Crystal Talk
Text: Oliver HerwigFotos: Andrea Altemüller, Stefan Müller Neumann, Simone Rosenberg

Interview

Interview nagler

Da gibt es jemanden, der macht anständige Sachen.
Interview mit Florian Nagler


Meistens schiebt sich das Eilige vor das Wichtige, wie arbeiten Sie eigentlich, haben Sie einen Tagesplan?


Den haben wir nicht. Ich könnte auch nicht sagen, dass manche Projekte Vorfahrt genießen, wir haben ganz unterschiedliche – vom Kuhstall bis zur Freien Universität Berlin. Uns interessiert jede Aufgabe, wenn sie für uns etwas thematisch Spannendes aufweist. Die kleinen werden auch fast genauso intensiv bearbeitet wie die großen.

Und das Große muss das Kleine mitfinanzieren.

Kleine Aufträge sind in der Regel defizitär, wenn man sie so ernsthaft betreibt, wie wir es tun.Deshalb machen wir Einfamilienhäuser nur dann, wenn wir sie gar nicht ablehnen können, für Bekannte, Freunde oder Verwandte.

Sie sagten, es müsse spannend sein. Wie kann man Sie für ein Eigenheim gewinnen?

Der Bauherr muss ein Typ sein, bei dem man das Gefühl hat, mit dem kann man was machen, an dem kann man sich auch reiben. Nichts ist uninteressanter als jemand, der sagt, hier sind zwei Millionen, bau‘ mir ein Haus und mache, was du willst. Da würde ich gar nicht wissen, wo ich ansetzen soll.




Also reizt Sie die Beschränkung?


Genau. Begrenztes Budget und klare Vorstellungen, die sich gar nicht mit meinen decken müssen, sind eine gute Voraussetzung. Da kann sich etwas entwickeln. Natürlich ist es schön, wenn es um ein reizvolles Grundstück geht, nicht im Einfamilienhausbrei, aber selbst das könnte eine Herausforderung sein, bei der man sich richtig Gedanken machen muss, wie man sich positioniert und einfügt. Wichtig ist der Bauherr, der uns fordert, der uns die Chance bietet, etwas zu entwickeln.



Aber nicht nur durch Geld – durch zu viel oder zu wenig Mittel.

(lacht) Das ist immer eine Herausforderung. Aber vielmehr geht es um Wünsche – und um Vorschläge, sie zu lösen. Dann streitet man und rauft sich zusammen. Wer an einem Ergebnis interessiert ist, kommt wohl zu uns, jemand, der unsere Bauten kennt, und merkt, dass sie nicht über einen Kamm geschoren werden.

Wie funktioniert Akquise? Die wenigsten kennen doch Häuser vor Ort, es gibt Zeitschriften, Preise, Wettbewerbe ...

Unsere großen Projekte kommen über Wettbewerbe, die tragen uns in der Regel auch. Die kleinen entstehen durch Mund-zu-Mund-Propaganda, nicht über Publika-tionen.


Das heißt: Publikationen sind ganz nett, schön im Kollegenkreis, aber bringen kaum etwas? Wie steht es denn mit Baufachzeitschriften, die von potentiellen Auftraggebern gelesen werden, bringen die wirklich nichts?

Bei öffentlichen Bauherren ist es vielleicht wichtig, um uns in Erinnerung zu rufen: Da gibt es jemanden, der macht anständige Sachen. Wobei ich das nicht forciere. Wir schicken nicht jede Woche Infos an Zeitschriften.

Sie können sich also zurücklehnen. Genial. Die Leute kommen auf Sie zu.

(lacht) In der Regel schon. Wobei es uns schon freut, wenn unsere Häuser Aufmerksamkeit erregen und veröffentlicht werden.

Gab es wirklich noch nie einen Auftrag aufgrund einer Publikation?

Noch nicht, obwohl, den Auftrag zum Datenwerk, das eben den BDA-Preis erhalten hat, bekamen wir über Presseveröffentlichungen, über Kritik am Kirchenzentrum Riem. Polemik gegen unsere zwölf Meter hohen Mauern.

