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Mindestsatzunterschreitung gemäß § 4 II HOAI zulässig bei enger wirtschaftlicher Verflechtung?

Umstände, die das Vertragsverhältnis in dem Sinne deutlich von den üblichen Vertragsverhältnissen unterscheiden, dass ein unter den Mindestsätzen liegendes Honorar angemessen ist, können eine Unterschreitung der Mindestsätze rechtfertigen; dies kann der Fall sein bei engen Beziehungen rechtlicher, wirtschaftlicher, sozialer oder persönlicher Art.
Hintergrund
Macht der Architekt einen Honoraranspruch geltend, müssen für eine erfolgreiche Durchsetzung des Anspruchs verschiedene Voraussetzungen vorliegen.

Ist die HOAI anwendbar, ergibt sich das Honorar des Architekten in erster Linie aus einer im Rahmen der HOAI-Vorschriften getroffenen Honorarvereinbarung.

Voraussetzung einer wirksamen Honorarvereinbarung ist u.a. die Einhaltung der Mindestsätze und Höchstsätze, es sei denn es liegt ein Ausnahmefall des § 4 II oder § 4 III HOAI vor.
Beispiel
(nach BGH , Urt. v. 22.05.1997 - VII ZR 290/95 -, NJW 1997, 2329)
Ein Architekt erbrachte Leistungen für den Neubau eines Seniorenzentrums. Zwischen den Parteien war ein unter den Mindestsätzen liegendes Pauschalhonorar verabredet worden. Später berechnete der Architekt sein Honorar auf der Grundlage der Mindestsätze. Der Bauherr wendet ein, ein die Mindestsätze unterschreitendes Honorar sei vorliegend gerechtfertigt, da ein Ausnahmefall im Sinne des § 4 II HOAI vorliege; die Partei seien nämlich durch zahlreiche Absprachen über Kostenbegrenzungen und Prämienzusagen für den Fall der Unterschreitung der vorgesehenen Kosten verflochten.

Die Vorinstanz hatte das Vorliegen eines Ausnahmefalls im Sinne des § 4 II verneint, der hohe Grad an wirtschaftlicher Verflechtung zwischen den Parteien begründe keinen Ausnahmefall, § 4 II HOAI sei nach seiner Entstehungsgeschichte eng auszulegen. Der BGH war anderer Ansicht und hob das Urteil auf. Bei der Bestimmung eines Ausnahmefalls sei der Zweck der Norm und die berechtigten Interessen der Beteiligten zu berücksichtigen. Die zulässigen Ausnahmefälle dürften einerseits nicht dazu führen, dass der Zweck der Mindestsatzregelung, einen "ruinösen Preiswettbewerb" unter Architekten und Ingenieuren zu verhindern, gefährdet werde. Andererseits könnten alle die Umstände eine Unterschreitung der Mindestsätze rechtfertigen, die das Vertragsverhältnis in dem Sinne deutlich von den üblichen Vertragsverhältnissen unterscheiden, dass ein unter den Mindestsätzen liegendes Honorar angemessen ist. Dies könne der Fall sein, wenn die vom Architekten oder Ingenieur geschuldete Leistung nur einen besonders geringen Aufwand erforderten, sofern dieser Umstand nicht schon bei den Bemessungsmerkmalen der HOAI zu berücksichtigen sei. Ein Ausnahmefall könne ferner beispielsweise bei engen Beziehungen rechtlicher, wirtschaftlicher, sozialer oder persönlicher Art oder sonstigen besonderen Umständen gegeben sein. Solche besonderen Umstände könnten etwa in der mehrfachen Verwendung einer Planung liegen. Ob auf Grund der vorliegenden wirtschaftlichen Verflechtung ein Ausnahmefall gegeben sei, könne allerdings an Hand der bisherigen Feststellungen der Vorinstanzen nicht abschließend beurteilt werden.
Hinweis
Über die Voraussetzungen, die zur Begründung eines Ausnahmefalls im Sinne des § 4 II HOAI vorliegen müssten, bestand keine vollständige Einigkeit; allerdings wurde die Vorschrift meistens eng ausgelegt. Danach sollten i. d. R. nur enge persönliche und allerhöchstens soziale Beziehungen zu einem Ausnahmefall führen können. Der BGH hat nunmehr den Anwendungsbereich des § 4 II HOAI erweitert. Danach können ausdrücklich auch enge rechtliche und wirtschaftliche Verflechtungen einen Ausnahmefall im Sinne des § 4 II begründen.

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Rechtsanwälte Reuter Grüttner Schenck