Crystal Talk
Text: Benedikt HotzeFotos: Hans-Peter Böning, Fred Plassmann (Stills)

Interview

Interview graft

GRAFT
Zum Fototermin hatten wir noch alle drei Grafts zusammen in die Ausstellung in der Galerie Aedes bekommen. Zum Interview im Berliner Graft-Büro in der Heidestraße empfingen uns dann Lars Krückeberg und Thomas Willemeit – Wolfram Putz war schon wieder unterwegs.


Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?

Thomas Willemeit
Zum ersten Mal aufeinander getroffen sind wir gleich am ersten Tag der Erstsemester- Einführungswoche an der TU Braunschweig. Richtig gut kennengelernt haben wir uns dann in einem Chor an der Uni, den wir selbst gegründet haben. Mit diesem Jazz-Chor sind wir bis nach Italien und in die Vereinigten Staaten gereist.


Lars Krückeberg
Und die dritte Stufe war dann der Zeichensaal. Wir waren zuerst in verschiedenen, schon bestehenden Zeichensälen, doch richtig Spaß gemacht hat es, als wir einen gemeinsamen eigenen Zeichensaal aufgemacht haben, den es heute noch gibt. Die Zeichensäle sind ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung in Braunschweig. Das selbstorganisierte Architektur-Lernen dort funktioniert wie ein Generationenvertrag: Junger Student hilft Diplomand, Diplomand gibt ihm dafür Korrektur. Daraus ist eine Form des kreativen Austauschs entstanden, die wir seitdem leben. Bis heute versuchen wir, diese Kultur des Zeichensaals ins Büro zu holen.


Ihr habt 1998 an dem von BauNetz ausgelobten Architektur-Internet-Preis teilgenommen und einen Preis gewonnen. Wart ihr da schon Graft?

Lars Krückeberg
Ja. Ich glaube, das war das Projekt „Graft 4“; auf jeden Fall unterhalb der Nummer 10. Ein sehr frühes Projekt.

Und was kam nach „Graft 4“?

Lars Krückeberg
Da ist vieles gleichzeitig passiert. Wir sind nach Los Angeles gegangen und haben dort zunächst Garagen in Studios umgebaut, wie man das als junger Architekt in L. A. halt so macht – Schwarzbrot, um Geld zu verdienen.




Doch haben wir uns nie auf ein Gebiet allein verlassen. So haben wir zum Beispiel auch geschrieben und das Las-Vegas-Heft für die Stadtbauwelt mitinitiiert. Außerdem haben wir viel für San Francisco und das Silicon Valley, die eCommerce-Branche, gemacht: neue Büro-Welten für Young Turks, die 24/7 arbeiten und überhaupt kein Privatleben mehr haben. Wie gestaltet man da Begegnungszonen, wie verschafft man diesen Typen eine Freundin?
Und schließlich haben wir uns früh an Kunstprojekten versucht und waren an der Biennale in Santa Fé beteiligt. Zu der Zeit haben wir auch das erste Haus für Brad Pitt gestaltet und sind seitdem mit ihm in Kontakt. Am Anfang haben wir Projekte für ihn, später dann mit ihm entwickelt.

Was genau habt ihr damals für ihn gebaut?


Lars Krückeberg
Das allererste Haus war sein Gästehaus. Er sollte darin eine Weile leben, während er sein schönes Arts&Crafts-Haus restaurieren lassen wollte. So haben wir uns kennengelernt. Daneben stand ein weiteres Haus, das er abreißen lassen wollte. Doch wir hatten eine andere Idee und sagten ihm: „Du brauchst einen Ort, an dem du denken und arbeiten kannst, an dem wir zusammen arbeiten können.“ Wir haben es dann komplett umgebaut, es wurde ein ganz anderes Haus draus – in dem Studio finden heute Meetings und Präsentationen statt.

Nutzt oder schadet euch eure Freundschaft zu dem Star?

Thomas Willemeit
Zu sagen, dass es schadet, wäre ja schon ein bisschen vermessen. Natürlich nutzt es, und wir sind uns dessen auch gut bewusst. Inzwischen sind wir aber längst echte Freunde, und da wir wirklich Wert auf die inhaltliche Zusammenarbeit mit ihm legen, tritt seine Berühmtheit für uns in den Hintergrund.

Hollywood und ein paar schicke Interiors: Dieses Bild haftet euch seit Jahren an – und ist doch längst überholt. Was baut ihr heute?

Thomas Willemeit
In Berlin haben wir verschiedene Innenausbauten, eine zweite Zahnarztpraxis – und wir schlagen eine temporäre Kunsthalle auf dem Schlossplatz vor, die uns sehr umtreibt.




Lars Krückeberg
Außerdem bauen wir eine große Villa vor den Toren der Stadt. Ein spannendes und ambitioniertes Ding, über das wir allerdings nicht viel reden dürfen: Der Kunde möchte damit nicht an die Öffentlichkeit.

