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Text: Benedikt HotzeFotos: Grüntuch Ernst

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Viele der interessantesten "mitteljungen" Berliner Architekturbüros umgibt ein angelsächsisch-internationales Flair. Sei es, dass die Inhaber binationale Paare sind wie bei Sauerbruch Hutton, Barkow Leibinger oder auch Deadline; sei es, dass sie zumindest ihre Lehr- und Wanderjahre im Ausland – in der Regel in London – absolviert haben und sich dort auch zuerst begegnet sind, wie Grüntuch Ernst.

Rückblick: Zwei junge Architekten treffen Ende der achtziger Jahre in London aufeinander und werden privat und beruflich ein Paar. Almut Ernst, 1966 in Stuttgart geboren, hatte ebendort Architektur und Stadtplanung studiert. Armand Grüntuch, 1963 im lettischen Riga geboren, hatte in Aachen sein Diplom gemacht. Er arbeitet bei Norman Foster, sie bei Alsop & Lyall.
1991 eröffnen sie gemeinsam ihr Büro in Berlin. Große Hindernisse scheint es nicht gegeben zu haben: "Warum man 1991 nach Berlin ging, muss man nicht erläutern", sagt Almut Ernst. Die Stadt brummte nach dem Mauerfall, und den Architekten gelang hier eine erstaunliche Karriere, von der zu reden sein wird.

Dem Büro Grüntuch Ernst gebührt seit November 2005 aber noch aus einem weiteren Grund Aufmerksamkeit: Das Architektenpaar ist ausgewählt, als "Generalkommissare" den deutschen Beitrag der Architekturbiennale 2006 in Venedig zu konzipieren und vor Ort umzusetzen. Ein großer Erfolg für die Architekten, die sich der Jury nicht nur mit ihrem Ausstellungskonzept, sondern auch mit ihrem "vielfach ausgezeichneten" eigenen Werk und ihren "Erfahrungen im Ausstellungsbereich" empfohlen haben.
Über ihr Ausstellungskonzept für Venedig wird indes noch nicht viel verraten, nur zwei Themen sind bekannt: "Verdichtung bestehender Stadträume" und "aktuelle Beispiele von Umnutzungen, Lücken- und Brückengebäuden".





Das klingt vertraut, denn eine Baulücke markierte für Grüntuch Ernst schließlich den Durchbruch: Nach acht Jahren Plaunungs- und Bauzeit wurde im Jahre 2000 in Berlin-Mitte das Haus fertig gestellt, das seitdem den Dreh- und Angelpunkt in ihrem Œuvre darstellt. Das gebaute Manifest von Grüntuch Ernst. Wer mit ihnen sprechen will, kommt um das Haus sowieso nicht herum: Das Büro der Architekten ist gleich hier, im ersten Stock.

"Einfach sexy!", so die Süddeutsche Zeitung über das gläserne Haus. Unbestreitbar: Das Glas-Architektur-Wunder von Berlin ist nicht etwa die verunglückte Akademie von Behnisch am Pariser Platz – es ist das Haus am Hackeschen Markt von Grüntuch Ernst.
Neben dem mächtigen Tor-Bauwerk zu den Hackeschen Höfen gibt es eine fast völlig in Glas aufgelöste Fassade zu sehen, ein elegantes, großzügiges Büro-, Wohn- und Geschäftshaus, das sich allem zu widersetzen scheint, was in Berlin als obligatorisch gilt: Traufhöhe, Steinfassade, stehende Fensterformate. Es ist das urbane Meisterwerk von Grüntuch Ernst, das die geltende Gestaltungssatzung nicht nur erfüllt, sondern sein Kapital aus den Restriktionen dieser Regeln schlägt.

Und dann alles richtig macht: Zu den Hackeschen Höfen hin werden Proportionen und Geschosshöhen der Nachbarn feinsinnig aufgenommen, während die Architekten zur anderen Seite, zur heterogenen und niedrigeren Bebauung am Beginn der Oranienburger Straße, mit einem Kunstgriff reagieren: Eine haushohe Glasfuge vermittelt zwischen dem Neubau und dem Bestand. Die Fuge enthält vorne zwei doppelt geschosshohe Besprechungsräume.

