Crystal Talk
Text: Oliver ElserFotos: Torsten Seidel, Kraus Schönberg Architekten

Interview

Interview kraus schönberg


Was, außer diesem Gespräch, ist der Grund, für Eure einwöchige Zusammenkunft hier in Konstanz?

Timm Schönberg
Wir arbeiten sonst an den beiden Standorten London und Konstanz. Die tägliche Arbeit ist lokal. Im Grunde sind wir zwei kleine Büros. Tobias macht seine Baustelle hier (deutet aus dem Fenster, wo gerade betoniert wird). Im Alltag sind wir Projektarchitekten, so wie in einem größeren Büro. Wenn wichtige Dinge anstehen, dann treffen wir uns. Im Moment geht es um eine große Revitalisierungsaufgabe für ein Bahnhofsgelände in London. Ein Wettbewerb unter Investoren, die sich jeweils mit Architekten zusammengetan haben.

Wie oft gibt es diese Treffen?

Timm Schönberg
Circa alle sechs Wochen. Dazwischen telefonieren und e-mailen wir.

Wie lange macht Ihr das schon?

Timm Schönberg
Drei Jahre, so lange gibt es das gemeinsame Büro.

Das aber nie am selben Standort war?

Timm Schönberg
Genau. Ich war damals schon in London. Tobias saß erst in Hamburg, nun wieder in seiner Heimat Konstanz. Wir kennen uns aber schon gut 15 Jahre, seit der gemeinsamen Zeit an der Universität der Künste in Berlin, in einem Seminar bei Adolf Krischanitz.


Tobias Kraus
Ein Jahr später haben wir uns dann in Barcelona wiedergetroffen, bei Enric Miralles.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit auf diese Distanz?

Tobias Kraus
Wir haben uns immer schon gegenseitig Korrekturen gegeben. Jeder entwickelt so seine Ideen, weiß aber oft nicht, was er da macht. Es braucht einen Kommentar von außen.

Es gab kein gemeinsames Initialprojekt, das der Grund war, sich zusammenzuschließen?

Timm Schönberg
Ich hole jetzt mal ein bisschen aus: 2000 bin ich nach London gegangen, war bei Grimshaw tätig. Im Grunde ist die eigene Arbeit aus einer Unzufriedenheit mit den Umständen in den Büros, in denen wir waren, entstanden. Ich habe bei Grimshaw und Arup Associates in London nicht wirklich das machen können, was mich interessiert hat, bei Tobias war das ähnlich bei einem Büro in Konstanz. So haben wir angefangen, uns bei Projektentwicklern zu bewerben, woraus sich zunächst die Projekte in Bradford, einer Kleinstadt 300 Kilometer nördlich von London, ergaben. Dann kam das Haus W. in Hamburg. Tobias war bereit, in Hamburg ein Büro aufzumachen und wir haben uns gedacht, jetzt könnten wir doch mal loslegen.

Du bist wegen des Einfamilienhauses, also „Haus W.“, nach Hamburg gezogen?

Tobias Kraus
Das war durchaus eine komplexere Angelegenheit, die eine präzise Bearbeitung erfordert hat. Es ist uns ein Anliegen, dass wir vor Ort sind, auch während der Bauausführung. In großen Büros ist das anders, klar: Man zeichnet dort jedes Detail. Das wird abgegeben an die Handwerker und dann machen die das. Oder eben auch nicht. Ich hingegen gehe raus, spreche mit den Handwerkern, und dann entwickeln die das Detail mit.



Wie beurteilt Ihr die „Baukultur“ in Deutschland im Gegensatz zu Großbritannien?

Timm Schönberg
Das Interesse, ein gutes Gebäude zu bauen, ist in Deutschland größer als in England

Das Interesse von wem?

Timm Schönberg
Von allen! Architekten, Handwerkern, Bauherren. In England gilt: Hauptsache es verkauft sich.

Das handwerkliche Niveau in Deutschland ist höher?

Timm Schönberg
Ja, viel höher!

Dein Kollege verzieht das Gesicht!

Timm Schönberg
Hier gibt es fertige Produkte zu kaufen, die nahezu perfekt sind. Alles ist geregelt. Es gibt eine Verordnung, wie das Fenster zu bauen ist. Das gibt’s da drüben nicht.

