Das Corporate Design der Lufthansa, den Ulmer Hocker und das Stapelgeschirr TC100 – all diese ikonischen Designs entwarfen Lehrende und Studierende der Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm. Von 1953 bis zur Schließung 1968 sorgte die Designschule mit ihrem innovativen Lehrkonzept und ihrer politischen Programmatik international für Aufsehen. Weniger bekannt sind Arbeiten der Architekturabteilung, die ebenfalls Innovatives leistete. Das Ausstellungsprojekt „Programmierte Hoffnung – Architekturexperimente an der HfG Ulm“, geleitet von Chris Dähne (Goethe-Universität Frankfurt) und Helge Svenshon (TU Darmstadt) in Kooperation mit Martin Mäntele vom HfG-Archiv, zeigt dies eindrucksvoll. Die englischsprachige Begleitpublikation Programmed for Hope – Architectural Experimentation at the HfG Ulm Building Department bietet erstmals einen systematischen Überblick über die Entwicklung und Arbeit der Architekturabteilung und vereint aktuelle Forschungsperspektiven mit umfangreichem Bildmaterial aus dem HfG-Archiv.
Der Titel lehnt sich an ein Zitat des HfG-Schülers und -Dozenten Claude Schnaidt an. Dieser sprach von „vorfabrizierter Hoffnung“, um die idealistische Erwartung auszudrücken, die Abteilung würde die „Welt von morgen“ entwerfen. Den politischen Impetus, der dem Gründungsgedanken von Inge Scholl und Otl Aicher entsprach, die mit der Hochschule einen Ort der Erziehung zur gesellschaftlichen Mitverantwortung schaffen wollten, klammert die Publikation jedoch weitestgehend aus. So lag der Fokus der Architekturabteilung laut Herausgeber*innen weniger auf grundsätzlichen gesellschaftlichen oder politischen Herausforderungen. Vielmehr sei mit dem modularen Bauen auf eine technische Herangehensweise fokussiert worden, die durch Präzision und systematisches Vorgehen die Zukunft hervorbringen wollte – eine „programmierte Hoffnung“. Die Spannung zwischen „pragmatischer Machbarkeit“ und „utopischer Voraussicht“ sehen sie als Essenz des Denkens und Arbeitens an der HfG. Dies wird besonders im Wirken von Herbert Ohl deutlich, der mit Studierenden an innovativen Raumzellen-Strukturen arbeitete: Utopie befand er als Kombination aus technologischer Innovation und sozialer Transformation.
Sich dem Mythos HfG anzunehmen, ist eine Herausforderung. Das gilt auch für die Forschung über die Architekturabteilung und deren dynamische Geschichte. Einen Überblick über die Entwicklung bietet das Buch mit einer Chronologie, anschließend eröffnen Essays aktuelle Forschungsperspektiven. Sie zeigen, wie sich die inhaltliche Ausrichtung der Abteilung unter dem Einfluss von Max Bill, Konrad Wachsmann und Herbert Ohl wandelte. Die Namenswechsel von „Architektur und Stadtplanung“ zu „Bauen“ und schließlich „Industrialisiertes Bauen“ markieren dies programmatisch. Als erster HfG-Rektor stellte Bill den Bezug zum Bauhaus her und entwickelte nach dem Vorbild des Vorkurses die einjährige, fachübergreifende Grundlehre. Während Bill den Fokus auf eine künstlerisch-handwerkliche Ausbildung legte, drängte der Designer Tomás Maldonado bald auf eine stärkere Integration der Wissenschaft, die er als Leiter des Rektoratskollegiums ab 1956 sukzessive durchsetzte.
In der Architekturabteilung spiegelt sich dieser Wandel im Wirken von Konrad Wachsmann und Herbert Ohl, die auf standardisierte Bauelemente und industrialisierte Konstruktionsprozesse setzten, wie Soetje Marie Beermann und Helge Svenshon diskutieren. Zugleich beeinflussten prominente Architekten wie Mies van der Rohe, Frei Otto oder Buckminster Fuller mit Vorträgen einen schnelllebigen Diskurs. Dieser hielt die Hochschule „up to date“, so Chris Dähne, die sich der inhaltlichen Ausrichtung auf wissenschaftliche Methoden widmet, für die Max Bense und Horst Rittel maßgebliche Theoriearbeit leisteten. Das sogenannte „Ulmer Modell“ forderte eine strikt systematische Herangehensweise an den Entwurfsprozess. Auch das war „programmierte Hoffnung“: Architektur sollte wissenschaftlich, interdisziplinär und zugleich sozial verantwortlich entwickelt werden. Das Wirken des Ingenieurs Giuseppe Ciribini zeigt den internationalen Einfluss dieses Lehrkonzepts, das durch Stippvisiten angereichert und in neue Kontexte transferiert wurde. Francesco Maranelli und Pierfrancesco Califano weisen jedoch darauf hin, dass die Entwürfe des industrialisierten Bauens an der HfG mythischen Charakter hatten und oft nicht über das Stadium eines Experiments hinausgingen.
Welche Studienarbeiten das Ulmer Modell förderte, zeigt der umfangreichste Teil des Buches. Mit zahlreichen Abbildungen rekonstruieren die Herausgeber*innen das Curriculum der Abteilung Bauen. Im Zusammenspiel mit den vorhergehenden Essays tritt der wechselnde Fokus und der Einfluss wissenschaftlicher Methoden in den grafischen Übungen, Diagrammen, Modellen und Zeichnungen deutlich zutage. Hier finden sich modulare Wohnkomplexe, eine halbautomatisierte Shoppingmall und ein flexibler Flughafen. Eine zentrale Leistung der Publikation ist es, diese Arbeiten aus dem HfG-Archiv zu systematisieren und einem Publikum jenseits von Ulm zugänglich zu machen. Dabei entpuppt sich die Suche nach innovativen Bauweisen als historischer Vorläufer heutiger Debatten über ein zunehmend technologisiertes Bauen. Vielleicht ließe sich daraus auch lernen, diesen Diskurs stärker mit gesellschaftspolitischen Themen zu verknüpfen.
Text: Hannah Strothmann
Programmed for Hope. Architectural Experimentation at the HfG Ulm Building Department
Chris Dähne, Helge Svenshon und Martin Mäntele (Hg.)
368 Seiten
avedition, Stuttgart 2025
ISBN 978-3-89986-431-1
40 Euro
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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Arcseyler | 12.11.2025 17:44 Uhr.de
Die zum Schluss erwähnten gesellschaftspolitischen Themen haben laut Günther Behnisch damals dazu geführt, dass eine ganze Studentengeneration nicht mehr bauen gelernt hat und die Gestaltung aus der Hand verlor. Dies auch als Lehre daraus.