Crystal Talk
Text: Oliver ElserFotos: Torsten Seidel, Hans Christian Schink, AFF

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Direkt am Ende der Straße liegt das Berghain, der Berliner Club, von dem jeder schon mal gehört hat. Ansonsten ist es eine ruhige Gegend, in der sich das Büro von AFF Architekten befindet: Verborgen hinter dem immer noch riesigen Aral des „Neuen Deutschland“, in einem stilistisch höchst reizvollen Gebiet, zumindest, wenn man den Klassizismus der 1950er Jahre zu schätzen weiß, der die nahe Karl-Marx-Allee ebenso prägt wie die stille Wedekindstraße. „Hans Kollhoff würde hier bei uns jubeln“, scherzen die Brüder Sven und Martin Fröhlich während des Gesprächs. Ja, tatsächlich, denn das Büro befindet sich in den Räumen einer ehemaligen Bezirksbücherei aus dem Nationalen Aufbauprogramm der DDR, deren Wände fein mit Holz vertäfelt wurden, alles noch im neo-preußischen Stil gefertigt. Zehn Mitarbeiter („inklusive zwei Praktikanten“) arbeiten derzeit bei AFF Berlin. Wobei es auch noch AFF Chemnitz gibt, das Zweigbüro, das von dem dritten Partner, Alexander Georgi, geleitet wird. Es entstand, um näher bei der Baustelle des bisher größten Auftrags sein zu können, dem Um- und Ausbau des sächsischen Schlosses Freiberg zum Archiv und Mineralien-Museum. Dort gibt es Kristalle, wohin man auch schaut!

Doch das ist nicht der Grund, warum der Besuch bei AFF längst überfällig war. Die Brüder zählen seit einigen Jahren zu den interessantesten „jungen“ Büros in Deutschland. Martin Fröhlich ist Jahrgang 1968, Sven Fröhlich Jahrgang 1974. Beide sind in Magdeburg geboren, haben Architektur in Weimar studiert, Sven Fröhlich zusätzlich noch Visuelle Kommunikation. Interessant an ihnen ist, dass sie im Unterschied zu vielen anderen, die einfach „saubere Arbeit“ leisten wollen, häufig über die Stränge schlagen. Die beiden aktuell fertiggestellten Projekte sind auf jeweils eigene Weise extrem. Sie zu einem schlüssigen Ganzen zu fügen, einer Bürophilosophie, will nicht recht gelingen. Denn da steht auf dem einen Ende des Spektrums ein Betonblock: Die von den Fröhlich-Brüdern zum eigenen Gebrauch umgebaute, ehemals hölzerne „Schutzhütte“ im Erzgebirge, direkt an der deutsch-tschechischen Grenze. Es ist ein Haus wie aus dem Manufaktum-Katalog, nein: ein Haus das die Manufaktum-Spießer mit den eigenen Waffen zu schlagen weiß! Davon später mehr. Das gegenüberliegende Ende des AFF-Spektrums, so könnte man sagen, nimmt ein Schulgebäude ein, das unter den gegenwärtigen Berliner Billigbau-Bestimmungen entstanden ist, die Anna-Seghers-Gemeinschaftsschule, eine Grundschule in Berlin-Adlershof. Die Außenhülle ist das Gegenteil des Beton-Bollwerks der „Schutzhütte“, denn sie besteht aus einem Wärmedämmverbundsystem, das allerdings mit einem mit Farbe aufgetragenen Punktraster überspritzt wurde. Innen sind alle Flure in schrilles Gelb getaucht. Das Schulhaus erscheint wie ein gebautes Bild, das Ferienhaus hingegen als Skulptur.


Beim allerersten Projekt der Brüder, einem schrill pinkfarbenen Grüppchen von Toiletten- und Dusch-Containern auf einem Freibadgelände in Magdeburg, gelang ihnen mit einfachsten Mitteln eine Verzauberung des Gewöhnlichen: Die Container sind noch erkennbar, bekamen aber schräge „Hutzen“ aufgesetzt und einen schrillen Anstrich verpasst. Das Ergebnis der gestalterischen Fingerübung ist ein schöner Beleg, wofür man Architekten braucht. Nämlich nicht zum Behübschen oder als Hüter der guten Form, sondern weil sie ein Gespür dafür haben, wie man mit großen Gebilden so umgeht, dass es weder kokett bescheiden noch allzu aufdringlich wirkt – obwohl hier das brüllende Pink schon deutlich jenseits dessen liegt, was man gemeinhin für geschmackvoll hält.

