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12.02.2020

Mit einer Stimme sprechen

Barbara Ettinger-Brinckmann im großen BauNetz-Interview


Im großen BauNetz-Interview spricht die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer Barbara Ettinger-Brinckmann über die HOAI, die Bauakademie in Berlin und die Erfolge ihrer sechsjährigen Amtszeit, die im Herbst 2020 zu Ende geht.

Interview: Friederike Meyer

Frau Ettinger-Brinckmann,
 mit welchem Ziel sind Sie 2013 angetreten? Und haben Sie es erreicht?
Ich wollte der Kammer eine Stimme geben und will, dass wir uns zuerst intern auseinandersetzen und dann einen gemeinsamen Entschluss nach außen tragen, um so als Berufsvertreter mit einer kräftigen Stimme wahrgenommen zu werden. Ich denke, das ist gelungen. Wir haben uns in vielen gesellschaftlich bedeutsamen Gremien eingebracht, in den Wohngipfel, die Baulandkommission, die Wohnungsbauoffensive, die Baukostensenkungskommission, beim DIN, wir haben Verfahren zum seriellen Wohnungsbau mitgestaltet, Fortbildungsstandards für BIM-Schulungen entwickelt. Ich will, dass wir alle wichtigen Themen mitgestalten, unsere Expertise einbringen, für Baukultur kämpfen und dabei auch unsere Interessen begründen und durchsetzen.

Was ist aus Ihrer Sicht die derzeit größte Baustelle?
Der Wohnungsmangel, auch oder gerade weil er regional unterschiedlich verteilt ist. Wir haben die große Chance, das Wohnungsbauprogramm dazu zu nutzen, unsere Städte kompakter zu machen, sie zu reparieren. Überall gibt es Lücken. Und zugleich in Stadt-Umland-Verbünden zu denken, den ländlichen Raum zu stärken. Wir sprechen dabei vom Ziel der „Dezentralen Konzentration“.

Wie kann das Verdichten gelingen und wie können die Architekten dazu beitragen?
Es ist sinnvoll, den Bestand zu entwickeln, den städtebaulichen, um weitere Versiegelung zu vermeiden, und den hochbaulichen. Darin steckt viel graue Energie. Die Studie des Pestel Instituts hat ein Potenzial von 2,5 Millionen Wohnungen ausgemacht, wenn wir aufstocken würden. Wer konkret wird und auf Parkhäusern, Supermärkten oder Verwaltungsgebäuden bauen oder diese umnutzen will, stößt jedoch an rechtliche Grenzen: GFZ, Abstandsprobleme, Gebäudeklasse, Brandschutz, Stellplatzanforderungen. Mit der Bundesstiftung Baukultur plädieren wir für eine Umbaukultur, eine Umbauordnung, die das Umbauen erleichtert. Denn Bestandsbauten sollten nicht zwingend die Anforderungen eines Neubaus erfüllen müssen. Und dabei wollen wir auch die Leerstände außerhalb der Metropolen im Blick haben, die zu reaktivieren sind, wenn begleitende Maßnahmen – Nahverkehr, Breitbandausbau, Schaffung von Arbeitsplätzen – gefördert werden.

Es wird aktuell so viel gebaut wie lange nicht mehr. Was heißt das für die Bundesarchitektenkammer (BAK)?

Ich sehe Chance und Gefahr zugleich. Chance, wenn wir sie nutzen, um Defizite zu beheben. Gefahr, weil in Zeiten der Quantität oftmals die Qualität leidet. Wir wollen aber, dass die Häuser nachhaltig sind, dafür müssen sie gut gestaltet und anpassungsfähig sein. Wir bauen heute auch die Städte und Quartiere für die nächste Generation. Wie ein Mantra sage ich: Bauen ist eine öffentliche Angelegenheit, Bauen ist nie nur privat. Und ich sehe mich bestätigt durch unser Grundgesetz und verweise auf Artikel 14 Absatz 2. Bauen ist eine Aufgabe, die nicht denjenigen allein überlassen bleiben darf, die das Geld haben.
 
Wie kann die BAK die Qualität sichern helfen?
Die BAK muss gute Rahmenbedingungen für Architekten und Planer einfordern, so dass sie ihre Leistungen erbringen können und dass diese Leistungen auch nachgefragt werden. Zu diesen Rahmenbedingungen gehört die HOAI.
 
