Interview
Das gesamte Team ist um einen großen Tisch ums Eck vom Eingansbereich versammelt, die Stimmung ist gut, es wird angestoßen. Einer der drei Chefs feiert Geburtstag. Für die einen ein entspanntes morgendliches Get-together. Für die anderen ein Kater-Frühstück, nachdem wieder einmal eine Nacht einer Wettbewerbsabgabe geopfert wurde. Das Thema Wettbewerbe zieht sich wie ein roter Faden durch die Bürogeschichte und das folgende Gespräch.
Eine meiner frühen Erinnerungen an Caramel ist der Waschtisch für FunderMAx 2001, die aufblasbare Wolke als mobile Struktur bei der Biennale 2004 oder das Haus Lina, eine kompakte Wohnbox für Mutter und Kind. Wenige Jahre später habt ihr eine Reihe großer Projekte realisiert. Ist Caramel erwachsen geworden?
Ulrich Apetsberger:
Nein, hoffentlich nicht! Die Entwicklung der letzten zehn Jahre war super, aber wir
würden sie als Zufall beschreiben. Wir machen weiter alles, was in unserem Spektrum
ist. Wir haben Wettbewerbe gemacht und gewonnen, wider Erwarten sind daraus
konkrete Aufträge geworden. Aber wir bearbeiten genauso gerne noch kleine Aufgaben.
Ist dafür noch Raum und Zeit?
Günter Katherl:
Ja, unbedingt! Die kleinen Aufgaben oder Designthemen sind die Würze in der
Suppe. Wir versuchen, den Spaß im Büro zu erhalten. Wenn man fünf Jahre an einem
Großprojekt arbeitet, Tag und Nacht, dann ist das nicht immer nur lustig. Größere
Büros schließen das oft hintereinander ab, fangen mit kleinen Projekten an, wenn
größere folgen, machen sie keine kleineren mehr. Für uns gibt es kein vorwärts oder
rückwärts, es gibt keinen Auftrag der zu gering wäre. Das Gegenteil: Umso kleiner,
umso lustiger, umso blöder.
Ulrich Apetsberger:
Es gibt höchstens etwas, was wir einfach nicht machen wollen …
Was könnte das sein?
Ulrich Apetsberger:
Ein Wettbewerb, der schlecht ausgeschrieben ist, den Regeln nicht entspricht.
Martin Haller:
Ich sehe das mehr inhaltlich, dass ein Wettbewerb nicht nur formal Mängel hat, sondern
die Bauaufgabe auch noch schlecht transportiert.
Günter Katherl:
Wir versuchen hier eine Vorreiterrolle einzunehmen, was etwa das Honorar der
Architekten anbelangt. Dass Architekten jedes Mal im Ranking wieder mit den Kindergärtnerinnen
die letzten sind, das darf nicht sein. Wir haben auch ein wenig eine
Vorbildwirkung, wenn wir sagen, zu diesen Bedingungen nehmen wir nicht teil an
einem Wettbewerb.
Ulrich Apetsberger:
Da auch ganz konkret schon beim ersten Schritt. Auch wenn es leider schon üblich
ist, etwa den Vorentwurf als eine Art Vorleistung zu verschenken. Wir sagen, im Gegenteil:
der Vorentwurf ist der Kern, das Fundament des ganzen Prozesses, der Kern
muss etwas kosten.
Vier große Projekte konnten in den vergangenen Jahren realisiert werden. Alle Resultat gewonnener Wettbewerbe. Wie viel investiert ihr in Wettbewerbe?
Martin Haller:
Wettbewerbe sind das zentrale Thema bei uns. Wie viel wir investieren, das kann von
einem Tag oder bis auch einmal mehreren Wochen gehen. Kommt darauf an, wie
schnell die wesentliche Idee entsteht. Im Idealfall bleibt am Schluss ein Satz, ein Wort,
eine Skizze. Diese Idee, mit geringem Aufwand dargestellt, erklärt und trägt das ganze
Projekt. Der Glücksfall, wenn das aufgeht, das sind die schönen Momente! Dabei
ist es unwichtig, wie groß der Wettbewerb ist.