Dass die Arbeiten von AFF so sympathisch sind, hat sicher auch etwas damit zu tun, dass sie bisher eher einfache bis leicht kuriose Bauaufgaben bearbeitet haben, deren knapp bemessene Budgets sie zum Improvisieren gezwangen. Ihre Webseite listet auf den ersten Blick nur fünf Projekte auf: Neben den bereits erwähnten lediglich noch eine Reihe Wohnhäuser im Musterbaugebiet „Am Horn“ in Weimar. Doch gleichzeitig zu diesen fünf wichtigsten Arbeiten sind zahlreiche kleinere entstanden: Wohnhäuser zumeist, als Um- oder Neubauten, in letzter Zeit auch Entwürfe für Ausstellungsarchitektur. Erst vor kurzem gewannen sie den ersten Preis bei einem Wettbewerb zur Neugestaltung des Foyers der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik (welch Name!) in Bonn. Auch bekannt als der Gustav-Peichl-Bau mit den merkwürdigen Zuckerhutspitzen.



Ihr bisher größtes und umfassendstes Projekt, das Schloss Freudenstein, gab ausreichend Gelegenheit, die Beherrschung von Innenräumen bis hin zur Möblierung zu trainieren. Das Freiberger Projekt ist tatsächlich so etwas wie ein Gesamtkunstwerk: Der Innenausbau erfolgte maßgeschneidert, bis hin zu den Handläufen im Fluchttreppenhaus. Auch mit der Gestaltung der Dauerausstellung der mineralogischen Sammlung wurden sie beauftragt. Was ihnen dabei an Material anvertraut wurde – all die Mineralien, Kristalle, Drusen, all das Fachwissen über deren Abbau in großer Tiefe – haben sie als Metaphernbergwerk verstanden und zur Gänze in ihren Entwurf hineingeschaufelt: Bis hin zu den schrägen Tischbeinen der Bibliotheksausstattung wurde das Thema des „Kristallinen“ in immer neuen Anläufen in den Entwurf hineingearbeitet. So offensiv eine „erzählerische Architektur“ zu erzeugen, gerät leicht unter Kitschverdacht. Er ist unbegründet. Aber man muss doch festhalten, dass seit Hans Holleins Vulkanmuseum (1994-2002, Saint-Ours-Les-Roches, Frankreich) niemand mehr den Versuch unternommen hat, Naturprodukte auf vielfältige Weise zu abstrahieren und in Architektur zu übersetzen.

Mineralien und die Bergbautradition im sächsischen Freiberg sind für AFF nicht allein ein formales Thema. An der Behandlung des großen Archivkörpers, der in die Hülle des Schlosses eingestellt wurde und sich wiederum über „Hutzen“ nach Außen zeigt (vieles ist „verhutzt“ bei AFF), kann noch ein anderer Dreh des Denkens in Metaphern und Bildern studiert werden: Der riesige Betoneinbau, dem auch historische Substanz zum Opfer fiel, ist aus Beton, dessen Oberfläche von Bauarbeitern mit Presslufthämmern bearbeitet wurde. Das ist doch ...? Richtig: Es ist ein ähnlicher Prozess wie die Arbeit der Bergleute im Stollen Untertage! An solchen Denkmustern hätten einige Meisterdenker der Postmoderne großen Gefallen gehabt, allen voran der Architekturmuseumsgründer Heinrich Klotz, der sich dafür einsetzte, dem seelenlosen Funktionalismus der Nachkriegsjahre – er nannte ihn gerne „Bauwirtschaftsfunktionalismus“ – einen neuen, frischen Fiktionalismus entgegenzusetzen. Ein Gebäude soll, kurz gesagt, Geschichten erzählen können. Wer die Fröhlich-Brüder kennengelernt hat, der würde gewiss zustimmen, dass auch Science-Fictionalismus recht passend wäre, diesen seltenen Fall der nicht nobel auf sich selbst bezogenen, sondern aus vielen Quellen sprudelnden Architektur zu beschreiben.


Das jüngste und radikalste Werk, die Beton-Schutzhütte im Erzgebirge, macht da keine Ausnahme. Auch dieses Haus kann gelesen werden wie eine Erzählung – mehr dazu im folgenden Interview. Doch es ist auch stark und rätselhaft. Das harte, einfache Leben, das uns das Betonhaus verspricht, ist wahrscheinlich viel härter und einfacher, als wir es von dem Wohlfühlpurismus aus dem Manufaktum-Katalog kennen. Dieses Haus ist ein politisches Statement, das ist den Brüdern wichtig: Für weniger Komfort und mehr Vernunft im Umgang mit den endlichen Ressourcen. Auf seine Weise ein „Green Building“ in grimmigem Grau.