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08.05.2012

Nachkriegsmoderne kontrovers

Bücher im BauNetz


Sep Rufs Kanzlerbungalow in Bonn ist ein Paradebeispiel für die westdeutsche Nachkriegsmoderne: Von Architekturkennern geschätzt, bei seinen Bewohnern umstritten.
Für Ludwig Erhard war der Stahlskelettbau ein Symbol für die junge weltoffene Bundesrepublik, Kurt Georg Kiesinger fand den modernen Bau schier ungemütlich und ließ Stilmöbel aufstellen. Und Konrad Adenauer forderte mit seinem beißenden rheinischen Humor zehn Jahre Gefängnis für den Erbauer des Bonner Bundeskanzlerwohnsitzes.

Auch heute – rund 50 Jahre später – sind die Meinungen über das baukulturelle Erbe der deutschen Wiederaufbaujahre geteilt. Experten wie Laien debattieren über die gestalterischen und funktionalen Defizite dieser Epoche. Viele der 60er- und 70er-Jahre-Bauten sind in die Jahre gekommen, und es stellt sich die Frage, wie ein nachhaltiger Umgang mit der Nachkriegsmoderne aussehen kann. Wie soll das Erbe von Sep Ruf und Co. erhalten und weiterentwickelt werden?

Eine neue Publikation des Jovis Verlags und der Wüstenrot Stiftung sucht Antwort darauf. In „Nachkriegsmoderne Kontrovers. Positionen der Gegenwart“ sammelt der Herausgeber Olaf Gisbertz verschiedene Perspektiven zum aktuellen Diskurs. Ausgangspunkt des Buches sind zwei zurückliegende Tagungen, initiiert vom „Netzwerk Braunschweiger Schule“ dem Gisbertz als Mitarbeiter des Institut für Bau- und Stadtbaugeschichte an der Technischen Universität der Stadt ebenfalls angehört. Klar, dass das Thema Hochschulbauten und speziell die Relikte der Braunschweiger Schule – repräsentiert von den Architekten Dieter Oesterlen, Friedrich Wilhelm Kramer und Walter Henn – besondere Berücksichtigung finden.

So setzt sich Ira Mazzoni in ihrem Beitrag kritisch mit dem städtebaulichen Kontext bekannter deutscher Uni-Gebäude auseinander. Als Beispiele dienen ihr die Technische Universität München und die von Ferdinand Kramer auf dem Frankfurter Campus erbaute Häuser.  Die Kunsthistorikerin Karin Wilhelm klärt auf über Geschichte und Gegenwart des Hochschulforums von Friedrich Wilhelm Kraemer an der TU Braunschweig, Architekt Frederik Siekmann geht in seinem Text detailliert auf Erscheinungsbild und Bauphysik von Oesterlens Hochhaus auf dem Braunschweiger Campus ein. Doch keine Angst, dies führt durchaus weg aus der niedersächsischen  Uni-Stadt,  denn in den skizzierten Einzelfällen sind übertragbare Probleme und Parallelen zu anderen Bauten dieser ungeliebten Epoche zu erkennen.

Ergänzt werden die hochschulspezifischen Texte durch eine Bandbreite von Einblicken in die Thematik. So zeigt etwa Olaf Gisbertz in seinem Aufsatz, wie die Nachkriegsmoderne und die Kritik an ihr verschiedene wissenschaftliche und gesellschaftliche Ebenen beschäftigte und prägte – eben von Adenauer bis Adorno.

Erfrischend auch der Beitrag von Carl Zillich, der kreative Beispiele eines Weiterbauens mit der Nachkriegsmoderne vorstellt. Er macht damit deutlich, dass nicht allein denkmalpflegerische Argumente zum Erhalt beitragen, sondern fordert eine „Aktualisierung der Nachkriegsmoderne“, die weiter reichen soll als die ewige Zwietracht zwischen Bestandsschutz und Energieeffizienz, die aktuelle Diskussionen vergiftet. Der Stadtplaner und Architekt erkennt die Monofunktionalität als Problem dieser Architektur und plädiert für mehr Anpassungsfähigkeit der Nachkriegsbauten.

Zillichs Text sowie die vielen anderen anspruchsvollen Beiträge aus Theorie und Praxis zeigen, dass Denkmalwerte genauso wie Potentiale des Weiterbaus bei der Bewahrung des unbequemen Nachkriegserbes eine Rolle spielen müssen. Das Buch ist daher sowohl als wissenschaftliches Werk für Spezialisten, aber auch für alle, die am gesellschaftlichen Diskurs über die Nachkriegsmoderne Interesse zeigen, wärmstens zu empfehlen. (Luise Rellensmann)

Nachkriegsmoderne kontrovers
Positionen der Gegenwart
Herausgeber: Olaf Gisbertz für das Netzwerk Braunschweiger Schule
Jovis Verlag, Februar 2012
Hardcover, 208 Seiten
32 Euro

www.jovis.de


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