Crystal Talk
Text: Friederike MeyerFotos: Pinar Gedikozer, Christopher Horne, Prem Krishnamurthy,
Iwan Baan, Robert Huber, Superpool

Interview

Superpool


Der Weg zum Büro von Superpool führt an Elektroläden und Uhrmachern vorbei. Zwei Straßen weiter tanzen die Fähren auf den Wellen des Bosporus, um die Ecke liegt das Kunstmuseum Istanbul Modern. Im Eingang des vielleicht 40 Jahre alten Bürogebäudes hängt ein hölzernes Schild mit altmodischer Beschriftung „3. Kat Superpool“. Der weiß lackierte Boden bringt die riesige Büroetage zum Leuchten. Zwischen den Stützen verteilen sich die Anwesenden an fünf langen Tischen. Pläne an der Wand zeigen Detailzeichnungen für ein Einfamilienhaus. Kisten und Ordner füllen ein Metallregal. Sie sind gerade eingezogen.

Warum habt Ihr ausgerechnet in Istanbul Euer Büro Superpool aufgemacht?

Selva Gürdoğan:
Nachdem ich sieben Jahre im Ausland war, wollte ich zurück nach Istanbul.


Gregers Tang Thomsen:
Die Architekturszene in Istanbul ist noch undefiniert. Hier gibt es was zu tun.

Ihr wart damals gerade mal 27 und 33 Jahre alt.

Selva Gürdoğan:
Naja. Architekten arbeiten doch Tag und Nacht. Da zählt ihr Alter in Hundejahren.

Hattet Ihr, als Ihr in Istanbul angekommen seid, einen Auftrag in der Tasche?

Selva Gürdoğan:
Nein. Wir hatten ein Hochzeitsgeschenk meiner Eltern. Etwas Startkapital.

Gregers Tang Thomsen:
Und einen Büroraum am Taksim Platz, für den wir keine Miete bezahlen mussten. Die Mieter hatten ihre Firma geschlossen, mussten aber in den Räumen noch ein Jahr lang erreichbar sein. Das schreibt das Gesetz vor.


Selva Gürdoğan:
Wir hatten also deren Briefkasten und den Teemann.

Einen Teemann?

Selva Gürdoğan:
Ja, er kocht den ganzen Tag Tee. Jedes Büro in der Türkei hat einen.

Und wo ist der Teemann hier in Eurem neuen Büro?

Selva Gürdoğan:
Wir haben keinen mehr. Wir geben das Geld lieber für unser Kindermädchen aus.

Aha. Jetzt ist klar, warum hinter dem Regal ein paar Spielsachen hervorblitzen

In welchem Teil der Stadt befinden wir uns hier?

Gregers Tang Thomsen:
In Tophane. Ganz in der Nähe des Kreuzfahrtschiff-Terminals. Hier gibt es viele kleine Läden. Du kannst eigentlich alles kaufen oder jederzeit jemanden finden, der dir dabei hilft. Die Ladenbesitzer arbeiten zusammen, sie verlassen sich aufeinander. Das sind gut funktionierende Netzwerke, Ökosysteme in sich.

Selva Gürdoğan:
Tophane hat noch einen eigenen Charakter. Man kann mit Leuten Mittag essen gehen, die seit 20 Jahren hier arbeiten. Das ist schön und typisch Istanbul.


Typisch altes Istanbul? Klingt nicht gerade nach Begeisterung für die Transformation der Stadt.

Selva Gürdoğan:
Früher blühte hier das Import-Export-Geschäft. Die großen Zollvereinigungen, viele Notare und Dienstleister sind inzwischen verschwunden. Dafür sind die Architekten- und die Ingenieurkammer hergezogen. Mittlerweile füllt sich die Gegend auch mit Büros von Kreativen.

Gregers Tang Thomsen:
Es wäre unpassend für uns, in eines der neuen Geschäftsviertel zu ziehen. Wir sind kein „Corporate“-Büro.

Selva Gürdoğan:
Wir haben schon in so vielen Städten gelebt und neigen dazu, Orte zu suchen, an denen die Stadt einzigartig ist. Wir kennen die Stadt aber eigentlich auch noch gar nicht so gut.


Wie bitte? Ich dachte, Ihr seid Istanbul-Spezialisten.

