Crystal Talk
Text: Norman KietzmannFotos: Raymond Adams, Iwan Baan, James Ewing, Elizabeth Felicella

Interview

WORKac


„Es ist Zeit für eine neue Agenda“

Amale Andraos und Dan Wood sind ein starkes Team. Kennengelernt haben sie sich im Büro von Rem Koolhaas in Rotterdam, für das sie 2002 eine Dependance in New York eröffneten. Keine zwölf Monate später folgte ein mutiger Schritt: Unter dem Namen „WORK Architecture Company“ haben sie sich mit einem eigenen Büro in Manhattan selbstständig gemacht. „Bei OMA konnten wir an mehreren Großprojekten arbeiten. Als wir „Work“ gegründeten, haben wir eine Hundehütte und ein Badezimmer entworfen (lacht)“, erinnert sich Amale Andraos an die Anfänge. Doch aus den kleinen Projekten wurden alsbald größere. Der Durchbruch gelang ihnen mit einem Dachausbau für das Studio der New Yorker Modedesignerin Diane von Fürstenberg (2004-2007). Seitdem realisieren sie ebenso Großprojekte wie die Versammlungshalle der Afrikanischen Union in Gabun, ein Kulturzentrum auf der Insel Neu-Holland in St. Petersburg oder die Renovierung und Erweiterung des Blaffer Art Museum in Houston, Texas. Ein Gespräch mit Amale Andraos über essbare Schulhöfe, weitsichtige Vorstädte und ihre Geburtsstadt Beirut.

Frau Andraos, ein Name ist im Geschäft mitunter die halbe Miete. Ihr New Yorker Büro, das Sie 2003 mit Dan Wood gegründet haben, haben Sie schlichtweg „WORK Architecture Company“ getauft. Warum diese Bescheidenheit?

Amale Andraos:
Namen werden oft unter seltsamen Umständen geboren (lacht). Und meistens bleibt man dann bei ihnen. In Norwegen haben Eltern sechs Monate Zeit, sich einen Namen für ihre Kinder zu überlegen. Bei uns musste es sehr schnell gehen. Und „Work“ lag einfach nahe.


Warum haben Sie das Büro nicht stattdessen „Andraos & Wood“ genannt?

Amale Andraos:
Weil wir mit einem anonymen Namen wachsen und uns verändern können, ohne später einmal mit einem Bandwurm-Namen von vier oder fünf Partnern zu enden. Es ging nicht darum, ein Geheimnis um uns selbst zu machen. Wir wollten vielmehr ein kollektives Architekturverständnis zum Ausdruck bringen. Ich denke, dass sich darin auch ein Generationenwechsel in den USA zeigt. Speziell in New York sind Namen für die ältere Architektengeneration noch sehr wichtig. Die jüngere Generation betrachtet ihre Identität flexibler und gibt ihren Büros abstrakte Namen.


Stimmt es, dass Ihr erstes Projekt eine Hundehütte war?

Amale Andraos:
(lacht) Ja, das hat wirklich Spaß gemacht, obwohl keiner von uns je einen Hund hatte. Aber es war das erste Projekt, das uns angeboten wurde – also haben wir es angenommen. Die Hütte war für eine Auktion gedacht, auf der Gelder für wohltätige Zwecke gesammelt wurden. Unsere Idee war eine Behausung für einen urbanen Hund, der ein Leben in der Natur erfahren sollte. Es gab ein Laufband, Videoleinwände und eine Geruchsmaschine, sodass die Hunde Schmetterlinge fangen, hinter Autos herlaufen oder mit Geparden um die Wette rennen konnten. Es gab sogar ein Programm, bei dem die Hunde wie Popstars interviewt werden konnten. Leider hat uns erst zum Schluss jemand gesagt, dass Hunde farbenblind sind. Natürlich haben wir sämtliche Filme in Farbe produziert (lacht).

Wie ging es danach weiter?

Amale Andraos:
Wir haben eine Reihe von Interieurs gestaltet, darunter ein Job-Service-Center oder einen Showroom für einen Catering-Anbieter. Das erste wirkliche Architekturprojekt war das Studio der Modedesignerin Diane von Fürstenberg in New York. Den Wettbewerb dazu haben wir 2004 gewonnen und das Projekt bis 2007 fertiggestellt. Während dieser Zeit haben wir auch beschlossen, an deutlich größeren Ausschreibungen teilzunehmen und uns verstärkt mit Städteplanung auseinanderzusetzen.



Der Sprung in den Maßstäben ist Ihnen schließlich gelungen. Bis 2014 realisieren Sie mit der Versammlungshalle für das Treffen der Afrikanischen Union in Libreville, Gabun, Ihr erstes Großprojekt. Was hat sich dadurch für Sie verändert?