Tobias Kraus
Tja, wenn ich hier etwas fordere, was nicht vorschriftgemäß ist, schreibt mir der Handwerker eine Aktennotiz, dass er keine Gewährleistung übernimmt.

Timm Schönberg
Die Ausschreibungskultur ist eine andere: In Deutschland schreibe ich als Architekt vor, welche Dichtung ich haben will. In England wird die „performance“ definiert: Was leistet die Dichtung? Welche er nun genau nimmt, das entscheidet der Handwerker dann selbst.



Und was ist besser?

Timm Schönberg
Die Arbeit muss man so oder so machen. Die Befriedigung ist größer, wenn man‘s mitgebaut hat.

Tobias Kraus
Wenn ich hier aus dem Fenster schaue, sehe ich, was auf unserer Baustelle passiert, kann immer wieder eingreifen. Irgendwann akzeptieren einen die Handwerker.

Timm Schönberg
Es gibt in Großbritannien ein paar wenige Architekten, die kontinentaleuropäisch denken. Der bekannteste ist David Chipperfield. Aber in weitaus stärkerem Maße wurde die britische Szene durch die 1980er Jahre High-Tech-Architekten geprägt: Foster, Grimshaw, Hopkins. Ich denke, diese Denkschule kommt eigentlich aus der Industrialisierung. Es geht um das Fügen von Elementen. Wir Deutsche denken an Massivität, Lochfassade, Raum ... – so denken die Briten nicht. Alles ist geschraubt, gesteckt, nicht massiv in Beton gegossen. Es sind ja alles Stahlbauten dort drüben. Selbst in der City Londons, wo aus Denkmalschutzgründen anschließend vieles mit Sandstein verkleidet wird, steckt immer ein Stahlbau drunter.

Tobias Kraus
Auch in den USA ist eine Rahmenbauweise vorherrschend: Holzrahmen bei kleineren Bauten, Stahlrahmen bei Hochhäusern ...

Timm Schönberg
Der Denkprozess dort ist ein technischer: Was für eine Schraube nimmt man? Aber der Raumgedanke kommt zu kurz. Es entstehen zwar wunderbare Hallen, zum Beispiel für Bahnhöfe. Der Sinn für andere räumliche Zusammenhänge ging aber verloren. Das konnten die mal. Wir waren schon oft im Sir John Soane Museum und sind begeistert, wie vielschichtig dort der Raum gedacht wurde.

Wann trefft Ihr Materialentscheidungen?



Tobias Kraus
Spät, bei der Ausschreibung ... Nein, das war jetzt ein Witz. Aber das Material steht wirklich eher nicht am Anfang. Wir suchen danach. Zum Beispiel bei dem Bau da draußen. Wir sind hier in Konstanz, einer Altstadt, die ist sehr dicht und kompakt bebaut ist. Es gab einen Wettbewerb, strenge Vorgaben. Wir haben als Material der heutigen Zeit einen Beton vorgeschlagen, der mit entsprechenden Zuschlagstoffen, ohne Dampfsperre, ohne Dämmung auskommt.

Ein Architektentraum! In der Moderne hat der Beton die kühnsten Wünsche erfüllt, dann kam in Folge der Ölkrise die böse Wärmedämmung drüber und nun ist man technologisch wieder soweit, pure Betonbauten errichten zu können.

Tobias Kraus
Na ja, infolge der neuen Energieeinsparverordnung ist der Traum schon wieder vorbei und der Bau würde so schon nicht mehr genehmigt!

Wie stark sind Eure Betonwände dort drüben?

Timm Schönberg
50 Zentimeter!

Und wie viel wären in Zukunft nötig, um die Energieeinsparverordnung zu erfüllen?

Tobias Kraus
Eher 80 Zentimeter.

Wie habt Ihr den Bauherrn vom Beton überzeugt?

Timm Schönberg
Den freut es, mitten in der Altstadt etwas Untypisches machen zu können!



Innen zeigt das Gebäude auch den nackten Beton?

Tobias Kraus
Ja. (Lachen) Es gibt andererseits sehr wenige zeitgenössische Häuser in der Konstanzer Altstadt. Insofern ist eine andere Klientel zu erwarten. Kunden, die mal was Besonderes haben wollen. Das Haus W in Hamburg ist dagegen eher ein Schwarzwald- Häuschen. In alten Häusern hier trifft man immer auf diese riesigen Bretter und fragt sich, was damals wohl für Bäume herumstanden. Und es knarrt ... So ähnlich ist es in dem Hamburger Haus auch. Man spürt überall das warme Material.