Selva Gürdoğan:
Niemand kennt diese Stadt richtig gut. Informationen werden vage gehalten. Das scheint politisch gewollt. Natürlich verursacht das eine Menge Spekulation. Aber es hat vielleicht auch gute Seiten. Das ist die östliche Kultur. Karten, auf die wir uns in Europa verlassen, sind hier eher selten. Die Menschen orientieren sich eher auf eine soziale, erzählende Art. So nach dem Motto: bis zur Moschee und dann nach links.


Wolltet Ihr diese Kultur mit „Mapping Istanbul“, dem Buch, das die sozialen und ökonomischen Unterschiede in den einzelnen Stadtvierteln kartiert, ändern?

Gregers Tang Thomsen:
Wenn wir die Stadt weder verstehen noch darüber reden, können wir sie auch nicht verbessern. Planer brauchen Karten zum Entwerfen. Egal ob in Europa oder in Asien.

Rem Koolhaas hat bereits vor Jahren angefangen, einzelne Gebiete der Welt aus Sicht der Planer zu kartieren. Seht Ihr Euch in dieser Tradition?


Selva Gürdoğan:
Im Westen ist das seit 20 Jahren ein Trend. Und es ist einfach allgemein eine gute Möglichkeit, schnell und verständlich zu kommunizieren. Wir haben das von OMA gelernt. Als wir dort gearbeitet haben, hatten wir immer nur extrem wenig Zeit, um Rem unsere Idee zu erklären. Was wir sagen wollten, musste visuell eindeutig sein.


Ich versuche mir vorzustellen, wie die Gespräche mit Euren Bauherren ablaufen. Selva, die Türkin, Gregers, der blonde Nordeuropäer.

Selva scheint auf diese Frage gewartet zu haben.

Selva Gürdoğan:
Wir nutzen dies zu unserem Vorteil; manche Bauherren finden es schwierig mit einer Frau zu sprechen, manche mit einem Ausländer.

Sprichst Du türkisch, Gregers?

Gregers Tang Thomsen:
Nicht gut genug, um zu verhandeln. Aber die Hälfte unserer Auftraggeber spricht Englisch.

Selva Gürdoğan:
Normalerweise rede ich. In heiklen Situationen Gregers.

Wie läuft so eine Verhandlung ab?

Gregers Tang Thomsen:
Wir identifizieren das Problem, zeigen, wie wir es lösen wollen, und erklären die Vorteile unserer Idee.

Selva Gürdoğan:
Neulich haben wir eine Präsentation eines deutschen Architekten gesehen. Er stand vor seinem Entwurf und sagte: „Ich glaube, das Gebäude ist großartig.“ Mit dieser Art kann man auch erfolgreich sein.

Gregers Tang Thomsen:
Aber wir sind mehr am Dialog interessiert.

Auch in unserem Gespräch wird das deutlich: Selva antwortet, als würde sie einen Tennisball rückhand über das Netz schmettern. Gregers hingegen bemüht sich immer wieder, unser Gespräch in Balance zu halten.

Ihr beide lebt die Verbindung von Ost und West. Könnte man Superpool als ein Synonym für das bezeichnen, was Istanbul ausmacht?


Selva Gürdoğan:
Irgendwie schon. Gregers und ich sind eine ungewöhnliche Kombination. Wir bringen Gegensätze zusammen.

Gilt das auch für Eure Mitarbeiter?

Gregers Tang Thomsen:
Derzeit sind wir vier Architekten und drei Praktikanten, darunter zwei Deutsche und ein Ungar. Wir hatten zum Beispiel auch schon Mitarbeiter aus Korea, Kanada, Dänemark, Spanien...


Die beiden rollen mit ihren Bürostühlen zum Nachbartisch. Darauf liegen jede Menge Modelle aus Styrodur. Sie erklären die Ideen für die Präsentation der Kunstwerke des Beitrags der Vereinigten Arabischen Emirate auf der diesjährigen Biennale in Venedig und für die Ausstellung „Becoming Istanbul“, die gerade im Kunstzentrum SALT in Istanbul eröffnet hat.

Viele Eurer Projekte kann man nur auf Bildern sehen. Die Offene Bibliothek im Ausstellungsraum der Garanti Galerie war auf eine begrenzte Zeit angelegt, auch eure Ausstellung Open City, die ihr mit der Unterstützung der Biennale in Rotterdam 2009 gestaltet habt. Wie kommt es, dass Ihr hauptsächlich Temporäres baut?

