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01.02.2023

Buchtipp: Kreuze und Rutenbündel

Der italienische Kirchenbau in der Zeit des Faschismus


Croci e fasci, zu Deutsch: Kreuze und Rutenbündel, heißt ein erstaunliches Buch, das uns zum Kirchenbau unter dem faschistischen Regime Mussolinis in Italien führt – und eine architektonisch-stilistische Bandbreite vom Razionalismo bis zum Neoklassizismus zeigt. Man spricht inzwischen vom Modell einer „multiplen Moderne“. Und: Wieder einmal stellt sich die Frage, warum in Italien – zumindest eine Zeitlang – machbar war, was unter anderen totalitären Regimes der Zeit unmöglich schien.

Um dies zu beleuchten, schalten wir kurz nach Deutschland. In der NS-Zeit wurden hierzulande zwar erstaunlich viele Kirchen neu- und umgebaut, dies aber immer vor dem Hintergrund des NS-Kirchenkampfes. Das Regime duldete den Kirchenbau aus taktischer Toleranz, sorgte aber durch rigide Bauvorschriften dafür, dass diese Kirchen bodenständig, traditionell und nicht selten romanisierend ausgeführt wurden. Wenige Projekte wie die Nürnberger Reformationsgedächtniskirche (1938) hegten eine politisch-propagandistische Absicht, viele Bauten hingegen waren in den Kirchengemeinden vor Ort schon Jahre zuvor initiiert und nach 1933 lediglich im genannten Sinne (um)geplant worden. Nur wenigen Architekten wie Dominikus Böhm oder Otto Bartning gelang es, Andeutungen des Neuen Bauens in die NS-Zeit zu schmuggeln.

Nun wieder zurück nach Italien: Hier hatten sich das faschistische Regime und die katholische Kirche als Partner verstanden. Mit der formellen „Aussöhnung“ („Conciliazione“) ließen sie die laizistischen Tendenzen der liberalen Vorgängerregierungen des 19. Jahrhunderts hinter sich: „Der Kirche erscheint der Faschismus als Garant einer politisch-sozialen Ordnung, die als Voraussetzung ihrer gesellschaftlichen Hegemonie angesehen wird.“ Diese „philofaschistische“ Einstellung schaffte die Voraussetzungen für eine beträchtliche kirchenbauliche Expansion. Davon erzählt dieses Buch, das aus einer in deutscher Sprache eingereichten Dissertation in Karlsruhe hervorgegangen ist. Die ursprüngliche Arbeit ist im Netz veröffentlicht und bietet dort auch eine ergänzte Bildauswahl, wogegen die Verlagsausgabe eher karg bebildert ist.

Damit ist es kein Coffeetable-Book zum Bilderblättern, sondern eine präzise baugeschichtliche Untersuchung geworden. In einer für das deutsche Publikum womöglich als herausfordernd empfundenen Ausführlichkeit werden Tendenzen und Strömungen der Baugeschichte einerseits und kirchlich-liturgischer Bestrebungen andererseits miteinander verwoben und vor dem Hintergrund der faschistischen Staatsdoktrin eingeordnet. Dies geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern exemplarisch anhand von rund 150 im Fließtext behandelten oder erwähnten Fallbeispielen, die dankenswerterweise in einem Anhang übersichtlich aufgelistet werden. Deren stilistische Bandbreite ist frappant und reicht von Marinettis futuristischen Manifestationen über Terragnis Kathedrale aus Stahlbeton bis zu Piacentinis neoklassizistischer Universitätskapelle an der Sapienza.

Die letzte behandelte Kirche ist Santi Petro e Paolo für das römische Weltausstellungsgelände E42 (heute EUR genannt) im Süden der Stadt. Die markante Kuppelkirche von Arnaldo Foschini (1937, vollendet erst nach dem Krieg) liegt in einer bedeutenden Sichtachse und wurde offenbar auf städtebauliche Wirkung hin entworfen, denn „der sich am Außenbau ankündigenden Raffinesse steht ein nüchterner, ja architektonisch armseliger Innenraum gegenüber“, so der Autor. Letztlich mündete also die Architektur des italienischen Faschismus in dem gleichen hohlen Pathos wie die Repräsentationsarchitektur der deutschen Nazis. Dass es davor aber spannende Raum- und Formexperimente im Sakralbau gab – davon kündet dieses gewichtige Buch.

Text: Benedikt Hotze

Croci e fasci. Der italienische Kirchenbau in der Zeit des Faschismus.
Luigi Monzo

784 Seiten
Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2021
ISBN 9783422980501
138 Euro


Zum Download der vollständigen Dissertation als PDF: publikationen.bibliothek.kit.edu


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