Diese Villa am See erinnert an das Haus Baensch von Scharoun, ebenfalls eine Lage über dem Wasser. Steckt Scharoun, der Organiker, als Einflussgeber in euch?


Thomas Willemeit
Treffer! Es gibt unglaublich gute Projekte von ihm, die uns fasziniert haben. Stichwort Philharmonie – der zeitgenössische Versammlungsort für Musik schlechthin. Ich kenne keinen besseren, der so poetisch aufgeladen ist und so eine unglaublich gute räumliche Atmosphäre bietet. Ich hatte mal die Gelegenheit, dort mit einem Chor aufzutreten: ein tolles Erlebnis!

Colin St. John Wilson hat ein Buch über die „vergessene Moderne“ geschrieben. Darin geht um die freien, organischen und dynamischen Formen in der Architektur. Die inspirieren uns. Wilson weist nach, dass es diese Stränge als parallele Entwicklung zum Mainstream der Moderne immer gegeben hat, auch wenn sie in der Wahrnehmung eher im Schatten der funktionalen, rechtwinkligen und weißen Architektur gestanden haben.

Kommen wir zu euren internationalen Projekten.


Lars Krückeberg
Wir bauen nach wie vor in den USA: Zunächst eine Pool-Anlage mit Restaurants und Bars auf der größten Baustelle Amerikas, dem City Center Project in Las Vegas. Der Gesamtentwurf ist von Cesar Pelli; Foster und Libeskind bauen dort Hochhäuser. Pools zu gestalten hört sich vielleicht klein an, aber für uns ist es gigantisch: Einen größeren Pool gibt es gar nicht in der Welt!
Außerdem gestalten wir ein großes Hotel in New York in einem der Türme des World Trade Center. Im „New Orleans nach Katrina“ schließlich haben wir in Zusammenarbeit mit vielen anderen ein städtebauliches Projekt, bei dem es um Low-Income-Housing, um Nachhaltigkeit für die Armen geht – an einem Ort, in den sonst wahrscheinlich niemand reingehen würde.

Thomas Willemeit
In Georgien bauen wir ein großes Interhotel um sowie neun Villen am Hang oberhalb von Tiflis neu. Außerdem haben wir im Herzen von der Stadt einen städtebaulichen Auftrag für größere Wohnanlagen auf 100.000 Quadratmetern in Aussicht. In Lettland schließlich haben wir ein Wohngebäude vor den Toren Rigas, direkt am Strand.




Und in Asien?

Lars Krückeberg
In Tokio planen wir ein Appartementhaus, einen Zehngeschosser über den Roppongi Hills. In China gibt es mehrere Projekte in Dalian. Zum einen eine ganze Bucht mit Hotels, Restaurants und Geschäften in Form einer Sichel. Zum anderen unser größtes Projekt überhaupt: „Dalian Daily“. Das sind zwei Wohntürme, einer 180, einer 120 Meter hoch, und dazu ein Büroturm – insgesamt ein Riesenvolumen, das jetzt vom Bürgermeister abgesegnet wurde. Spatenstich soll noch dieses Jahr sein.

Bei Aufgaben wie Zahnarztpraxen und Hotels habt ihr eine eigene Handschrift entwickelt. Doch wie ist das bei solchen internationalen Hochhausprojekten? Ist da nicht mehr oder weniger alles vorgegeben?

Thomas Willemeit
Natürlich schnellen die Kosten sofort in die Höhe, wenn man aus dem traditionellen Raster einer lokalen Bauweise ausbricht. Aber wir gehen eigentlich immer an die Grenze des Machbaren – und dann kann man durchaus auch einiges erreichen.


Lars Krückeberg
Wir müssen bei dieser Frage vor allem zwischen den Bauaufgaben unterscheiden. Bei einem Büroturm hat der Kunde meist noch das Interesse, sein eigenes Gesicht zu zeigen und dafür auch Geld auszugeben. Bei Wohnhochhäusern ist das dagegen anders. Hier gibt es unzählige verschiedene Kunden mit unterschiedlichen Ansprüchen und Wünschen. Daran ist der Investor jedoch nur so lange interessiert, bis alle Wohnungen verkauft sind. Wenn es dann ans Bauen geht, wird gemeinhin gespart – zu Lasten der Qualität.
Apartement-Türme sind eine der schwierigsten architektonischen Aufgaben, die es gibt. Als international tätige Architekten müssen wir uns ihr jedoch stellen, denn die Metropolen dieser Welt – die letzte Biennale hat es gezeigt – verdichten sich. Es wäre eine reine Nostalgiedebatte, zum Beispiel in China darüber nachzudenken, wie viele alte Stadtstrukturen erhalten werden können – wo doch jeder weiß, dass die Massen kommen und Wohnungen brauchen.

Zurück nach Deutschland: Was steckt hinter eurer „Kunstwolke“ für den Berliner Schlossplatz?