Selva Gürdoğan:
Weil die größeren Bauprojekte zum Teil sehr langsam vorankommen. Ausstellungen stehen ja immer nur für einige Monate, daher sind wir viel freier im Entwerfen.

Selva holt ein lilafarbenes bedrucktes Faltblatt hervor.


Selva Gürdoğan:
Hier unsere neueste Karte. Sie zeigt die flachen Straßen in Istanbul, auf denen man Fahrrad fahren könnte. Derzeit ist das natürlich ziemlich gefährlich, weil der Verkehr nicht an Fahrradfahrer gewöhnt ist. Aber die Stadt könnte zum Beispiel verhandeln, dass man Räder mit in den Bus nehmen kann, um die steilen Straßen zu überwinden. Die Zeitung hat schon berichtet. Sie haben unsere Telefonnummer abgedruckt und nun ruft jeden zweiten Tag jemand an und will die Karte haben.

Was ist Luxus für Euch?

Selva Gürdoğan:
Mit tollen Leuten zusammen arbeiten zu können. Wie zum Beispiel mit den New Yorker Grafikern Project Projects beim Buch „Mapping Istanbul“.

Gregers Tang Thomsen:
Alles wird interessanter, wenn wir uns gegenseitig den Ball zuwerfen können, wenn es verschiedene Ansätze auf beiden Seiten gibt.

Selva Gürdoğan:
Kompliziert wird es, wenn es nichts zu entwerfen gibt. Wir haben neulich aus diesem Grund eine Büroausstattung für eine Firma abgelehnt. Wir wollen nicht einfach nur etwas im Katalog auszusuchen und dafür Geld verlangen oder Wohnungsausstattungen für Leute planen, die einen bestimmten Stil wünschen. Wir wollen keinen Stuck ankleben.


So denken aber offenbar nur wenige der fast 40.000 zugelassenen Architekten in Istanbul. Die meisten Neubauten hier sehen aus wie in den internationalen Immobilienkatalogen.

Gregers Tang Thomsen:
Es ist tatsächlich nicht leicht, hier Architektur zu finden, die auf kreativen Gedanken basiert.

Selva Gürdoğan:
Vieles entsteht nach dem Copy-and-paste-Prinzip, nicht aufgrund einer ernsthaften Auseinandersetzung mit einem Problem. Aber das passiert ja auch anderswo. Die meisten Bauherren kommen nun mal mit einem Bild im Kopf zum Architekten. Das Bild haben sie öfter gesehen, es kann gar nicht die neuste Architektur sein. Wir können immer nur versuchen, etwas anderes vorzuschlagen.



In Deutschland wird vielerorts der Wiederaufbau von Altstadtvierteln diskutiert. Ist das in Istanbul auch ein Thema?

Selva Gürdoğan:
Es gab Gerüchte, alle Betonhäuser in der Altstadt abzureißen und neue zu bauen, die alt aussehen. Wie ein Museum.

Gibt es darüber eine öffentliche Diskussion?

Selva Gürdoğan:
Es gibt keine Debattenkultur in Istanbul. Höchstens Ja- oder Nein-Diskussionen. Über die dritte Bosporusbrücke zum Beispiel. Das ist kein konstruktiver Prozess.


Gregers Tang Thomsen:
Für die Auseinandersetzung im Bereich der Stadtentwicklung existiert keine Infrastruktur. Bei politischen Themen ist das anders.

Hat 2010, das Jahr als Europäischen Kulturhauptstadt, in Istanbul etwas verändert?

Gregers Tang Thomsen:
Die Menschen haben gelernt, dass sie an ihrer Stadt teilhaben können und sollen. Zum Beispiel wurden Stiftungen für Projekte, die sich mit der Stadt auseinandersetzen, ins Leben gerufen. Das hat einige Diskussionen angeschoben.

Selva Gürdoğan:
Es gibt inzwischen viele international bekannte türkische Künstler, aber Namen aus der Designer- und Architektenszene haben noch keinen weltweiten Ruf. 2012 soll in Istanbul eine Designbiennale stattfinden und diese Szene weltweit bekannt machen. Die Ausstellung „Becoming Istanbul“, die im September im SALT gezeigt wird, soll auch einen Beitrag dazu leisten.


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Das Gespräch führte Friederike Meyer.
Friederike Meyer studierte Architektur in Aachen und absolvierte die Journalistenschule in Berlin. Sie ist Redakteurin der Bauwelt.

Projektleitung: Andrea Nakath/Ines Bahr