Günter Katherl:
Wir haben eigentlich als reines Wettbewerbsbüro begonnen. Wir wollen keine Leute
kennen müssen, wir wollen nirgendwo antreten …
Ulrich Apetsberger:
Wir spielen nicht Golf, und wir jagen nicht …
Welchen Wettbewerb habt ihr momentan in Arbeit?
Martin Haller:
Wir haben gerade erst einen offenen Wettbewerb für eine Schule abgegeben. Gestern
Mittag angefangen, heute ist er fertig!
Ulrich Apetsberger:
So haben wir früher Wettbewerbe gemacht…De facto knabbern Wettbewerbe immens
an der Substanz, zeitweise eine selbstausbeuterische Geschichte.
Günter Katherl:
In Wahrheit geht es um ein, zwei Statements, die haben wir schnell gut aufskizziert.
Uns geht es niemals darum, ein schönes Rendering zu haben.
Martin Haller:
Wir sind hauptsächlich zu Wettbewerben in Deutschland geladen und da gehört ein
gutes Rendering weniger zur Architekturpräsentation, sondern dient als Referenz um
zu zeigen, dass man ein Büro ist, das sich ein gutes Rendering leisten kann.
Ulrich Apetsberger:
Wichtig ist, dass auch unsere Mitarbeiter zwischendurch einen Wettbewerb machen
können. Das ist dann gar nicht mehr so einfach in ein zeitliches Korsett zu passen …
Günter Katherl:
Das hat natürlich mit unserer Büropolitik zu tun. Dass Mitarbeiter die Gelegenheit
haben, Wettbewerbe zu machen, auch ohne Erfahrung. Dabei steht die persönliche
Entwicklung von Teammitgliedern im Vordergrund, das gehört einfach dazu.
Also Wettbewerbe als Instrument zur Mitarbeitermotivation?
Ulrich Apetsberger:
Ja, genau. Jemand, der immer nur Elektropläne zeichnet, wird sonst irgendwann
wahnsinnig.
Eure Projekte sind charakterstarke Solitäre, die Ausbildung der Fassade spielt meist eine wichtige Rolle. Wie entwickelt ihr ein Projekt, wie ist das Verhältnis von „Haut und Knochen“ in euren Bauten?
Ulrich Apetsberger:
Zumindest früher haben wir uns über die Ausbildung der Fassade fünf Minuten vor
Schluss Gedanken gemacht, mit ein paar grafischen Strichen. Die Fassade ist für uns
das allerletzte, was bei einer Aufgabe kommt.
Martin Haller:
Das sind zwei verschiedene Aspekte, der eine ist die Form, der andere die Fassade.
Die Form ist der Solitär, die denken wir schon von Anbeginn mit, aber die Umhüllung
der Form steht nicht im Vordergrund.
Günter Katherl:
Die Form, das Innenleben, alles entwickelt sich aus einem Konzept. Die Fassade ist
eine Detailausbildung. Ideal ist, wenn die Fassade diese Hülle ist, die sich aus dem
Gesamtkonzept ergibt. Alle anderen Aspekte haben eine innere Logik, die sich aus
dem Bauplatz, den Bedürfnissen der Nutzer ergibt, aber auf einmal müssen wir noch
irgendwelche Fenster machen! Wenn wir da nicht eine Logik sehen, dann sagen wir,
das können wir jetzt nicht!
Martin Haller:
Bei Projekten wie der aufblasbaren Wolke sieht man: Solange die Hülle wie die Form
nur eine homogene Haut, ein Material ist, bewegen wir uns im Idealzustand. Das gilt
auch für Häuser oder Großprojekte. Wenn zu viele Anforderungen mitspielen, was
Funktionen und Materialität betrifft, wird es schwierig!
Bezeichnend ist euer Umgang mit dem vorgefunden Ort: In Linz gelingt durch die Modellierung des Geländes die Anbindung an den Uni-Campus, beim WIFI in Dornbirn wird der Stadtraum durch die Planung eines durchlässigen Baukörpers mit eingebunden. Wie wichtig ist die Kommunikation mit dem städtischen Umfeld, dem umgebenden Ort?
