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29.10.2025

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Buchtipp: Das andere Rom

Building the Modern Metropolis 1870–1960


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1748 kartierte Giovanni Battista Nolli die Stadt Rom im Zustand ihres aktuellen Wachstums. Seine „Pianta Grande di Roma“ umfasste die 2.000 Jahre alten Stätten der antiken Weltstadt ebenso wie die Kirchen, Plätze und Achsen des päpstlich-barocken Kirchenstaats. Der Plan fixierte die Grenzen des ersten und des zweiten Rom im Centro Storico und prägte fortan auch eine gewissermaßen museale Wahrnehmung der Stadt als kunst- und kulturgeschichtlich weltbedeutender Metropole. Dass die anschließenden baulichen Erweiterungen und schließlich die Transformation Roms zur modernen Kapitale (Terza Roma) nicht minder interessant sind, hat der Architekturhistoriker Jean-Francois Lejeune nun umfangreich dargestellt. Kürzlich erschien sein Band The Other Rome. Building the Modern Metropolis 1870–1960.

Im Mittelpunkt steht die Stadtentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, die Planungen für das sogenannte Dritte Rom. Diese Bezeichnung bezieht sich auf seine Rolle als Hauptstadt des 1861 gegründeten italienischen Nationalstaats (als Königreich Italien), zu der Rom allerdings erst 1871 erklärt wurde. Untersucht werden im Buch insbesondere die morphologischen und typologischen Ausprägungen der Wohnquartiere, die seither entstanden. Binnen eines Zeitraums von 90 Jahren umfasst das Buch die bauliche Expansion Roms aus dem Zustand einer eher ländlichen Idylle Mitte des 19. Jahrhunderts über die Grenzen der antiken Aurelianischen Mauer hinaus.

Auf Grundlage der Generalbebauungspläne (Piani regolatori 1873, 1883, 1909, 1931) wurden zunächst neue Stadtviertel mit historistischen Stilelementen rund um die Altstadt angelegt. Um die Jahrhundertwende setzte die Reformarchitektur ein, es entstanden urbane Blocks sowie suburbane Quartiere und Gartenstädte. 1903 erfolgte im Zeichen des sozialen Wohnungsbaus die Gründung des Instituto per la Case Popolare ICP, das ab 1923 dem faschistischen Regime untergeordnet war. In den Jahren der Mussolini-Diktatur entstand ab 1938 unter anderem das Stadtviertel EUR für die – kriegsbedingt abgesagte – Esposizione Universale di Roma. Die Nachkriegszeit brachte mit dem Wirtschaftsaufschwung auch den Bau neuer Wohnsiedlungen in den Außenbezirken und Wohn- und Sportanlagen für die Olympischen Sommerspiele 1960.

Bereits die Einführung von Daniel Solomon bezieht unter der Überschrift „The Splendid Ordinary“ klare Position zur Qualität des römischen Städtebaus. Es folgt dichte Abhandlung von Lucio Valerio Barbera, die einen gründlichen und mit viel Plan- und Fotomaterial versehenen Überblick zur modernen Stadtentwicklung Roms bietet. Anschließend werden 16 Stadtquartiere in chronologischer Reihenfolge porträtiert. Darunter das bürgerliche Viertel Vittorio Veneto mit seiner kompakten Blockstruktur (das ab 1870 um den neuen Hauptbahnhof Termini gebaut wurde), das dichte Arbeiterquartier Testacchio am Tiber (1883), die am Pariser Haussmann-Plan orientierte Bebauung um die Piazza Mazzini im Quartiere della Vittoria (1909–40) oder das gleichzeitig bebaute Quartiere Flaminio, auf dessen altem Kasernenareal 2010 das MAXXI eröffnete.

Der Reformbewegung zuzurechnen ist etwa das malerisch an den Hängen des Hügels Aventin gelegene Viertel San Saba (1906–23) mit seinen Ziegelfassaden. Die farbenfrohen Gartenstädte Aniene (1920–40) und Garbatella (1920–35) mit ihren Innenhöfen und Gemeinschaftsflächen wiederum entstanden im Kontext des sozialen Wohnungsbaus. Im Verlauf der 1920er Jahre trat der eher suburbane, freistehende Wohnungsbautyp villino zugunsten des neuen Typs palazzina in den Hintergrund. Diese Blockrandbebauungen mit großem Innenhof führten zu hoher Verdichtung in den Stadtteilen um die Piazza Bologna (1920–40), Piazza Verbano (1924–31) oder Monteverde Vecchio (1926–38). Im Viertel Parioli (1911–57) sind emblematische Bauten des razionalismo der späten 1930er bis in die 1950er Jahre zu entdecken, darunter die Gebäude des Villaggio Olimpico und der Palazzetto dello Sport.

Durch alle Beiträge zieht sich eine besondere Aufmerksamkeit für die Kontinuitäten in der Stadtentwicklung des modernen Rom. Dabei geht es um Protagonisten, Stadtplaner, Architekten und Institutionen, Bebauungspläne, Bodenspekulationen, Bauprogramme und -gesetze, aber ebenso um die Rückbezüge auf römische Architekturtraditionen und Weiterentwicklungen überlieferter Bauformen. Lejeune verdichtet seine Beobachtungen zur maßgeblichen Arbeitshypothese: Roma non Interrotta. Mit diesem Schlagwort des ununterbrochenen Roms bezieht er Gegenposition zur Entwurfsausstellung „Roma Interrotta“, die 1978 die jüngere Stadtbaugeschichte, vornehmlich die baulichen Hinterlassenschaften aus der Zeit des Faschismus schlicht ignorierte. Stattdessen bildete der fast 250 Jahre alte Nolli-Plan die Grundlage für zwölf Stadtbaukonzepte verschiedener postmoderner Architekten – darunter Stirling, Portoghesi, Venturi oder die Krier-Brüder. Dem im Juni 2025 verstorbenen Léon Krier, der sich bereits 1978 für die gewachsenen historischen Stadträume einsetzte, ist der vorliegende Band im Übrigen gewidmet.

Denn Lejeune plädiert, wie schon Harald Bodenschatz in seiner Publikation Städtebau für Mussolini, für eine differenzierte Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Phasen der modernen römischen Stadtbaugeschichte, insbesondere mit dem Bauerbe des Faschismus. Das abschließende Kapitel von Salvatore Santuccio bietet denn auch einen faszinierenden Exkurs zu den Drehorten, architektonischen Kulissen und atmosphärischen Innenräumen ikonischer Filme des italienischen Neorealismus der 1940er und 50er Jahre. Mit diesen Filmbildern verhält es sich im Prinzip ähnlich wie mit dem Nolli-Plan: Sie haben den baulichen Entwicklungszustand Roms in einer ganz bestimmten Zeitschicht festgehalten und – zumindest ausschnitthaft – für die Nachwelt verewigt. 

Text: Ulrike Alber-Vorbeck 

The Other Rome. Building the Modern Metropolis 1870–1960 
Jean-François Lejeune (Hg.)
368 Seiten 
Englisch
Birkhäuser Verlag, Basel 2025 
ISBN 978-3-0356-2544-8 
62 Euro


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