Crystal Talk
Text: Oliver HerwigFotos: Andrea Altemüller, Stefan Müller Neumann, Simone Rosenberg

Arbeiten

Arbeiten nagler

KIRCHENZENTRUM MÜNCHEN RIEM


Reißt Mauern ein, baut Brücken auf, lautete in den 1980er Jahren ein Motto der Kirchen. Nun schlagen die beiden christlichen Konfessionen neue Wege ein, gehen räumlich zusammen und umgürten sich doch mit einer Mauer. Diese Wand bot gleich mehrere Steine des Anstoßes für die Neubürger der Messestadt Riem, die auf das Gelände des ehemaligen Flughafens zogen. Zehn Meter hohe Mauern. Das mussten die Anwohner erst einmal verdauen. Heute regt sich niemand mehr über das Kirchenzentrum auf, im Gegenteil. Es hat sich festgewachsen wie die Föhren des Platzes, an dem es steht. Das weiß geschlämmte Ziegelmauerwerk wirkt angenehm zurückhaltend gegenüber dem benachbarten Einkaufszentrum und seiner Rückwand. Zwölf Meter weiß. Die Umfassungsmauer hätte sogar noch höher ausfallen können.
Ein Glockenturm, zwei Konfessionen. Zwei Drittel des Ensembles gehört den Katholiken, der Rest der evangelisch-lutherischen Landeskirche. Eine weiße Wand umgürtet die Anlage, mit tiefen Einschnitten. Wer einer Gasse ins Herz der Anlage folgt, steht in einem Gefüge offener Höfe, begrünter Dachterrassen. Eine kleine Stadt in der Stadt ist hier entstanden, eine Art modernes Kloster mit Kindergarten, zwei Gemeindezentren und zwei getrennten Kirchen. Die Gotteshäuser sind eingebettet ins Netz der Gemeinden, zeigen jedoch Eigenständigkeit. Stille. Ruhige Räume tun sich auf, sakrale Konzentration. Beide Kirchen bestechen durch klare Proportionen und sammeln den Blick, der über die Mauern aufsteigt und sich schließlich im Holztragwerk der Decke verfängt. Das geschäftige Neu-Riem ist weit weg. Und doch so nah.






KULTURZENTRUM AM HANNS-SEIDEL-PLATZ


München-Neuperlach klingt nach Beton. Wohntürme, Shopping-Mall. Die nachgeholte Urbanisierung des Stadtteils begann erst im Spätherbst 2001. Mit einem temporären Bau, einem 773 Quadratmeter großen Bürgerhaus. Die Holzbox wuchs aus vorgefertigten Containerelementen zu einem ansehnlichen Quadrat von 30 mal 30 Metern. Und öffnet sich mit einer breiten Glasfront und Toren. Mitten drin liegt der Veranstaltungssaal, abgeschirmt durch massive Wände, rund herum sind die Büros, die Küche und das Internetcafé angeordnet. Das Auditorium fasst 200 Zuschauer, und wenn man die wandhohen Schiebetore zum Foyer öffnet, können es leicht 300 werden. Die schweren Tore verschwinden jeweils in den Wandtaschen zwischen zwei Container-Elementen und schaffen einen immer größeren Raum, bis hinaus unters Vordach und weiter über den Hanns-Seidl-Platz. Eine schönere Willkommensgeste kann es hier kaum geben.

Vieles an dem Bau wirkt paradox: Er ist als Provisorium angelegt und strahlt doch Solidität aus, er steht am Rand des Platzes und bringt mit seinen klaren Fronten Ruhe in die aufgeregte Kulissenarchitektur rundherum. Das Vorläufige sieht man dem Bürgerzentrum durchaus an mit seinen betont einfachen Materialien – OSB-Platten, Kunststoffboden – und seiner spartanischen Ausstattung. Aber er wirkt nicht billig, ganz im Gegenteil. Der strenge Rhythmus seiner vorfabrizierten Elemente gibt ihm Geschlossenheit und formale Stärke. Von seiner Schauseite, die aus dem Augenwinkel betrachtet schon mal an Mies‘ Nationalgalerie erinnert, bis zum rückwärtigen Notausgang wirkt alles wie aus einem Guss. Im Inneren kommt noch das Licht als Raumqualität dazu, das durch eine Polycarbonat-Decke blendfrei und gleichmäßig einfällt. Florian Nagler überließ nichts dem Zufall. Aber kaum aufgestellt, läuft die Zeit des Baus schon ab. Irgendwann soll die Kiste weichen, Platz machen für das endgültige Bürger- und Kulturzentrum. Doch Provisorien halten bekanntlich besonders lange.





WEITERE PROJEKTE VON FLORIAN NAGLER ARCHITEKTEN: