Crystal Talk
Text: Norman KietzmannFotos: Raymond Adams, Iwan Baan, James Ewing, Elizabeth Felicella

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WORKac
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Amale Andraos und Dan Wood haben eine gemeinsame Mission: Sie wollen die Moderne in Amerika rehabilitieren und zeigen dafür sogar den Mut zur Utopie. „Gebäude müssen etwas bewirken“, erklären die Gründer des New Yorker Büros WORKac. Was ihre Projekte verbindet, ist der Bezug zur Natur: Dächer dienen als Parkanlagen, Gemüsebeete schweben über Höfe hinweg und Sonnenstrahlen werden von Lichtfängern in dunkle Blöcke geleitet. Zu bauen bedeutet für sie mehr als nur das Bereitstellen von Bruttogeschossflächen oder das Abwerfen einer Landmarke. Architektur muss Raum für urbane Experimente liefern.


Wer die Präsenz von WORKac im Netz betritt, erblickt ein sich wandelndes Wesen. Klein und schwarz prangt ihr Logo in der unteren Ecke des geöffnen Fensters und verändert seine Gestalt in kontinuierlichem Fluss. Ein treffendes Bild für ein Büro, das weder mit vorgefertigten Antworten noch mit einem verbindlichen Stil daherkommt. Mit ihrer offenen wie interdisziplinären Haltung bringen Amale Andraos und Dan Wood das Selbstverständnis einer neuen Architektengeneration der USA auf den Punkt, die dem gemeinsamen Projekt und nicht dem einzelnen Ego Vorrang gibt.

Seinen Auftakt erlebte das Unterfangen in einem Schmelztiegel auf der anderen Seite des Atlantiks: Rem Koolhaas‘ Büro in Rotterdam. 2002 sind Dan Wood, der zu diesen Zeitpunkt Partner des Office for Metropolitan Architecture war, und Amale Andraos nach New York gegangen, um dort eine Zweigstelle von OMA aufzubauen. Mit dem Gedanken, fortan einen eigenen Weg zu gehen, hatten beide bereits gespielt. „Doch erst hier haben wir bemerkt, dass es spannend wäre, tatsächlich gemeinsam als Team weiterzumachen“, blickt Amale Andraos zurück. Die gebürtige Libanesin wuchs in Beirut, Paris und Montreal auf und absolvierte ihr Architekturstudium an der McGill University in Montreal sowie in Harvard. Dan Wood stammt aus Rhode Island und lebte längere Zeit in Paris, bevor er nach Rotterdam zu Rem Koolhaas ging. Sein Architekturstudium hatte er an der University of Pennsylvania sowie an der New Yorker Columbia University abgeschlossen.


Dass sie ihrem Büro den Namen „Work“ gaben, war kein Zufall. „Es ging nicht darum, ein Geheimnis um uns selbst zu machen. Wir wollten vielmehr ein kollektives Architekturverständnis zum Ausdruck bringen“, erklärt Amale Andraos. Nach zahlreichen kleinen Projekten und Innenausbauten gelang ihnen mit dem Studio der New Yorker Modedesignerin Diane von Fürstenberg (2004-2007) der Durchbruch. Die Renovierung und der Dachausbau eines Fabrikgebäudes im Meatpacking District nahm wichtige Parameter ihrer späteren Arbeiten vorweg.

„Wir sind geradezu besessen vom Tageslicht und wollen den Außenraum stets nach Innen holen“, sagt Amale Andraos. Ein Treppenhaus durchschneidet das Gebäude als diagonale Achse, die das Sonnenlicht von der Dachterrasse bis tief ins Innere des Blocks hineinholt. Spiegel an der Decke und an den Wänden des Tunnels unterstützen die Wirkung, während ein kristallförmiger, gläserner Körper auf dem Dach als Lichtfänger wirkt. Das Zusammenspiel von Innen und Außen haben Amale Andraos und Dan Wood ebenso mit ihrem Neubau der „Kew Gardens Hill Library“ (2008) im New Yorker Stadtteil Queens weitergeführt, dessen begrüntes Dach zur Straßenseite angehoben wurde und Bürgersteig und Handbibliothek auf einer Ebene zusammenbringt.



Auf die Durchdringung von Architektur und Natur setzt ihr Entwurf für ein Kunst- und Kulturzentrum auf der acht Hektar großen Insel „Neu-Holland“ in St. Petersburg. Obwohl nur wenige Gehminuten von der Eremitage entfernt, unterstand die Insel lange dem Militär und war für die Öffentlichkeit gesperrt. Für knapp 300 Millionen Euro soll das einstige Werftgelände, das 1719 im holländischen Baustil errichtet wurde, zu einer Stadt in der Stadt entwickelt werden. Der Siegerentwurf, mit dem Amale Andraos und Dan Wood 2011 den internationalen Wettbewerb gewinnen konnten, zeigt mehr als eine glatte Sanierung. „Wir können nicht über Gebäude nachdenken, ohne die Landschaft mit einzubeziehen. Sie bilden für uns ein Ganzes“, macht Amale Andraos deutlich.

Wo es nötig ist, rücken sie der historischen Substanz mit dem Skalpell zu Leibe und machen Platz für begrünte Lichthöfe. Wenn während des langen russischen Winters der große Park in der Mitte der Insel nicht genutzt werden kann, werden die Aktivitäten kurzerhand über künstliche Landschaften ins Innere der Gebäude verlagert. Es spricht Bände, dass Amale Andraos dabei kein Wort über die prominenten Bauherren verliert – Russlands Oligarchen Roman Abramovic und seine kunstaffine Freundin Dasha Schukowa. Worüber sie spricht, sind Architektur, Raum und Programm.

Ein Vorhaben, mit dem WORKac parallel zu ihrem Projekt in St. Petersburg beauftragt wurde, ist die Versammlungshalle für das Treffen der Afrikanischen Union in Gabun. Als Teil des Regierungsplans „Grünes Gabun“ soll der nachhaltige Bau bis Sommer 2014 auf einem Hügel inmitten der Hauptstadt Libreville entstehen. Neben einem Auditorium mit 1000 Sitzplätzen verfügt der kreisförmige Bau über drei ovale Höfe, in denen die unterschiedlichen Vegetationen des Landes gezeigt werden sollen. Indem das Dach zur Talseite eine Neigung erfährt, werden die begrünten Höfe künftig auch von der Stadt aus sichtbar sein.


Der Projektname „L‘Assemblé Radieuse“ ist mehr als nur ein Verweis auf den runden Grundriss und erweist ebenso den eigenen Vorbildern Tribut. „Ich glaube, dass wir in unserem Inneren eine modernistische Ader haben. Es ist spannend, im Tandem mit aufstrebenden Ländern zu arbeiten, die schon in den fünfziger und sechziger Jahren die Moderne begeistert angenommen haben“, erklärt Amale Andraos. Ihre umfassenden Ensembles konnten selbst Le Corbusier oder Louis Kahn weder in Europa noch in Nordamerika realisieren, sondern in den jungen Demokratien Indien und Bangladesh.

Dass WORKac 2009 den Utopien und großen Planungen der fünfziger bis siebziger Jahre das Ausstellungs- und Buchprojekt „49 cities“ gewidmet haben, ist nicht nur ihrer beider Lehrtätigkeit geschuldet. Amale Andraos unterrichtet fest an der New Yorker Columbia University, während Dan Wood ab Herbst 2013 den Louis-Kahn-Lehrstuhl an der Yale School of Architecture übernehmen wird. Das Interesse zeigt auch das Aufbegehren einer neuen Generation, für die Architektur mehr als das Bereitstellen von Bruttogeschossflächen oder das Abwerfen einer Landmarke bedeutet. Sie traut sich, den Status Quo des Bauens mit eigenen, radikalen Vorschlägen in Frage zu stellen.

„Die Städte haben ihre Überlegenheit gegenüber den Vorstädten längst bewiesen – sei es in puncto Lebensqualität oder Umweltbelastung. Sie sollten zu Laboratorien für Experimente werden, die wir heute viel stärker brauchen“, ist Amale Andraos überzeugt. Und wenn sich die Politik damit schwer tut, urbane Spielwiesen bereit zu stellen, suchen sie sich diese kurzerhand selbst. „Locavore Fantasia“ heißt die 2008 entwickelte Version einer terrassenartig gestapelten Landschaft, die neben Anbauflächen für Obst und Gemüse auch über einen kleinen Golfplatz verfügt. Auch wenn eine Umsetzung des geneigten Bio-Hochhauses als unwahrscheinlich gilt, ist Amale Andraos und Dan Wood dennoch eine Annäherung geglückt.



Auf den Höfen des MoMA-Ablegers „PS1“ in Queens haben sie 2008 eine temporäre Installation für die jährlichen Sommerparties des Ausstellungszentrums geschaffen. Anstatt, wie ihre Vorgänger das Thema eines „urbanen Strandes“ zu bedienen, konzipierten sie eine urbane Farm. „40 Jahre nach dem Sommer 1968 haben wir gefühlt, dass es an der Zeit ist für eine neue Freizeit-Revolution. Es geht darum, ein neues Symbol von Freiheit, Wissen, Macht und Spaß in den heutigen Städten zu schaffen“, formulierten WORKac ihr Ziel. Unter einer Welle aus Pappröhren, die mit 51 verschieden Obst-, Gemüse- und Kräuterarten bepflanzt wurden, enstand ein schattenspender Treffpunkt und Veranstaltungsort. Unter die Besucher mischten sich auch sechs ausgesetzte Hühner mitsamt zwölf Kücken, die während des Sommers Eier legten und den spielerischen Ansatz unterstrichen.

Die Konsequenz dieser Arbeit war kein Ärger mit dem Tierschutz, sondern der Auftrag für den Bau von New Yorks erstem Schulgarten im Stadtteil Brooklyn. Der „Edible Schoolyard PS216“ soll Kindern den Anbau von Lebensmitteln nahe bringen, während in einer großen Küche gemeinsam gekocht und gegessen wird. Die Besonderheit des Projektes bildet ein rollbares Gewächshaus, das in den Wintermonaten knapp 150 Quadratmeter Anbaufläche bedeckt und im Frühling und Sommer über das Küchen-Klassenzimmer geschoben werden kann. Dass die Idee urbaner Landwirtschaft keine Eintagsfliege ist, zeigt die Fortsetzung des Projektes mit dem „Edible Schoolyard PS7“, den WORKac zurzeit im Stadtteil Harlem realisieren. Auch wenn die Umsetzung der ganz großen Utopien noch ein wenig Zeit benötigt, begnügen sich Amale Andraos und Dan Wood keineswegs mit Warten. Sie entwerfen Projekte, die mehr als nur Fassaden liefern und den utopischen Gedanken in kleine, machbare Häppchen für den Alltag transferieren.