Günter Katherl:
Genau das ist für uns Architektur, so sehen wir es zumindest!
Ulrich Apetsberger:
Am Beispiel Linz sieht man die starke städtebauliche Verschränkung. Der Ort war so
speziell, das hat es einfach gemacht, darauf zu reagieren. Aber Städtebau hinknallen,
und dann gibt es ein ideales Modell, das kennen wir nicht. Wir brauchen Entwurfshilfen,
Anknüpfungspunkte. Der Ort ist wichtig, aber das Fundament ist und bleibt das
Raumprogramm.
Martin Haller:
Wichtig bei den Orientierungshilfen ist, dass man sie nicht miteinander verwechselt.
Die Protagonisten des International Style haben sich gegen Ortsbezogenheit in der
Architektur verwehrt. Ortsbezogenheit war von vornherein negativ, im Sinne von zu
sehr auf kulturellen, lokalen Kontext abgestimmt. Auch wir sind auf der Suche nach
allgemein gültigen Aspekten, an denen wir uns halten können. Wie Topographie,
atmosphärische Dinge, die in Jena genau so sein könnten wie in Wien oder Innsbruck…
Herausfiltern, was allgemeine Kriterien sind für die Umgebung, das ist die Herausforderung!
In Linz stammt der Masterplan für den Science Park aus eurer Feder, der dritte von vier Bauteilen wird gerade realisiert. Was war die besondere Herausforderung?
Günter Katherl:
Eingebettet zwischen dem Hang darüber und stark richtungsgebenden Bauten aus
der Zwischenkriegszeit unter dem Campus war klar, in welche Richtung gebaut werden
muss. Maßgebend waren auch die für das Stadtklima wichtigen Fallwinde, von
Nord herunter. Wir haben diesen luftigeren, spielerischen Grundriss gewählt. Eine
große Herausforderung war, wenn man das städtebauliche Modell sieht, der fehlende
Kopf, der wahrscheinlich nie gebaut wird. Wie plant man ein Gebäude ohne Kopf?
Man fängt bei den Schultern an! Dadurch hat dieses Spiel mit Knicken und Sprüngen
begonnen, erst über den Grundriss, dann über den Schnitt bis zur Fassade …
Hier gab es eine schöne Zusammenarbeit mit idealice Landschaftsarchitektur, die euer Wegekonzept kongenial in eine grafische Struktur übersetzten. Wie kann man sich so eine Kooperation vorstellen?
Günter Katherl:
Der Übergang von den starren Zwischenkriegsbauten zur freien Umgebung, zur Natur
hat wieder genau diesem Spiel mit Linien entsprochen. Das beginnt im Grundriss
und hört nirgends mehr auf, die Beleuchtungskörper, die hängen auch so „krixi kraxi“
herum, selbst die Möblierung setzt das Thema fort. Manche werden sagen, das ist zu
verspielt, aber es war unser allererstes Konzept. Egal ob wir einen Ballon aufblasen
oder eine große Struktur bauen, die Grundidee ist die Basis! Für sie gibt es starke
Gründe, sie erschließt sich logisch und wird so konsequent umgesetzt, dass sie zum
Schluss überall zu finden ist.
Ulrich Apetsberger:
Die Zusammenarbeit mit Idealice ist ein schönes Beispiel: Hier im Büro sitzen 20
Personen, aber die Zusammenarbeit mit externen Partnern ist uns sehr wichtig. Das
ist dann keine aufgesetzte Landschaftsplanung, sondern Bestandteil des gemeinsam
bearbeiten Gesamtkonzepts. Oft wird auch die Statik schon früh mit bezogen. Eine
neue Generation von Statikern wie vom Werkraum Wien hat dazu beigetragen, dass
sich zwischen den Fachbereichen etwas Schönes entwickelt hat.
