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06.02.2024

Neubau oder Altbausanierung

Bürgerentscheid zum Haus des Gastes in Nebel auf Amrum


Die Gemeinde Nebel auf Amrum möchte ein neues Kulturhaus bauen. Es ist der vielleicht erste Versuch in der Geschichte der kleinen Nordseeinsel, ihr Selbstverständnis in zeitgenössischer Architektur zu manifestieren. Nachdem ein Wettbewerb 2020 einen würdigen Entwurf gekürt hatte, kamen plötzlich Alternativen ins Spiel, und ein Streit um den Erhalt des Altbaus begann. Schlichten soll ein Bürgerentscheid. Am 11. Februar entscheiden 950 Wahlberechtigte über Abriss oder Sanierung.
 
Von Uta Winterhager

Die Ortsgestaltungssatzung in Nebel ist streng. Kein Giebel misst hier mehr als neun Meter, allein der Turm der Kirche St. Clemens und die als Haus des Gastes bekannte Jugendstilvilla überragen die Baumkronen als Seezeichen. 1905 wurde sie als Kinderklinik gebaut, diente nach dem Krieg als Kindererholungsheim. Seit 1986 ist sie als Haus des Gastes im Besitz der Gemeinde, die die Villa für Verwaltungsbüros und Touristeninformation nutzt. Es gibt unter anderem eine kleine Bibliothek, Räume zur Kinderbetreuung, öffentliche Toiletten, Zimmer für Saisonkräfte sowie größere Räume für Veranstaltungen.

Die Villa gilt zwar als erstes Zeugnis der Bäderarchitektur auf Amrum, doch ist sie, da stilistisch ortsfremd, nicht denkmalgeschützt. Was das Haus für viele Einheimische und Gäste so wertvoll macht, ist seine besondere Lage im Kurpark, der dem kleinen Friesendorf wattseitig vorgelagert ist und die Ensemblewirkung mit der Kirche und dem Friedhof mit den „Sprechenden Grabsteinen“.
 
Dennoch ist das Haus des Gastes bis heute nicht saniert worden. Nach einem Wettbewerb 2010 zu Umbau und Sanierung wurden die Pläne 2013 aus wirtschaftlichen Gründen verworfen. Daher beschloss die Gemeindevertretung 2018 einstimmig den Abriss und lobte Anfang 2020 einen Wettbewerb für einen Neubau aus. Aus 162 Arbeiten wählte die Jury unter Vorsitz von Björn Bergfeld den Entwurf von Daniel Zajšek Architekten (München) und G2 Landschaft (Hamburg) zum Sieger.

Als teils verklinkerter, teils geschosshoch verglaster Pavillon fügt sich der Entwurf in die naturnah gestaltete Landschaft ein, inszeniert den Durchblick zum Watt. Sein Zentrum bildet ein mit Lamellen eingefasster runder Veranstaltungssaal, der bildhaft für den „Kulturkreis Wattenmeer“ steht. Die Planung wurde beauftragt und ist inzwischen gründlich überarbeitet worden. Das Gebäude ist energetisch optimiert, hochwassersicher, barrierefrei. Die letzte Schätzung 2022 rechnete mit knapp 7,8 Millionen Baukosten.
 
Doch die Realisierung des Neubaus ist nicht mehr sicher. Denn eine Bürgerinitiative setzt sich für die Sanierung und Erweiterung der zum Abriss geweihten Jugendstilvilla ein und sammelte erfolgreich Unterschriften für ein Bürgerbegehren. Zwei Ehepaare hatten die Initiative unter dem Namen „Retten wir das Haus des Gastes“ 2023 gegründet. Mit der Entscheidung des Gemeinderats zu Abriss und Neubau des Haus des Gastes sind sie nicht einverstanden, der marode Zustand des Altbaus sei nicht bestätigt. Man solle das Haus des Gastes originalgetreu sanieren, die Anbauten aus den 1960er Jahren entfernen und bei Bedarf einen neuen Anbau errichten.

Die Bürgerinitiative äußerte formale Bedenken: Der eingeschossige Neubau habe einen deutlich größeren Fußabdruck als der dreigeschossige Bestand, im Kurpark müssten zahlreiche Bäume gefällt werden, dazu hat die Verwaltung das Grundstück aus der Baumschutzsatzung herausgenommen. Die Ortsgestaltungssatzung sei umgangen, das hochwasserbedingte Bauverbot nicht beachtet worden, die Transparenz des Gebäudes sei nicht mit dem Vogelschutz zu vereinbaren. Im Juli 2023 legte die Bürgerinitiative der Gemeinde ein Gutachten vom Büro Bartram und Partner aus Ottersberg-Fischerhude vor. Es bestätigt, dass im Haus des Gastes „eine grundlegende Sanierung sowohl in technischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht möglich ist“.

