage deshalb so aktuell sei, weil sich die politischen Instrumente der letzten Jahre wie Mietspiegel, Mietpreisbremse und Mietendeckel als „stumpfes Schwert im Kampf gegen Verteuerung des Wohnens“ erwiesen haben. Vogel zählt noch einmal die erschreckenden Zahlen auf, wie sich die Bodenpreise in Deutschland über Jahrzehnte verteuert haben, ohne dass der Bodenspekulation deswegen nennenswert Einhalt geboten worden wäre. Und er nennt die wichtigsten Eckpunkte seiner Bodenrechtsreform, die sich im Wesentlichen auf die bereits 1970 genannten Punkte stützen. Das liest sich nicht neu, aber gut und angesichts der jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Thema umso überzeugender.

2. Basler Bodeninitiative: Boden behalten, Stadt gestalten

In Basel konnte die Neue Bodeninitiative 2016 einen Volksentscheid mit 62 Prozent für sich entscheiden. Die zentrale Forderung der Initiative: der Kanton soll grundsätzlich kein Land in öffentlichem Besitz mehr veräußern. Noch sind gut 40 Prozent des städtischen Bodens gemeinsames Eigentum, aber in den vergangenen Jahren hatte der Kanton der steigenden Nachfrage immer öfter nachgegeben. Die Initiative möchte das Gebot, städtisches Land zu behalten, als Gesetz verankern und so die Grundlage für eine nachhaltige Bewirtschaftung schaffen.

Das Buch der Initiative beschreibt nicht nur die Situation in Basel, sondern versammelt Autor*innen und Modellbeispiele aus der ganzen Schweiz, aus Wien, München und Berlin. Außerdem nimmt es das Mietshäusersyndikat und das Erbbaurecht in der Schweiz und Deutschland unter die Lupe. Ausführlich wird der Architekt und Städtebauer Hans Bernoulli (1876–1959) vorgestellt, auf den man sich in der Schweiz in Sachen Bodenfrage offenbar ebenso gern und häufig bezieht wie in Deutschland auf Hans-Jochen Vogel. Das handliche, kompakte Buch versteht sich insbesondere als Ratgeber für Gemeinden und Politiker sowie als Mutmacher für weitere Initiativen. Deswegen wird in einem sehr sachlichen Layout oft ein allzu leicht verständlicher Tonfall angeschlagen, was das Buch allerdings keinen Deut weniger interessant macht.

3. Florian Hertweck: Architektur auf gemeinsamem Boden

Auch Florian Hertweck, Architekturprofessor in Luxemburg, beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Bodenfrage. Als Autor taucht er sowohl in der ARCH+ als auch in Boden behalten auf, hat aber auch ein eigenes Buch zum Thema auf den Weg gebracht, in dem er wiederum einige der Autor*innen aus den anderen Publikationen versammelt. So geht es auch hier um Hans-Jochen Vogel und Hans Bernoulli, um Berlin, das Modell ExRotaprint und die Baseler Bodeninitiative. Ein gemeinsamer Beitrag von Elisabeth Merk und Christiane Thalgott – beide waren Stadtbaurätin von München – widmet sich dem langen Kampf um eine „sozialgerechte Bodennutzung“ in der bayrischen Landeshauptstadt.

Hertweck aber weitet das Thema im Vergleich zu Boden behalten noch einmal in zwei Richtungen aus: geografisch mit Beispielen aus London, Amsterdam, Almere, Barcelona oder Singapur – und historisch mit einigen sehr schönen, kurz gehaltenen Ausflügen in die Geschichte von Architektur und Städtebau. Hier werden die Konzepte „Garden City“ und „Broadacre City“, die Netzwerkstadt, Frei Ottos Berliner Öko-Häuser, El Lissitzkys Wolkenbügel, Egon Eiermanns Hängehochhaus und Paul Rudolphs Trailer Tower auf ihre bodenrevolutionäre Tauglichkeit hin untersucht. Es ist – für uns aus der Architektur- und Design-Ecke – das in Sachen Themen und Autor*innen sicherlich vertrauteste Buch.

Fazit

Alle drei Bücher sind ausgesprochen handlich, informativ, von klarer Gestalt und mit Freude zu lesen. So kann Jenen, die an diesem Thema interessiert sind, letztlich keine Abkürzung empfohlen werden, sondern nur die Lektüre aller drei Bücher hintereinander weg. Vermutlich dauert die Corona-Krise ja noch ein bisschen.

Text: Florian Heilmeyer

Mehr Gerechtigkeit! Wir brauchen eine neue Bodenordnung, nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar

Hans-Jochen Vogel
80 Seiten
Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2019
ISBN 978-3-451-07216-1
12 Euro


Boden behalten – Stadt gestalten

Brigitta Gerber und Ulrich Kriese (Hg.)
Mit Beiträgen von Daniela Brahm, Sylvia Claus, Hans Heimann, Florian Hertweck, Sabine Horlitz, Heribert Prantl, Kornel Ringli, Ernst Weber, Christian Wyss u.v.a.
432 Seiten
Rüffer und Rub Verlag, Basel 2019
ISBN 978-3-906304-50-2
23,50 Euro

Architektur auf gemeinsamem Boden. Positionen und Modelle zur Bodenfrage

Florian Hertweck (Hg.)
Mit Beiträgen von Daniela Brahm, Arno Brandlhuber, Sylvia Claus, Reinier de Graaf, Franziska Eichstädt-Bohlig, Simon Frommenwiler, Andreas Garkisch, Nikolaus Kuhnert, Stefan Rettich, Christian Schöningh, Laura Weißmüller u.v.a.
400 Seiten
Lars Müller Publishers, Zürich 2020
ISBN 978-3-03778-602-4
25 Euro


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