Die Kirchenfestung ...

... genau. Ralf Lemkau aber fand es sympathisch, dass es jemanden gibt, der nicht so stromlinienförmig ist und seinen Entwurf gleich umplant.




Scheint ein idealer Bauherr zu sein. Hat er Ihnen Freiraum gegeben oder nur Reibungsflächen geboten?

Er wusste, was er wollte, und hatte klare Vorstellungen, wie sein Betrieb laufen sollte. Gestalterisch hatte er zunächst eigentlich kaum Vorgaben gemacht. Dann haben wir natürlich auch über Gestaltung diskutiert, auf einer sehr konstruktiven Basis.


Das Datenwerk ist eine Art Kloster geworden ...

... die Assoziation hatten wir überhaupt nicht. Das mag daher kommen, dass die Nutzer das Licht fürchten, weil sie hauptsächlich am Bildschirm arbeiten, zudem war es im vorherigen Büro immer dunkel, mit heruntergelassenen Rollos. Das war tödlich für die Arbeitsatmosphäre. Da setzten wir an, beim Licht. Direkte Sonneneinstrahlung gibt es gar nicht: Das große Fenster weist nach Norden, im Süden gibt es ein Vordach und die Begrünung, die wie ein zusätzlicher Filter wirkt. Laut Herrn Lemkau war früher permanent irgendjemand krank; das hat sich in Wohlgefallen aufgelöst, weil die Arbeitsbedingungen besser sind.

Sichtbeton macht gesund. Wie waren denn die Reaktionen auf das Datenwerk?

Es gab keine, außer von Kollegen, die es gut fanden. Ich nehme an, dass es die meisten Riemer nach wie vor verstört, aber wenn es irgendwann einmal ganz grün sein wird, dürfte es niemanden mehr provozieren. Es hat in dem Architektur-Schaulaufen, das dort gerade stattfindet, eine eher zurückhaltende Position.

Sie sagten, Architektenkollegen fanden das Haus gut. Es hat ja nicht umsonst den BDA-Preis der Jury erhalten und nicht den des Publikums. Woher kommt es denn, das die beiden Welten so auseinanderklaffen, dass Architekten eine eigene Sprache sprechen, die das Publikum nicht versteht?


Das ist schon so, aber ich würde für uns in Anspruch nehmen, dass wir ganz hart daran arbeiten, diese Lücke zu schließen. Beim Kirchenzentrum ist es gut gelungen. Am Anfang gab es großen Widerstand: Da baut jemand eine Mauer um die Gotteshäuser. Jetzt, wo es steht, ist die Akzeptanz sehr hoch. Architektur als Provokation macht aus meiner Sicht keinen Sinn, sie soll ja kein Selbstzweck sein, sie steht im öffentlichen Raum und muss sich vernünftig damit auseinandersetzen. Es ist mir ein Anliegen, Häuser zu bauen, die zwar nicht jedem gefallen müssen, sich aber ihrer Verantwortung im öffentlichen Raum bewusst sind und nicht provozieren sollen. Das Datenwerk konnte den Publikumspreis wohl nicht erhalten, weil es sich schwer abbilden lässt, die Jury war hingegen vor Ort.



Braucht moderne Architektur einen hohen Grad an Vermittlung?

Ich hoffe nicht. Das bezog sich auf das Datenwerk. Die Dinge müssen für sich selbst sprechen. Wenn man sich erst eine Stunde vor das Haus stellen muss, um zu erklären, wie es zu verstehen ist, dann ist es schon falsch. Häuser brauchen eine Selbstverständlichkeit, dass man sie vor Ort versteht. Nach dem Warum fragt der normale Betrachter nicht, ob es Widerstände gab, Probleme.

Sie haben schon einige Kriterien genannt für gute Architektur. Auch wenn es keine Formel geben kann, was ist denn für Sie persönlich entscheidend?