Seitdem haben sich beide Seiten, die Befürworter des Neubaus und die Befürworter der Sanierung des Altbaus, enorm ins Zeug gelegt, ihre Haltung zu begründen. Sie haben im Netz, im Dorf und auf Veranstaltungen für ihr jeweiliges Anliegen geworben und die Argumente der anderen Seite widerlegt. Dabei ging es um die Hochwassersicherheit durch eine weiße Wanne ebenso wie um Ersatzpflanzungen für die gefällten Bäume und die Gültigkeit der Ortsgestaltungssatzung für das Grundstück außerhalb des historischen Dorfkerns.

Ein von der Gemeinde beauftragter Planungs- und Kostenvergleich als Grundlage für den Bürgerentscheid legt die Kosten für Sanierung und Erweiterung höher an als die für den Neubau, doch wirklich belastbar sind die Zahlen mit den unterschiedlichen Planungsständen nicht. Entscheidend für die Finanzierung ist auch die Höhe der jeweils möglichen Fördermittel. Und nicht zuletzt wird der Ausdruck des Neubaus ein Streitpunkt: Für die einen ist er ein „Glasklotz“ oder eine „andalusische Begräbnishalle“, für die anderen ein „offenes Kultur und Begegnungszentrum“.
 
Und dann gibt es da noch einen Aspekt, der aktuell den Baukulturdiskurs in Deutschland beherrscht, die Diskussion in Nebel aber nur am Rande tangiert: die klimaschädlichen Folgen von Gebäudeabriss. Wie kostbar Ressourcen sind, zeigt sich in der täglichen Insellogistik. Jede Flasche Ketchup kommt mit der Fähre, die auch die Gäste bringt. Ebenso wird es mit dem Neubau- und Abrissmaterial sein. Ein sparsamer Umgang mit Material ist auf Amrum systemimmanent.
 
Die Einwände der Bürgerinitiative kamen reichlich spät, eine unabhängige Machbarkeitsstudie vor dem Wettbewerb für den Neubau hätte sicher zur Klärung beigetragen und allen Beteiligten erhebliche Kosten und Nerven erspart. Nun entscheiden alle im Dorf. Und vielleicht geht es hier nicht nur um die Frage Altbau oder Neubau, sondern auch darum, ob die direkte Demokratie in Form eines Bürgerbegehrens ein guter Weg ist, um nachhaltig tragfähige Lösungen für kommunale Bauaufgaben zu finden.


Rund 950 wahlberechtigte Menschen leben in Nebel, jeder kennt jeden, man grüßt sich trotz der Uneinigkeit noch. Die Situation im Dorf sei gar nicht so schlimm, wie in den Medien dargestellt, sagt die stellvertretende Bürgermeisterin Elke Dethlefsen. Alle leben vom Tourismus, alle müssen miteinander auskommen. Und so wünscht sie sich eine rege Beteiligung am Bürgerentscheid und vor allem ein klares Ergebnis.


Zum Thema:

Infoseite der Gemeinde: amrum.de/infos-zum-haus-des-gastes
Infoseite der Bürgerinitiative: retten-wir-das-haus-des-gastes.de

Mehr zur nachhaltigen Sanierung von Altbauten bei Baunetz Wissen



Nachtrag der Redaktion vom 12.2.24: Laut Medienberichten haben mehr als 500 Abstimmungsberechtigte am Bürgerentscheid teilgenommen. Demnach stimmten 219 Nebeler Bürger für den Erhalt des „Haus des Gastes“; 271 stimmten dagegen. Auf der anderen Seite stimmten 331 Nebeler Bürger für den an gleicher Stelle von der Gemeinde geplanten Neubau; 180 stimmten dagegen.


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Neubau Haus des Gastes: Überarbeiteter Wettbewerbsentwurf von Daniel Zajšek Architekten (München) und G2 Landschaft (Hamburg)

Neubau Haus des Gastes: Überarbeiteter Wettbewerbsentwurf von Daniel Zajšek Architekten (München) und G2 Landschaft (Hamburg)

Multimediaraum, Neubau Haus des Gastes: Überarbeiteter Wettbewerbsentwurf von Daniel Zajšek Architekten (München) und G2 Landschaft (Hamburg)

Multimediaraum, Neubau Haus des Gastes: Überarbeiteter Wettbewerbsentwurf von Daniel Zajšek Architekten (München) und G2 Landschaft (Hamburg)

Kompromissvorschlag zum Umbau des Haus des Gastes von Bertzbach Architekten. Dieser entstand unentgeltlich und auf Anregung der Pastorin Thurid Pörksen. Im Entwurf wird die gesamte Altbausubstanz auch späterer Anbauten erhalten, energetisch saniert und für die neuen Anforderungen umgebaut. Videostill

Kompromissvorschlag zum Umbau des Haus des Gastes von Bertzbach Architekten. Dieser entstand unentgeltlich und auf Anregung der Pastorin Thurid Pörksen. Im Entwurf wird die gesamte Altbausubstanz auch späterer Anbauten erhalten, energetisch saniert und für die neuen Anforderungen umgebaut. Videostill

Aktueller Zustand des Haus des Gastes

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