Im Juli 2019 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Verbindlichkeit der Höchst- und Mindestsätze der HOAI für gesetzeswidrig erklärt. Nun sagen die einen, der Markt wird’s richten, Qualität setzt sich durch. Die anderen befürchten ein Lohndumping und sehen die Existenz vieler kleiner Büros bedroht. Wie reagiert die BAK auf das Urteil?
Wir haben einen Appell formuliert, den wir über die Länderkammern an alle Mitglieder verschicken möchten: „Mindestsätze dürfen unterschritten werden, aber nur dann, wenn weniger Leistungen erbracht werden müssen. Der Mittelsatz sollte als Regelsatz gelten.“ Beim Appell bleibt es natürlich nicht, denn das Urteil muss ja umgesetzt werden. Zusammen mit dem Bundeswirtschaftsministerium als zuständiges Ministerium und den Planerverbänden arbeiten wir an einem Honorarmodell, das sich an der Steuerberatervergütungsordnung orientiert. Damit nicht genug. Denn wir meinen, dass uns der EuGH mit seinem Urteil einen Steigbügel bietet, denn in seinem Urteil bestätigt er, dass Mindestsätze durchaus geeignet sein können, Qualität zu sichern. Dazu müsste aber das System in sich stimmig sein. Das ist in Deutschland nicht der Fall, da Planungsleistungen nicht allein Architekten und Ingenieuren vorbehalten sind, sondern auch von anderen Personen erbracht werden dürfen, die nicht über die entsprechende Qualifikation verfügen. Wir prüfen deshalb unabhängig von der erforderlichen Anpassung der HOAI an das EuGH-Urteil, wie es gelingen kann, Planungsleistungen als Vorbehaltsaufgabe zu etablieren.
 
Was bedeutet Vorbehaltsaufgabe?
Vorbehaltsaufgaben sind Tätigkeiten, die aufgrund ihrer hohen Verantwortung durch gesetzliche Bestimmung nur bestimmten Berufsgruppen vorbehalten sind. Dies ist etwa bei Ärzten und Anwälten der Fall. Aber diese hohe Verantwortung sehe ich auch bei uns Architekten und Planern. Auch wir gehören durch die Wissensasymmetrie zu den Vertrauensberufen. Man muss sich als Patient, Klient oder Bauherr darauf verlassen können, die bestmögliche Leistung zu erhalten, die man ja nicht vorab, sondern erst viel später beurteilen kann. Garant dafür ist eine hohe, fortlaufend überwachte Qualifikation. Dies rechtfertigt, so haben wir den EuGH verstanden, auch die Festlegung verbindlicher Honorarsätze.

Qualität entsteht aber nicht allein durch ein angemessenes Honorar.
Um die Qualität zu sichern, bedarf es der Qualifikation der Leistungserbringer und die geschieht nicht einmalig über die Ausbildung, sondern ist nur garantiert, wenn sich der Berufsstand kontinuierlich fortbildet. Ich wünsche mir, dass alle Kammern einen Fortbildungsnachweis fordern. Der Mehrwert ist immer größer als die Investition. Auch die Einführung der Meisterpflicht im Handwerk begrüßen wir sehr, denn Qualität braucht Allianzen. Vergabe ist natürlich auch ein Schlüsselthema.
 
Sie haben an der jüngsten Novellierung der Vergabeordnung VgV mitgewirkt. Was ist gelungen, was nicht?
Die VgV gilt für öffentliche Auftraggeber oberhalb der jeweiligen Schwelle. Wir wollten, dass der Planungswettbewerb als Regelverfahren in die Vergabe einbezogen ist. Das haben wir so nicht durchsetzen können. Immerhin gibt es jetzt im Gesetz einen programmatischen Satz, der auf die Vorteile des Planungswettbewerbs hinweist. Und der öffentliche Auftraggeber steht unter einem gewissen Rechtfertigungszwang, weil er die Einbeziehung eines Planungswettbewerbs in das Vergabeverfahren prüfen und die Gründe dokumentieren muss, wenn er sich dagegen entscheidet.

Wie können junge Büros in Wettbewerbe reinkommen?
Wichtig ist, die Hürden, die über die Auswahlkriterien definiert werden, so niedrig wie möglich zu halten. Das ist der wichtigste Appell an die Auftraggeber. Und sie sollten die Honorarzone als Komplexitätsindikator nehmen und zulassen, dass sich auch die Jungen mit Projekten ihrer früheren Arbeitgeber bewerben dürfen.
 
Stichwort Vergabe: Sie waren Mitglied der aktuell heftig kritisierten Findungskommission für die Direktion der Bauakademie. War diese gut besetzt?
Fünf Kandidaten waren eingeladen, davon ist einer nicht gekommen. Von diesen verbleibenden vier war Florian Pronold der überzeugendste. Ihm jegliche der in der Ausschreibung geforderten Qualifikationen abzusprechen, wie es manche tun, entspricht nicht den Tatsachen.
 