An erster Stelle: der Ort. Er stellt viele Anforderungen, die es einzuhalten gilt. Architektur muss klar sein, wir versuchen mit einer einfachen und überschaubaren Lösung zu antworten, kompliziert wird es dann von alleine. Es sollte „normal“ sein. Gerade Wände kann der Maurer gut bearbeiten, und wenn es besondere Anforderungen gibt, z. B. eine Apsis in der Kirche, wird man es anders machen. Funktionen sind spannend und prägen darüber hinaus das Haus, am Schluss aber interessiert mich die Frage, wie es gemacht ist. Ich spreche nicht von konstruktiver Ehrlichkeit, aber für mich ist es wichtig, dass es eine schlüssige Konstruktion ist, die nachvollziehbar ist. Das kommt daher, dass ich eine Zimmererlehre gemacht habe und verstehen möchte, wie zwei Balken zusammengefügt sind. Fast schon ein bisschen altmodisch. Den Bauherren und seine Bedürfnisse möchte ich in der Aufstellung auch nicht missen.




Haben Sie denn ein Lieblingsstück, einen Lieblingsbau?

Mir wächst ans Herz, was ich gerade mache, im Augenblick ist es der Kuhstall, an dem wir arbeiten. Andererseits gibt es auch keine Projekte, die wir verstecken müssen. Jedes Haus für sich ist an der Stelle, an der es steht, ein bescheidener Beitrag zur Baukultur.

Sie bearbeiten ein großes Spektrum. Die Kirche haben Sie schon, fehlt noch etwas – das Museum?


(lacht) Nicht unbedingt. Vielleicht das große Bürogebäude. Da haben wir uns bisher schwer getan, weil man nicht die Möglichkeit hat, sich am Bauherren zu reiben. Meistens steht da: Wettbewerb 10.000 Quadratmeter, damit kann ich schwer umgehen. Das würde ich gerne mal beweisen: Dass es uns möglich ist, ein gutes Bürohaus zu errichten.


Müssten Sie dazu nicht die Struktur des Büros ändern? Manche, wenn es um Direktaufträge geht, verlangen – sagen wir mal – 60 CAD-Arbeitsplätze.

Dann ist es eben kein Auftrag für uns, das ist nicht die Größenordnung, die ich anstrebe. Jetzt sind wir rund zehn, und für die Größe sind wir relativ erfolgreich.

Wo liegt die Grenze?

Wenn meine Frau wieder stärker einsteigt, rund 16. Bei 20 würde ich es gerne kappen.

Können Sie gut delegieren?

Nicht so richtig. Wenn ich darüber nachdenke, lagen Probleme oft bei mir, weil ich Dinge nicht rechtzeitig kommuniziert und delegiert habe. Ich schaue gerne auf alles drauf, das geht bei der Größe ziemlich gut. Mich interessiert beispielsweise auch beim Kuhstall, wie die Schrauben reingedreht werden. Das ist zwar arbeitsintensiv, aber für mich ist es wichtig, dass die Arbeit Spaß macht.

Die Rolle des Architekten wandelt sich. Was halten Sie vom Architekten als Dienstleister?

Wir versuchen auch diesen Part zu übernehmen, weil der Bauherr viel Geld in die Hand nimmt und wir damit verantwortlich umgehen müssen. Wir nehmen Kosten und Termine ernst und sehen, dass Dienstleistung integraler Bestandteil unserer Tätigkeit ist. Ich habe damit kein Problem, solange ich nicht missbraucht werde.

Hängt die EXPO noch nach?

Nein. Wir hatten das Glück, den Direktauftrag für die Halle in Bobingen zu erhalten. So haben wir uns durch die Arbeit aus dem Sumpf ziehen können. Dann konnte man gar nicht mehr über die Misere nachdenken.

Das heißt, es braucht immer die richtige Konstellation von Architekt und Bauherr?

Ja, finde ich schon. Ohne Bauherren geht es halt nicht.



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