Crystal Talk
Text: Friederike MeyerFotos: Torsten Seidel, Cristobal Palma, FAR

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FAR Frohn&Rojas
FAR Frohn&Rojas

Es war vor acht Jahren, als Mario Rojas Toledo (Jg. 1973) in Houston/Texas landete. Auf dem Weg von Deutschland nach Mexiko hatte er einen Zwischenstopp eingelegt, um seinen Studienfreund Marc Frohn (Jg. 1976) zu treffen. Im Vordiplom an der RWTH Aachen hatten sie oft zusammen gearbeitet, dann war Marc weggegangen, nach Neapel, zu Rem Kohlhaas, später in die USA, wo er seinen Master machte. Mario hatte unterdessen im Büro von Oscar Niemeyer gearbeitet, bei gmp und Eun Young Yi. Seine Familie kommt aus Chile, der Bekanntenkreis ist groß. Und jetzt hatte er einen Auftrag im Gepäck. Ein Wohnhaus für maximal 100.000 Euro. Das 5000 Quadratmeter große Grundstück liegt in der Peripherie von Santiago de Chile. Die Bauherren, kurz vor dem Ruhestand, wollten von Deutschland zurück in die alte Heimat ziehen. Drei Tage lang diskutieren die beiden Architekten, wie das funktionieren könnte. Dann gründeten sie FAR.

Zwei Leute, zwei Rechner, zwei Kontinente und Skype, das sind die Umstände, unter denen das Wohnhaus entstand. Während sie tagsüber in anderen Büros arbeiteten, Marc Frohn in Köln bei b&k+brandlhuber&co, Mario Rojas Toledo in Mexiko Stadt bei Bernardo Gómez-Pimienta, dachten sie nachts über das Verhältnis von Innen und Außen nach, über Raumgrenzen und Material. Den Alterssitz der Bauherren entwickelten sie um einen Betonkern herum, bauten es aus mehreren Schichten auf und schufen Räume, die alle konventionellen Vorstellungen auf den Kopf stellen. Ihr Werk nannten sie Wall House - eine Hommage an den berühmten Entwurf von John Hejduk, der sich 1969 ähnliche Fragen gestellt hatte. Der Bau wurde zur Attraktion. Als die Arbeiter den Betonkern gossen, verbreitete sich in der Nachbarschaft das Gerücht von einem Hochhaus. Als sie das aus Deutschland importierte Polycarbonat um die Holzregale montierten, sprachen alle vom Glashaus. Und kaum hatten sich die Nachbarn an den Anblick gewöhnt, spannten FAR ein Gewebe darüber, das sich im Laufe des Tages von der transparenten Haut zum Spiegel wandelt und normalerweise beim Anbau von Pflanzen verwendet wird.


Nicht nur die Bauherren und ihre Nachbarn waren fasziniert von dem Fremdkörper, der da am Rande der Großstadt entstanden war. Das Wall House eroberte die Zeitschriften weltweit, wurde in Ausstellungen und im Fernsehen gezeigt und in Büchern veröffentlicht, gemeinsam mit Projekten von Zaha Hadid, Toyo Ito und Herzog & de Meuron. Über Nacht wurden FAR bekannt als die deutschen Architekten, die es in Chile geschafft hatten. Mit ihrem ersten Projekt. Preise in Deutschland, Großbritannien und Italien folgen, ein Biennale-Auftritt in Venedig, Wettbewerbseinladungen.


Inzwischen hat FAR 16 Mitarbeiter. In Santiago de Chile führt Mario Toledo Rojas das Geschäft, in Berlin ist es Marc Frohn, in Los Angeles kümmert sich jemand um die Vermarktung des Wall House, das sie als Typenbau im Internet anbieten und damit eine aktuelle Diskussion aufgreifen. Ist ein Haus ein maßgeschneidertes Produkt oder ein Prototyp? Und gibt es vielleicht etwas dazwischen? Das Wall House sehen FAR nicht als Lösung, sondern als Modell.

Es ist das gründliche Hinterfragen von Aufgaben, dieses „Auf-links-stülpen“, wie es Marc Frohn bezeichnet, das ihre Projekte kennzeichnet. Auch die Entwürfe, die FAR zu Wettbewerben einreichen, sind nicht immer als Lösung gedacht, es sind keine „präzisen Setzungen mit zurückhaltend gestalteten Fassaden“, so wie es Jurys gern in ihre Beurteilungen schreiben. FARs Vorschläge sind provokant.
Für den Neubau der deutschen Botschaft in Belgrad geben sie unter anderem zwei Bilder ab. Eines zeigt die Fassade zur Straße mit einem feinmaschig wirkenden Geflecht aus Aluminiumschaum, ein anderes zeigt diese Fassade nach einem Brandanschlag. Es ist ihre Reaktion auf eine Auslobung mit 50 Seiten Sicherheitsanforderungen und zwei Seiten Raumprogramm, ein angenommener Zustand, der entworfen werden sollte, finden sie.