Ist Florian Pronold der Richtige für die Direktion der Stiftung Bauakademie?
Es geht jetzt um einen Gründungsdirektor, der das Bauwerk Realität werden lassen muss. Dafür braucht man viel Fingerspitzengefühl. Es wird noch große Diskussionen geben in Bezug auf die Rekonstruktion und die Frage: Was heißt "So viel Schinkel wie möglich". Für die Steuerung dieses Prozesses könnte er ein geeigneter Kandidat sein. Dass die Bauakademie endlich wiedergegründet wird, ist eine riesengroße Chance und ich hoffe, dass der Start des Projekts nicht zu sehr verzögert wird. Mir ist bei allem sehr wichtig, dass die Bundesstiftung Baukultur gestärkt wird. Natürlich hätte ich mir vorstellen können, dass die Bauakademie von vornherein anders institutionalisiert wird. Aber das war eine politische Entscheidung.
 
Die BAK war Teil der Reformkommission für Großprojekte. Welche Ergebnisse gab es in Bezug auf die immer wieder heftig debattierten enormen Baukostensteigerungen?
Erstens: Bei der Elbphilharmonie stimmten die Zahlen von vornherein nicht. Hätte man sie ehrlich sagen dürfen, wären sie da gelandet, wo sie heute sind. Das gilt für viele Projekte. Das sind politische Zahlen. Zweitens: Die öffentliche Hand darf Risiken in Kostenschätzungen nicht einbeziehen. Aber Risiken gibt es. Drittens: Erst planen, dann bauen. Das merken wir selbst bei kleinen Projekten und das beweist der BER. Als er mit Haustechnik und Brandschutz durchgeplant war, wurden die Verkaufsflächen verdoppelt!

Erst planen, dann bauen. Wie kann man das einfordern?
Ich würde noch weitergehen: erst den Bedarf vernünftig erfassen, also die Phase Null, wie sie die Bundesstiftung Baukultur nennt, in den Regelablauf einbeziehen. Dann planen und vor allem nichts mehr ändern. Das ist natürlich bei großen und langwierigen Projekten noch schwerer als bei kleinen durchzuhalten. Der Appetit kommt bekanntlich beim Essen. Hier setze ich auf die Digitalisierung. Mit BIM werden wir besser abschätzen können, was Änderungen für Auswirkungen haben, inklusive Kosten- und Zeitfolgen.
 
Was sind die Herausforderungen für die Architektenschaft in den kommenden Jahren?
Erstens: die Nachfolgeregelung der HOAI und ob wir eine Vorbehaltsaufgabe durchsetzen können. Zweitens: die Digitalisierung. Nicht nur in den Büros in unserem Arbeitsalltag, sondern bis hinein in die Städte. Negativ wie positiv: Wenn die Leute nur noch digital einkaufen, überweisen oder ihren Pass beantragen können, gibt es kaum noch einen Grund, in die Stadt zu gehen. Aber laut der "Leipzig Charta" wollen wir die lebendige urbane Stadt. Die Digitalisierung beschert uns neue Produktionsmöglichkeiten, außerdem können Wohnen und Arbeiten wieder besser zusammen gehen. Mit der Novelle des Baugesetzbuches hoffen wir, dass sich die Baunutzungsverordnung in Bezug auf die Gebietskategorien verändert, die auf dem Leitbild der funktionsgetrennten Stadt fußt. Wir wollen eine praxisnahe Korrektur auf dem Weg zur kompakten und lebenswerten Stadt. Drittens: Die Mobilitätswende. Sie wird sehr viel im Städtebau verändern. Das gibt uns vielleicht die Chance, wertvolle Flächen, die heute den Blechlawinen gewidmet sind, zurückzugewinnen für Urbanität. Und enge Stadt-Umland-Verbünde zu knüpfen, um über’s ganze Land gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. Viertens: Wie gehen wir mit den Ressourcen um und wie bauen wir kostengünstig Energiesparhäuser von hoher städtebaulicher und architektonischer Qualität?
 
Das Berufsbild wird sich wandeln. Brauchen wir mehr Stadtplanung in der Ausbildung?
Architekten müssen Stadtplanung lernen und Stadtplaner Architektur verstehen, ganz im Sinne von Luigi Snozzi: Wenn Du ein Haus baust, denke an die Stadt. Konkret: Wir brauchen qualifizierte Planer vor allem in den Kommunen, die Investoren in die Verantwortung nehmen und auch die Politik überzeugen können. Die Wertschätzung von Baukultur muss in die Köpfe aller.

Vor sechs Jahren begann Ihre Amtszeit als Präsidentin der Bundesarchitektenkammer. Worauf sind Sie stolz?
Sagen wir, ich freue mich darüber, dass der Vorstand sehr viel weiblicher geworden ist. Ich war 2004 in Hessen die erste Präsidentin einer Länderkammer und die erste Frau im Vorstand der BAK. Jetzt sind wir dort fünf Präsidentinnen.


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