Das Haus in Hamburg hat Euch, dank eines Artikels von Niklas Maak in der F.A.Z., ziemlich stark in die Medien katapultiert.

Tobias Kraus
Das Echo war toll. Aber man muss es mal so deutlich sagen: An Bauaufträge kommt man nicht heran, weil eine Zeitschrift und Zeitung über einen schreibt. Noch nicht!



Der verlässlichste Weg führt zu Freunden von Freunden ...

Timm Schönberg
Es ist besser, wenn es die direkten Freunde sind, die bauen wollen. Klar, das Haus W. ging durchs Internet. Wir waren in England nominiert für zwei Nachwuchspreise, das haben einige Blogs aufgegriffen. In der Zeitschrift HÄUSER, die auch über das Haus W. berichtet haben, hieß es seitens der Redaktion, dass ein Artikel dort 3-4 Aufträge bringt ... Nun, es gab einige Anrufe, immerhin.

Das Haus W. ist vielleicht zu ungewöhnlich?

Timm Schönberg
Vielleicht. Wir haben allerdings schon darüber nachgedacht, aus dem Haus W. ein Fertighaus zu entwickeln.

Von der Konstruktion her ist es verwandt mit Eurem Hanover House in Bradford.

Timm Schönberg
Dort besteht der Dachaufbau ebenfalls aus Kreuzleimholz, richtig. Wir wollten in Bradford keine Stützen im Raum stehen haben, deswegen sollte die Dachhaut wie eine selbsttragende Karosserie beschaffen sein. Wir haben das mit den Statikern von KLH, der österreichischen Holzbaufirma, entwickelt. Die haben auch eigene Installateure in England. Das System ist dort ein großer Erfolg. Stahl war so teuer in den vergangenen Jahren.

„Selbsttragende Karosserie“ klingt sehr britisch-technisch. Könnte ich Euch jetzt an das erinnern, was Ihr vorhin zu den Unterschieden im architektonischen Denken gesagt habt?

Tobias Kraus
Die Tragstruktur hat sich im Laufe der Arbeit ergeben und ist in unserem Fall auch raumgenerierend, wird also zum Raum. Das interessiert uns sehr. Ziemlich am Anfang stand ein Bild aus der Kindheit: Höhlen zu bauen, indem man Stühle und Schränke zusammenstellt und einen Teppich drüberlegt. Der Bauherr wollte für sich und seine Familie kein Holzhaus und schon gar keine „Karosserie“. Er hatte gar nichts Bestimmtes im Sinn, sondern sagte nur: „Wir möchten ein würdevolles Zuhause“.

Timm Schönberg
Er ist in einer „Kaffeemühle“ aufgewachsen, einem Haus mit quadratischem Grundriss und einem Pyramidendach.

Jetzt wo Ihr‘s sagt: Ihr habt eine sehr eigene Interpretation der „Kaffeemühle“ geliefert.

Timm Schönberg
Oh nein!

Tobias Kraus
Doch, stimmt irgendwie, auch wenn der Grundriss verschoben ist: Es gibt schon dieses Denken in 3x3 Räumen, was das Obergeschoss betrifft. Wichtig waren uns aber zunächst weder die Form noch Material oder Konstruktion oder das Baurecht. Wir haben ein Modell gebaut, das alle gewünschten Räume als Module zueinander setzt.

Timm Schönberg
Dieses „In-Beziehung-setzen“ ist das Wichtigste für uns: Egal, ob es sich um ein Wohnhaus, ein größeres Gebäude oder ein städtebauliches Projekt handelt. Letztlich geht es immer um Beziehungen zwischen Menschen und nicht darum, schicke Behälter zu schaffen.

Danke für das Gespräch!

Oliver Elser ist Kurator am Deutschen Architekturmuseum. Zahlreiche Architekturkritiken für Zeitungen und Zeitschriften (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Texte zur Kunst, Frankfurter Rundschau, Der Standard, Profil, Bauwelt etc.) sowie in Katalogen und Büchern. Lehrtätigkeit in Graz und Wien. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Frankfurt am Main.
www.architekturtexte.de

Projektleitung: Andrea Nakath