Wo manche Architekten an Geschosszahlen und Fensterformate denken, überlegen FAR zunächst, wie sie aus der Aufgabe ein übergreifendes Thema ableiten können. Die örtlichen Gegebenheiten sind dafür willkommener Anlass.
Zum Beispiel das Baurecht. Bei der Dachaufstockung eines Londoner Wohnhauses werden sie mit dem „Right to light“ konfrontiert, einer Regel, die in England unabhängig vom Baugesetz existiert. Dernach gilt für jedes Fenster, das älter als 20 Jahre ist, dass im dahinter liegenden Raum auf Tischhöhe mindestens 0,2 Prozent des Himmels sichtbar sind. Oder so ähnlich. FAR überprüften die komplizierte Rechnung, die ihnen der in solchen Fällen obligatorische Right-to-light-Ingenieur für die 27 betreffenden Fenster vorgelegt hatte, rechneten selbst noch einmal nach und holten das Dreifache an Grundfläche für den Bauherren heraus.

Um mehr als schöne Räume geht es auch bei ihrem Projekt „Hinterland“. Die Planung für ein Wohnhaus in Köln nahmen sie zum Anlass, um über die Verdichtung von Blockinnenbereichen nachzudenken, und entwickelten ein internetbasiertes Softwaremodell. Damit soll es möglich werden, anhand von Geschoss- und Grundflächenzahl, google maps-Daten und Katasterplänen die maximal mögliche Kubatur auf Grundstücken zu visualisieren und zu berechnen. Es soll die Kommunikation zwischen Bauherren, Nachbarn, Stadt und Bank bei der Bauvoranfrage erleichtern und Kosten für die Machbarkeitsstudie sparen. Ein Programmierer sitzt derzeit an der Feinarbeit, ein Anwalt am Patentantrag.


Vielleicht ist es ja genau diese Suche nach Themen jenseits der Baustelle, die ihnen im Jahr 2010 den Preis der Architectural League in New York, einen der wichtigsten Preise für junge Architekten in den USA, einbrachte. In der damit verbundenen Ausstellung wollten sie keine Projektschau inszenieren, sondern zeigen, wie sie arbeiten. Aus vier Styropor-Kugeln ließen sie Elemente ihrer bisherigen Projekte, die Silhouette des Wall House oder ein Schnitt der Belgrader Botschaft, dreidimensional ausfräsen. Von Diskokugel-Motoren angetrieben, von Strahlern beleuchtet und von Ikea-Kosmetikspiegeln reflektiert, landeten die Schatten der Kugeln vielfach vergrößert an der Wand. Eine Arbeitsweise im Sinne von „mad science“ wie Marc Frohn es nennt: den Kontext verstehen, aufbereiten und neu zusammenstellen, in einer Art, wie man es nicht erwartet, überspitzt und ja, radikal.

Die Ausstellung transportierten sie im Handgepäck nach New York. Wie die Modelle auch. Die teils skurrilen Koffer und Kisten, in denen sie ihre Arbeiten zwischen den Kontinenten hin und her transportieren, gehören genauso zu FAR wie das tägliche Skype. Marc erzählt gern von den verwirrten Blicken der Stewardessen, wenn er mit dem zur Modellkiste umfunktionierten Kettensägenbehältnis um die Schulter geschnallt in die Kabine steigt. Auch bei unserem Gespräch steht eine dieser Kisten am Tisch. In ihr steckt das jüngste Projekt von FAR, das temporäre Goethe-Institut in Santiago de Chile.



Weil die Villa, in der das Goethe-Institut in Santiago untergebracht ist, erdbebensicher sein und energetisch saniert werden muss, wurde für vier Jahre eine Etage in einem Bürohaus angemietet, mit halb so viel Fläche wie in der Villa, 17 Meter tief und entsprechend dunkel. FAR ließen einen Katalog aller vorhandenen Möbel aus dem Altbau erstellen, entwickelten daraus Raumteiler und stellten diese, dem Einfall der Sonne entsprechend radial zur Fassade auf. Den üblichen Repräsentationsvorstellungen begegneten sie mit unverkleidet verlaufender Haustechnik, einer Ausstellungswand aus Akustikschaum, und einem beweglichen Vorhang aus Industriekissen, die ein chilenischer Segelmacher zusammengenäht hat. Alle Räume werden mehrfach bespielt. In drei Jahren wird zu sehen sein, wie FAR den Stammsitz des Goethe- Instituts, die Villa, bearbeiten. Beim Erfüllen technischer Vorgaben wird es nicht bleiben. Der abgestufte Bris-Soleil entlang der Hoffassade soll ein Doppelleben als open-air Sitzfläche entwickeln.

Vor kurzem haben FAR ihren ersten Auftrag in Berlin bekommen. Ein Haus mit 19 Wohneinheiten aus den 60er Jahren soll aufgestockt und energetisch saniert werden. Es ist eine Aufgabe mit Modellcharakter. FAR werden wohl erstmal wieder viele Fragen stellen.