Thomas Willemeit
Als die Zeitschrift „Monopol“ uns gebeten hat, an diesem „Ideenskizzen-Wettbewerb“ teilzunehmen, hat uns das Thema total angemacht. Es ging darum, ein Bild für einen Ort zu entwickeln, der schon hunderttausend Mal überplant wurde.
Wir haben schnell beschlossen, für die Darstellung zeitgenössischer Kunst eine gänzlich unmonumentale, ephemere Figur zu entwerfen. Herausgekommen ist dann dieses schwebende Etwas, was manche Leute Wolke und manche UFO nennen. Uns geht es darum, einen poetischen Ausdruck für die Präsentation von Kunst zu finden – und nicht den oft beschworenen „neutralen“ Hintergrund, den es ja gar nicht geben kann. Jeder Hintergrund erzählt eine Geschichte.

Angesichts dieses Projekts: Welchen Einfluss hat der Computer für euren Entwurfsprozess? Lasst ihr die Maschine die Form generieren, und der Entwerfer sagt nur noch an der richtigen Stelle „Stop“?

Thomas Willemeit
Auch beim computerunterstützten Entwerfen muss ja irgendjemand Bedingungen, Kennwerte oder Parameter vorgeben. Beim Entwurf für den Schlossplatz sind wir von Michelangelos Kapitol in Rom ausgegangen, einer freien, scheinbar völlig von seiner umgebenden Bebauung unabhängigen Figur, die aus zwei unterschiedlichen Kreisen besteht. Mit diesen Geometrien gefüttert, haben wir den Computer benutzt, um eine Figur zu erzeugen, die mehrfach gekrümmt ist – eine Figur, die man früher nur bildhauerisch entwickeln konnte.




Lars Krückeberg
Der entscheidende Punkt bei so einer computergenerierten Formfindung ist: Warum sagt man Stop? Und wie sagt man „Stop“? – „Stop – das muss ich noch mal verändern“ oder „Stop – das ist es!“ oder „Stop – es war das davor...“ – Kriterien, einen Entwurf in seiner Vielschichtigkeit zu beurteilen. Um mal Vitruv zu bemühen: Schönheit, Nützlichkeit, Festigkeit – all das muss da drin stecken. Mit Freude erfüllt uns, wenn wir „Stop“ sagen und sehen: „Das ist schön.“
Kant setzt Schönheit mit Interessantheit gleich. Das ist letztendlich, was uns umtreibt: Was macht etwas interessant?

Zum Schluss vom Interessanten zum Praktischen. Stichwort: Jet-Lag-Architekten: Wie kriegt man drei Büros in drei Kontinenten unter einen Hut? Was sind das für Leute, die bei euch arbeiten?


Lars Krückeberg
Jet-Lag-Architekten“ ist schön gesagt – das trifft es viel besser als „Jet-Set-Architekten“, wie wir auch schon genannt wurden. Gerade, wenn man drei Standorte hat und immer in der Coach-Class sitzt: Die Zeit, in der es noch aufregend war zu fliegen, ist lange, lange vorbei.

Die Synergie-Effekte, die wir uns von den drei Büros versprochen haben, fangen jetzt erst langsam an zu greifen. Es ist uns nun möglich, Leute zu verschicken: Deutsche, die in Amerika arbeiten, die sich – so wie wir damals – neu informieren lassen. Die in einem neuen kulturellen Umfeld schneller, intelligenter, bastardisierter werden, robuster. Und umgekehrt schicken wir inzwischen mehr und mehr Angelinos hier nach Berlin.
Nach China, in unser jüngstes Büro, gehen vor allem Deutsche. Chinesen außer Landes zu kriegen ist dagegen schwieriger. Grundsätzlich streben wir eine heterogene Mischung an – je internationaler, desto besser.

Thomas Willemeit
Die ideale Graft-Mitarbeiterin sitzt übrigens im China-Office: eine Chinesin, die an der Columbia studiert hat und mit einem Österreicher verheiratet ist. Die perfekte Synergie-Personalie!


Was haben eure drei Standorte noch gemeinsam?

Lars Krückeberg
Los Angeles, Peking und Berlin sind Städte, in denen sich unglaublich viel bewegt, wo große Dynamik herrscht. Es sind Orte, die wunderschön und gleichzeitig extrem hässlich sind – Laboratorien des Städtebaus. Und genau deshalb sind wir dort.

Thomas Willemeit
Veränderung zieht uns magisch an. Wo Veränderung ist – da springen wir rauf. Das macht uns Laune. Koolhaas hatte sich mit Grausen von Berlin abgewandt: Berlin sei genau dann wiedervereinigt worden, als es intellektuell dazu nicht in der Lage war. Ganz so weit würde ich nicht gehen, obwohl es in der Stadt schon einige verpasste Chancen gibt. Doch darüber wollen wir nicht lamentieren, denn Berlin ist groß und vollgepackt mit Energie – die Geschichte geht nach vorne, und es kommt auf die Menschen an, jetzt etwas draus machen.

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