Günter Katherl:
Der Architekt als Universalkünstler ist Vergangenheit. Wir beginnen bei jedem Projekt
früh, mit Leuten aus anderen Disziplinen zu sprechen. Nur in der Gemeinschaft, in der
Gruppe, kann etwas geschaffen werden.
Ihr seid gerade dabei, erstmals die wohl typischste Wiener Bauaufgabe, einen geförderten Wohnbau, zu realisieren. Welchen noch fehlenden Beitrag, typologisch oder konzeptionell, könnt ihr mit dem kleinen, feinen Projekt leisten?
Martin Haller:
Aus unserer Sicht ist es gelungen, Wohnbau als etwas Konzeptionelles zu erarbeiten.
Es sind 17 Wohnungen, aber eigentlich sind es 17 verschachtelte mehrgeschossige
Einfamilienhäuser. Keines gleicht dem anderen, alle mit Garten plus Loggia oder Loggia
plus Dachterrasse. Und die Verschachtelung drückt sich auch in der Fassade aus,
jeder kann von 100 m Entfernung schon sagen, wo er wohnt.
Wie kann man sich eure Zusammenarbeit als Team vorstellen?
Günter Katherl:
Wir sind drei extrem unterschiedliche Charaktere. Das und die Entwicklung einer
Streitkultur, das waren immer unsere Stärken. So sehr uns die Harmonie im Büro
wichtig ist, umso wichtiger ist die Auseinandersetzung unter uns Dreien. Martin hat
seinerzeit gesagt „Wenn wir uns einmal nicht mehr streiten, dann werden wir auch
nichts mehr gewinnen.“
Martin Haller:
… dann gibt es kein Caramel mehr! Inhaltlich miteinander streiten, auf eine im Endeffekt
produktive, positive Art und Weise.
Ulrich Apetsberger:
Wir wollen arbeiten, wir wollen gewinnen, und wir wollen bauen, aber wir haben
keinen Lebensplan. Vor zehn Jahren haben wir auch nicht gesagt, wir wollen ein Büro
mit 540 qm und 20 Mitarbeitern haben.
Günter Katherl:
Wir wollen genauso zufrieden sein wie jetzt. Die Struktur oder das Leben, das wir im
Büro führen, das haben wir im Kleinen geschafft, und wir schaffen es auch in dieser
Größe.
Martin Haller:
Das Wichtigste ist, dass wir Projekte haben, die Spaß machen, egal in welcher Größenordnung!
Horrorszenario wären drei unspannende, gewonnene Riesenaufträge.
Horrorvorstellung ist nicht, dass wir hier mit weniger Mitarbeitern ein paar spannende
Projekte machen.
Ulrich Apetsberger:
Was uns auch sehr wichtig ist als Thema der Zukunft: ökologisches Denken. Nicht so
wichtig, dass wir nur super-ökologische Baustoffe einsetzen. Wir verfolgen ein ganzheitlicheres
Denken. Im Umgang mit Ressourcen, sei es am Grundstück, in punkto
Verbauung, im Erscheinungsbild.
Martin Haller:
Eher wieder zurück zu Low-tech, statt übertriebenem haustechnischen Aufwand
für Passiv- und Niedrigenergiehäuser. Wenn man sich nach Einsatz all der High-tech
Lösungen den CO2 Abdruck ansieht, dann entpuppt sich vieles als Lüge.
Ulrich Apetsberger:
Die Diskussion muss in eine andere Richtung geführt werden. Weg von isolierten
Schlagwörtern wie „kwh/m2“ hin zu größeren Gesamtzusammenhängen, dazu möchten
wir einen Beitrag leisten!
Danke vielmals für das Gespräch!
Interview: Ulrike Haele
Ulrike Haele lebt und arbeitet in Wien. Studium für Produkt Design, Universität für Angewandte
Kunst in Wien, Studium für Publizistik und Kommunikationswissenschaften,
Universität Wien. Wissenschaftliche Assistentin am Institute of Design Research Vienna
(IDRV). Als freie Autorin tätig, u.a. als Contributing Editor für A10.
Projektleitung: Andrea Nakath