Amale Andraos:
Das Projekt war in mehrfacher Hinsicht ein großer? Schritt für uns. Nicht nur, dass wir unser Büro auf vierzig Mitarbeiter verdoppelt haben. Neben kulturellen Fragen spielten ebenso Aspekte wie Ökologie und Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle. Der Bau ist Teil des Regierungsprojektes „Gabon Vert“ (grünes Gabun) und soll einen starken Bezug zur Natur zeigen. Fast alle Materialien stammen direkt aus der Region wie der Stein für die Fassaden oder die Hölzer, mit dem die Innenwände des großen Auditoriums verkleidet werden. Die eigentliche Herausforderung bildet jedoch der enge Zeitplan. Wir haben das Projekt erst im Oktober 2012 gewonnen und müssen schon im Juni 2014 alles fertiggestellt haben. Interessant sind hierbei auch die politischen Umstände. Gabun erlebt zurzeit einen rasanten Wandel. Das Land hat sich von einer Diktatur zu einer Demokratie transformiert, was eine enorme Aufbruchsstimmung erzeugt. Um das Land neu zu positionieren, wird viel Geld in Infrastrukturprojekte, Schulen und Krankenhäuser investiert. Dieser Optimismus ist aufregend und ansteckend zugleich.



Was Ihre Projekte verbindet, ist eine enge Verflechtung aus Natur und Architektur: Sie verwandeln Dächer in Parkanlagen, platzieren Wasserfälle in Treppenhäuser oder leiten die Sonnenstrahlen über Lichttunnel bis tief in das Innere Ihrer Gebäude hinein. Warum geben Sie sich mit Beton, Stahl und Glas nicht zufrieden?

Amale Andraos:
Es gibt Architekten, die sich allein auf Gebäude konzentrieren. Wir versuchen, auch Beziehungen zu anderen Dingen mit einzuweben und die Architektur mit der Natur, der Stadt oder kulturellen Einflüssen in Verbindung zu setzen. Selbst die Essen oder Mode können mit der Architektur verbunden werden. Wir wollen über diese Dinge als ein Ganzes nachdenken, ohne sie zu vereinheitlichen oder über ihre Unterschiede hinwegzusehen. Vieles kann sich auch auf der Ebene eines einzelnen Gebäude überschneiden.



Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Amale Andraos:
Für einen Wettbewerb des MoMA PS1 haben wir das Projekt „Public Farm One“ entwickelt, bei dem es um urbane Landwirtschaft ging. Unsere Ideen konnten wir 2009 mit dem „Edible Schoolyard PS216“ in Brooklyn tatsächlich umsetzen. Der Schulgarten ist einen halben Hektar groß und wird seit knapp zwei Jahren bewirtschaftet. Die Kinder können dort lernen, wie man Obst und Gemüse selber anbaut. Wir haben dafür auch ein Gewächshaus sowie ein Küchen-Klassenzimmer gestaltet, wo bis zu dreißig Kinder gemeinsam kochen und an einem großen Tisch essen können. Wir lieben Projekte wie diese, auch wenn sie nur sehr klein sind. Diese ortsspezifischen Interventionen können eine große Wirkung entfachen, weil sie über die Architektur hinausgehen. Über den „Edible Schoolyard“ sind wir mit sehr guten Köchen in Kontakt gekommen. Es ist spannend, mit ihnen über ihre Arbeitsweise zu reden, weil sie beides beherrschen: Sie können im absoluten Highend-Bereich kochen, aber ebenso mit den einfachsten Zutaten etwas Gutes kreieren. Auch wir sehen diese beiden Seiten nicht als Wiederspruch. Ich denke, dass es sehr inspirierend ist, aus unserem kleinen Zirkel hinauszuschauen. Du wirst feststellen, dass eine Dinge, an denen wir uns die Köpfe zerbrechen, an anderer Stelle längst gelöst wurden.


Sie unterrichten in Princeton, Harvard und an der Columbia University. 2009 haben Sie das Buch „49 cities“ veröffentlicht, das von einer gleichnamigen Ausstellung begleitet wurde und sich den visionären Stadtplanungen des 20. Jahrhunderts widmet. Was haben Sie aus den Ideen von Kenzo Tange bis Superstudio mitgenommen?

Amale Andraos:
Dass viele Planungen in der Vergangenheit zu streng interpretiert wurden. Le Corbusier hatte einmal für ein Projekt in Argentinien mehrere Häuser im Stil der Villa Savoye gezeichnet, unter denen Schafe weiden konnten. Auch Bernard Tschumi hatte in einem seiner frühen Bücher ein Bild der Villa Savoye mit einem großen Heuballen darunter verwendet. Die heutige Vorstellung, dass die Moderne nur makelose, tote Grünflächen kannte, stimmt so nicht. Dahinter steckt lediglich eine Reduktion der Moderne. Selbst in der „Radiant City“ besaß die Natur eine gewisse Spur Wildnis und war „nichtmanikürte Landschaft“. Es war spannend, bei der Arbeit an diesem Buch in all diese visionären Pläne noch einmal einzutauchen und Ansätze zu finden, die über die gängigen Interpretationen hinausgehen.



