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01.08.2002

Emil Fahrenkamp 1885-1966, Architekt im rheinisch-westfälischen Industriegebiet

Bücher im Baunetz


Man kann durchaus sagen, dass Kritiker, Historiker, Interessierte und Düsseldorfer – also eine ganze Menge Menschen – auf dieses Buch gewartet haben. Und doch wußten die wenigsten, dass es tatsächlich geschrieben wurde. Das mag zum einen dem stillen Krämern wahrhaft wissenschaftlicher Seelen geschuldet sein, die lieber an der Formulierung einer Fußnote feilen, als auf Podien halbgare Thesen herauszuschleudern. Das mag aber auch am Gegenstand liegen, der in Kreisen von Architekturhistorikern eine fast legendäre Bekanntschaft – oder besser Unbekanntschaft darstellte: Emil Fahrenkamp (1885-1966), nach seiner Geburt und seiner Berufung zum Architekten vor allem in Düsseldorf und von dort aus tätig. Immer wieder wurde in sogenannten „Insiderkreisen“ geraunt, Fahrenkamp werde wohl bis zum Sankt Nimmerleinstag warten müssen, bis ihm eine Monographie zu ehren wird: die Erben, so hörte man, hätten sich entweder zerstritten und den Nachlass in alle Winde zerstreut, oder, so lautete eine andere Version, sie wollten verhindern, daß jemand Fahrenkamps Position im Dritten Reich analysiert. Doch daran kann es nicht gelegen haben, wie nun das gewaltige Werk Christoph Heuters beweist: der totale Fahrenkamp auf 600 Seiten im DIN A 4-Format, gut ein Drittel davon Biographie kombiniert mit Werk- und Wirkungsanalyse, zwei Drittel Werkkatalog mit 363 Nummern – und dazwischen immer wieder der Hinweis auf die „Erben Fahrenkamps“, die Heuter anscheinend gründlich unterstützt und mit etlichem Material versorgt haben, ein Umstand, von dem jetzt der Leser ordentlich profitiert.
Gleich im Untertitel kommt Heuter zu einem Einblick, den die bisherige allgemein oberflächliche Bekanntschaft von Fahrenkamp so nicht hätte vermuten lassen: Architekt im rheinisch-westfälischen Industriegebiet. Damit wird der Planer nicht nur endlich zurück in die Architekturgeschichte, sondern auch gleichsam Heim in den Ruhrpott geholt.


Wer noch vor kurzem „Fahrenkamp“ sagte, der musste auch immer gleich „Shell-Haus“ sagen, danach meist noch schnell „Deutscher Versicherungskonzern“ am Fehrbelliner Platz im schönen Wilmersdorf – das war’s, und damit war ein Düsseldorfer mit vermeintlichen Hauptwerken auch in die Hauptstadt verfrachtet. Beide Bauten mögen jedoch eher aus einem anderen Grunde zu den vielzitierten Irrläufern der Moderne gehören: Sie sind nicht wirklich einem kantigen Neuklassizismus, aber auch keinem kubischen Funktionalismus zuzurechnen, sondern bedienen sich der ganzen Klaviatur der Stil- und Ausdrucksmittel einer „anderen Moderne“, die in gewisser Weise auch spezifisch für Fahrenkamps Düsseldorfer Dunstkreis sein mag. Das Rheinland jedenfalls war Fahrenkamps Dreh- und Angelpunkt. Nicht allein hatte der zeitlebens mit dem Spitznamen „Felix“ ausgestattete gebürtige Aachener über seine Düsseldorfer Verbindungen die meisten Aufträge im gesamten Reich bekommen. Oder war durch seine frühen rheinischen Erfolge (endgültiger Durchbruch: Innenausstattung der Stadthalle Mülheim/Ruhr – ein leider zerstörter Traum in deutschem Art déco, 1925) erfolgreicher, weil bekannter Teilnehmer bei vielen Wettbewerben (etwa der spektakuläre erste Preis beim Gebäude für den Völkerbund in Genf 1927). Beim Lesen von Heuters Text sieht man Fahrenkamp - und dies erklärt manchmal mehr, als seitenlange Stilabhandlungen – in einen Netz von Personen und Figuren agieren, vermitteln zwischen Politikern, Künstlern, Architekten, Prominenz und Freunden, von denen einige nach dem Januar 1933 ausgetauscht werden, dafür aber neue hinzukamen – darunter auch Hermann Göring.


Heuters Studie zeigt jedoch durch ihre chronologische Ordnung vor allem die hohe Flexibilität Fahrenkamps, die sich im „Architektursyste“ des Nationalsozialismus geradezu idealtypisch nach den vorliegenden Aufgaben ausdifferenzierte: da ist die Hermann-Göring-Meisterschule für Malerei im ländlichen Kronenburg, ein fachwerkelnder Heimatschutzbau, da ist das Y-Kraftwerk in Leverkusen, eine backsteinerne heroische Industriemoderne, da sind die Ausstellungsbauten in Düsseldorf für die Schau „Schaffendes Volk“ in einem abstrakten-modernisierten Rigips-Klassizismus, da ist der deutsche Pavillon auf der „kleinen“ Weltausstellung Lüttich in einem brutal-versteinerten Protzstil. Fahrenkamp konnte sie alle – und er tat dies, trotz erheblicher Verstrickungen mühelos entnazifiziert, bis in die sechziger Jahre hinein, wo er eine konservativ gesinnte Auftraggeberschicht mit gediegenen Villen versorgte. Wie sich also zeigt, wollen Architekten bauen; letztendlich auch nicht anders, als Sportler Olympiaden gewinnen, Politiker Völker regieren und Journalisten schöne Bücher rezensieren wollen. Wichtigere Erkenntnis des Ganzen scheint daher eher ein Gefühl dafür zu sein, daß die Wahrheit über eine Moderne tiefer läge als auf der Stilebene. So sind etwa bestimmte Aspekte, der Umgang mit dem Material im besonderen, bei Fahrenkamp immer präsent, und auch der Einfluss von Wilhelm Kreis, den Vorgesetzten und Kollegen an der Düsseldorfer Kunstakademie, schien immer eine Konstante zu bleiben. Vielleicht hätte sich am Ende Fahrenkamps Werk noch stärker in eine Moderne spezifisch rheinischer Prägung einordnen lassen, indem man ihn mit Kreis und dem Dritten im Bunde, Fritz Becker, vergleichen würde. Doch während über ersteren eine gründliche Studie vorliegt, haben sich über letzteren bereits wieder Gerüchte breit gemacht: die Erben sollen sich zerstritten und den Nachlass gleichmäßig verteilt haben. Es bleibt zu hoffe, daß sich auch hier längst ein Forscher vom Schlage Heuters gefunden hat, der sich durch solche Geschichten nicht beeindrucken lässt.
(Christian Welzbacher)



Christoph Heuter
Arbeitsheft der rheinischen Denkmalpflege 59 (hg. v. Udo Mainzer), 29,7 x 21,5 cm, 624 S., 699 Abb., fest geb., Euro 99,00
Mit Beiträgen von H.-W. Hämer, S. Kippenberger, U. Kohlbrenner, E. Pfotenhauer, M. Sack
256 Seiten mit ca. 125 farbigen und s/w Abbildungen
Hardcover
Format: 17 cm x 24 cm
Euro 25.80 sFr 46.10
Imhof Verlag, Petersberg
ISBN: 3-935590-37-7


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