Hier sitzen die Architekten ihrem Besucher gegenüber. Almut Ernst ist groß, sie hat glatte, zurück gesteckte Haare. Sie kann druckreif sprechen, und man traut ihr mit ihrer konzentrierten Aura sofort das Organisationstalent im Büro zu.
Armand Grüntuch gibt mit seiner prächtigen schwarzen Lockenmähne eher den Schöngeist, vielleicht auch den Bonvivant, dessen Gedankenfluss auch einmal abschweifen darf. So ergänzen sie sich perfekt im Gespräch, nehmen Bälle auf, die ihnen der jeweils andere zuspielt – sicher eines ihrer Erfolgsgeheimnisse.





Vom Besprechungsraum aus bietet die Szenerie zum Hackeschen Markt hin eine maximale Konzentration urbaner Reize, alle paar Minuten gleitet eine Straßenbahn vorbei. Zur anderen Seite fällt der Blick in einen grandios inszenierten Schlitz entlang der enormen Brandwand in die Tiefe des Gebäudes hinein.
Wenn es irgendwo ein Epizentrum der jungen, kreativen, internationalen Szene in Berlin gibt, dann hier. Am Hackeschen Markt sitzen Musiklabels, Agenturen, Modemacher – Anziehungspunkt für eine ausgehwillige, kulturbeflissene Jeunesse dorée, die sich Tag und Nacht durch die enge Rosenthaler Straße schiebt. Grüntuch Ernst fühlen sich in dieser Kulisse offensichtlich wohl.

Auf dem Boden des Besprechungsraums liegen unzählige Arbeitsmodelle. Durch den Schlitz sieht man den Laubengang, der zur Eingangstür des Büros führt. Hier geht ständig jemand ein und aus. Wenn sich die Tür öffnet, fällt der Blick in das Großraumbüro. 15 Mitarbeiter blicken konzentriert in die Bildschirme ihrer Macs, eine Hierarchisierung der Arbeitsplätze gibt es nicht. Die junge Praktikantin, die sich um Bildbearbeitung kümmert, sitzt neben erfahrenen Projektarchitekten. Wenn man im Büro anruft, kann es gut sein, dass man die Chefin direkt am Telefon hat. "Ich bins selbst", sagt sie dann.

Hier entsteht die Architektur von Grüntuch Ernst. Sie haben keinen festgelegten Stil und kein bevorzugtes Material als "Markenzeichen". Auch formal changieren sie undogmatisch zwischen der nüchternen Geometrie der Moderne und der freien Form – Kontraste sind ihr Leitmotiv. Damit lassen sich ihre Wurzeln und Einflüsse umreißen: Da sind zum einen die kühle, High-Öko-Tech-Haltung aus Großbritannien, die man mit den Namen Foster und Rogers verbindet, und zum anderen die Einflüsse aus der organischen, Naturphänomenen nachempfundenen Architektur, wie sie von Frei Otto seit Jahrzehnten erforscht wird. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich das Werk nicht nur von Grüntuch Ernst, sondern auch ihrer international geprägten Generationskollegen.





Die in der Folge des Hauses am Hackeschen Markts entstandenen innerstädtischen Bürohaus-Projekte folgen diesem in der Grundhaltung: Klare Formen, großzügige Verglasungen, technisch aktivierte Fassaden, ganzheitliches Energiekonzept. Wo Vorhandenes einbezogen wird, dient es dem Neuen als Stichwortgeber.
Radikaler und freier in der Form sind dagegen Entwürfe für solitäre Bauten. Beispiele: Beim Wettbewerbsbeitrag für die Europäische Zentralbank stehen frei verteilte, von einem Stahl-Glasnetz überzogene gläserne Türme auf einem amöbenförmigen Sockel. Das Medienzentrum für die Fußball-Weltmeisterschaft erinnert an ein angespitztes Zäpfchen, und die abgerundeten "Floating Homes" könnten aus dem Set eines Science-Fiction-Films stammen. Eine Realisierung dieser originellen Wasserheime steht im Moment allerdings noch in den Sternen. So ist jedes Haus für die Architekten ein Unikat, jede Aufgabe wird grundsätzlich angegangen.
Und das führt augenscheinlich zum Erfolg: Die Architekten haben kürzlich Wettbewerbe für ein Hotel in Flensburg und ein Kaufhaus in Bremen gewonnen, in Planung oder in Bau sind außerdem unter anderem Büro- und Wohnhäuser in Berlin sowie Wohnungsbauten in Hamburg. Und der deutsche Pavillon ist da noch gar nicht erwähnt...

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