Wie steht es mit der Gegenwart: Haben Masterpläne endgültig ausgedient oder ist es nicht an der Zeit für eine neue Agenda?

Amale Andraos:
Ich denke, es ist definitiv an der Zeit für eine neue Agenda. Vor allem die Vorstädte sollten wieder in den Fokus rücken. Sie sind die am meisten geplanten Orte, mit denen sich Architekten je beschäftigt haben. Durch den „Federal-Aid Highway Act“ (Der 1956 von US-Präsident Dwight D. Eisenhower unterzeichnete Beschluss sah den Bau von 66.000 Kilometern Autobahn vor, Anm. d. Red.) wurde nicht nur das Auto durchweg etabliert, sondern auch die Konsumgesellschaft auf das Besitzen eines Eigenheims in den Vorstädten trainiert. Interessant wäre hierbei eine langfristigere Planung, die auch weiterreichende Konsequenzen mit in Betracht zieht. Man kann nicht über nachhaltige Gebäude sprechen, ohne über eine langfristige Infrastruktur zu sprechen. Und Infrastruktur gelingt nicht ohne Planung. In den USA haben wir mit der Planung aufgehört und alles den Bauunternehmern überlassen. Ich denke, es ist tatsächlich an der Zeit, dass wir uns wieder ernsthaft mit der Planung beschäftigen.

Wer soll die Planung übernehmen: Die Regierung, die Architekten oder unabhängige Kommissionen?


Amale Andraos:
Das ist lustig, weil wir über diese Frage schon häufig miteinander debattiert haben. Ich denke, dass jeder Architekt das Recht hat, über Nacht eine Stadt zu zeichnen, wenn er das will (lacht). Es hat vielleicht keine Konsequenzen, weil am Anfang nur Bilder existieren. Aber diese Bilder können ein Publikum ansprechen, das die Ideen dahinter interessant findet. Aus dieser Auseinandersetzung mit visionären Plänen können wiederum Gespräche mit Institutionen, Gemeinden, Bauunternehmern, Städteplanern oder Landschaftsplanern entstehen. Eine Teilnahme kann also von vielen Seiten ausgehen und lässt sich nicht nur auf einen einzelnen Urheber reduzieren.


Sie selbst wurden in Beirut geboren. Welche Beziehungen haben Sie zu der Stadt?

Amale Andraos:
Ich habe in Beirut gelebt, bis ich drei Jahre alt war. Nachdem der Krieg begonnen hatte, sind meine Eltern weggezogen. Wir haben erst acht Jahre im Mittleren Osten gelebt, bis es weiterging nach Paris. Als ich achtzehn Jahre alt war, sind wir nach Montreal gezogen. Von dort kam ich nach Cambridge und Harvard und schließlich ins Büro von Rem Koolhaas nach Rotterdam. Ich versuche, einmal im Jahr wieder nach Beirut zurückzufahren. Vielleicht gibt es dazu bald noch öfter Gelegenheit. Ich unterrichte zurzeit an der Columbia University. Sie haben das Netzwerk „Studio X“ aufgebaut, das auch einen Standort in Amman unterhält. Im Sommer werde ich hier mehrere Workshops unterrichten und kann von dort aus direkt nach Beirut weiterfahren. Es liegt mir sehr viel daran, mich wieder stärker mit der Region zu verbinden und durch die Kurse vielleicht auch eine andere Sichtweise zu gewinnen.

Ihr Leben ist von zahlreichen Umzügen geprägt. Am welchem Ort fühlen Sie sich zuhause?

Amale Andraos:
Zuhause ist, wo das Herz ist (lacht). Im Moment fühle ich mich in New York sehr wohl. Es ist eine fantastische Stadt und der richtige Ort, jetzt hier zu sein. Ich bin froh, dass wir den Umzug nach New York gemacht haben, obwohl das kurz nach den Anschlägen des 11. September ziemlich verrückt klang. Aber im Nachhinein war es genau die richtige Entscheidung.

Vielen Dank für das Gespräch.


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Interview: Norman Kietzmann
Norman Kietzmann studierte Industriedesign in Berlin und Paris und schreibt als freiberuflicher Journalist über Architektur und Design für BauNetz, Designlines, Pure, Deutsch und andere. Er lebt und arbeitet in Mailand.

Projektleitung: Andrea Nakath