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27.08.2025

Buchtipp: Ossip Klarwein

Vom Kraftwerk Gottes zur Knesset


Die 1933 eröffnete, evangelische Kirche am Hohenzollernplatz ist ein für Berlin eher ungewöhnliches Gebäude. Solch wuchtig auftrumpfenden Backsteinexpressionismus findet man in der Hauptstadt selten – und in der Tat stammt das Gebäude von Fritz Höger, dem Architekten des Chilehauses in Hamburg. Lange galt Höger als Heroe der hanseatischen Backsteinarchitektur. Seit einigen Jahren wird endlich breiter diskutiert, dass er überzeugter Nationalsozialist und Antisemit war. Deshalb wurde auch der ursprünglich nach ihm benannte Preis 2022 umgewidmet. 

Umso erstaunlicher, wenn man nun im Buch Ossip Klarwein. Vom „Kraftwerk Gottes“ zur Knesset erfährt, dass Högers Büroleiter Ossip Klarwein jüdisch war. Von 1927 bis 1933 arbeitete Klarwein bei Höger, beim „Kraftwerk Gottes“ am Hohenzollernplatz war er maßgeblich entwerferisch involviert. Noch bis in die späten 1930er Jahre tauschten sich die beiden (Höger war seit 1932 Mitglied der NSDAP) auf sehr wertschätzende Weise brieflich aus. Klarwein war da bereits in das britische Mandatsgebiet Palästina emigriert. Der Untertitel der Publikation spannt genau diesen Bogen auf und zeichnet eine nicht untypische deutsch-jüdische Architektenbiografie im frühen 20. Jahrhundert nach.
 
Einerseits nicht untypisch, aber im Falle Klarweins doch außergewöhnlich. 40 Jahre alt war der in Warschau geborene Klarwein, als er im späteren Israel ankam. Er sprach weder Englisch noch Hebräisch, aus dem Judentum war er im Vorfeld seiner ersten Eheschließung 1924 ausgetreten (was für Antisemiten und die NSDAP bekanntlich irrelevant war und ist), gläubig war er nie. Nach fünf Jahren als angestellter Architekt wagte er 1945 die Gründung eines eigenen Büros in Jerusalem. Es folgten erste Aufträge für private Bauherren, dann die Berufung zum Stadtarchitekten von Jerusalem 1948. Ab 1952 arbeitete er an den Dagon-Silos in Haifa, die als Wahrzeichen der Stadt gelten.

Wichtige Projekte Klarweins gingen auf Wettbewerbsgewinne zurück. So konnte er 1951 das Konkurrenzverfahren für die Gestaltung des Grabes für den 1904 verstorbenen, politischen Vordenker des Zionismus, Theodor Herzl für sich entscheiden. Klarwein griff hier auf einen älteren Entwurf zurück, den er 1932 im Büro Högers für ein Reichsehrenmal für die deutschen Gefallenen des Ersten Weltkriegs gezeichnet hatte. Doch so wie das Ehrenmal blieb auch sein Projekt für Herzls Grabstätte unrealisiert.

Zu den interessantesten Episoden im Buch gehört der Streit um Klarweins Entwurf für die Knesset, die zu seinem Hauptwerk werden und ihn weit über Israel bekannt machen sollte. Klarwein setzte im Wettbewerb für das israelische Parlamentsgebäude 1956/57 auf eine Synthese aus strenger Spätmoderne und klassizistischer Ordnung. Von der stramm modernistisch gesinnten israelischen Architektenschaft wurde er heftig kritisiert; die Baugeschichte ist kompliziert und voller Kompromisse. 

Wütend erklärte sich Klarwein in der liberalen Tageszeitung Haaretz 1966 zur Eröffnung des Hauses: „Alle sagen, der Bau sei neoklassizistisch und faschistoid. Aber das stimmt nicht. Lachhaft. Das letzte Gebäude, das ich in Berlin gemacht habe, 1933, ist eine evangelische Kirche. An der Eröffnung konnte ich nicht teilnehmen, weil Göring da war. Damals wurde ich von den Deutschen verunglimpft wegen der Mosaiken. Sie seien ›rassenunrein‹. Und hier wirft man mir vor, die Knesset sei faschistoid!“ 

Den formalen Bezug zur Akropolis verstand Klarwein als Verweis auf die Wiege der Demokratie. Zionistische Symbole oder gar ein Portrait Herzls in der Knesset lehnte er ab. Das Parlamentsgebäude solle ein Ort für alle Israelis sein, notiert er als alter, von den Streitereien um sein Hauptwerk zermürbter Mann. Der fromme Wunsch, dass sich in der Knesset die israelische Gesellschaft über alle religiösen und ethnischen Grenzen hinweg zusammenfinde, ging freilich nicht in Erfüllung.

Text: Gregor Harbusch

Ossip Klarwein. Vom „Kraftwerk Gottes“ zur Knesset

Jacqueline Hénard (Hg.)
160 Seiten
Verlag Kettler, Bönen 2025
ISBN 978-3-98741-197-7
34 Euro

Das Buch ist auch auf Englisch erschienen.


Zum Thema:

Das Buch ist die Begleitpublikation zu einer Ausstellung in der Kirche am Hohenzollernplatz (Nassauische Straße 66/67, 10707 Berlin), die noch bis 16. Oktober 2025 zu sehen ist. Öffnungszeiten: Montag und Donnerstag, 16–18 Uhr, Mittwoch 11–13 Uhr, Samstag 13–15 Uhr. Jeden Donnerstag um 18 Uhr werden Führungen angeboten; eine Anmeldung ist nicht notwendig.

Vom 16. November 2025 bis zum 8. Februar 2026 wird die Ausstellung im Ernst Barlach Haus in Hamburg zu sehen sein.

www.klarwein.org


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Fritz Höger und Ossip Klarwein, Kirche am Hohenzollernplatz in Berlin, 1928–33

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Ossip Klarwein vor dem Fassadenmodell des (unvollendeten und später abgerissenen) Biologie-Gebäudes der Hebräischen Universität auf dem Skopus-Berg in Jerusalem, 1947

Ossip Klarwein vor dem Fassadenmodell des (unvollendeten und später abgerissenen) Biologie-Gebäudes der Hebräischen Universität auf dem Skopus-Berg in Jerusalem, 1947

Ossip Klarwein, Haus Aschner in Haifa, 1937

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Fritz Höger und Ossip Klarwein, Rathaus in Rüstringen (später Wilhelmshaven), Treppenhaus, 1926–29

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