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Abriss eines Werkes der Baukunst? Interessen des Eigentümers gehen in der Regel vor

Ob der Abriss eines Gebäudes einen Verstoß gegen die Rechte des Urhebers darstellt, ist durch eine umfassende Abwägung der Interessen des Eigentümers und derjenigen des Architekten zu ermitteln; bei Werken der Baukunst gehen die Interessen des Eigentümers an einer ein anderweitigen Nutzung des Grundstücks den Interessen des Urhebers in der Regel vor.


Hintergrund
Werke des Architekten sind urheberrechtsschutzfähig.

Aus dem Urheberrecht leiten sich u.a. Persönlichkeitsrechte sowie das Änderungsverbot ab.
Beispiel
(nach LG Potsdam , Urt. v. 01.06.2022 - 2 U 133/20)
Streitbefangen ist das erste Gebäude (Kopfgebäude) einer längeren – in der Bevölkerung als XXX-Schlange bekannten – Wohnanlage. Die gesamte Wohnanlage war nach den Plänen eines bekannten Berliner Architektenbüros 1999/2000 errichtet worden (eine Bauleitung übernahm das Architektenbüro nicht, vielmehr nur eine künstlerische Oberleitung). Das Kopfgebäude enthält eine Tiefgarage so wie darüber 5 Geschosse mit insgesamt 38 Wohnungen. Das Kopfgebäude ist aufgrund seiner spezifischen Architektur als ein Werk des genannten Berliner Architektenbüros erkennbar und als solches bekannt. Die verwandten Gestaltungselemente sind als solche einzigartig und entstammen einer individuellen architektonisch-künstlerischen Formensprache.

Die Eigentümerin ist ein großes kommunales Wohnungsunternehmen. Nach Errichtung ergibt sich bald das Erfordernis erheblicher Sanierungsmaßnahmen. Nach weiteren Sanierungserfordernissen, die sich im Jahre 2013 herausstellten, wurde das Gebäude durch die Eigentümerin komplett entmietet. Es steht seitdem leer.

Die Eigentümerin lässt zum baulichen Zustand sowie zu etwaigen Kosten einer Sanierung bzw. eines Neubaus Gutachten einholen. Sie entscheidet sich schließlich, einen Neubau mit 90 Wohnungen zu Kosten von rund Euro 21,7 Millionen vorzunehmen (anstatt einer Sanierung der 38 Wohnungen in dem Gebäude zu Kosten von rund Euro 14,7 Millionen). Gegen den Abriss wenden sich die Architekten unter Berufung auf ihr Urheberrecht.

Das Landgericht Potsdam weist zunächst hin auf das Urteil des BGH vom 21.02.2019. Es nimmt ausdrücklich Bezug auf die dort durch den BGH vorgegebenen Prüfungskriterien für die Frage, ob ein Urheber eines Baukunstwerkes einen Abriss des Werkes unter Berufung auf sein Urheberrecht verbieten darf (siehe zu den einzelnen Voraussetzungen dort): Auf Seiten des Urhebers sei dabei zu berücksichtigen, ob es sich bei dem betroffenen Werk um das einzige Vervielfältigungsstück handele; ferner falle ins Gewicht, welche Gestaltungshöhe das Werk aufweise. Auf seiten des Eigentümers sei zu berücksichtigen, ob bautechnische Gründe oder das Interesse an einer Nutzungsänderung vorlägen. Es gelte allerdings, dass bei Bauwerken die Interessen des Eigentümers an einer anderweitigen Nutzung oder Bebauung des Grundstückes oder des Gebäudes den Interessen des Urhebers in der Regel vorgingen.

Auf dieser Grundlage sieht das Gericht urheberrechtliche Ansprüche der Architekten auf Untersagung des Absrisses nicht: Umstände, die gegen den Vorrang des Interesses des Eigentümers an einer Nutzungsänderung des streitbefangenen Grundstückes und damit eines Abrisses des Gebäudes sprechen, lägen hier entgegen der Auffassung des Architektenbüros nicht vor.

Dabei betonte das Gericht zunächst, dass dem Gebäude zweifellos Urheberrechtsschutz zukomme, da es eine erhebliche Gestaltungshöhe aufweise. Das Interesse der Eigentümerin, das streitbefangene Grundstück anderweitig zu nutzen, indem sie das streitbefangene Gebäude abreiße und einen Neubau errichtet, der den heutigen Anforderungen an einen sozialen Wohnungsbau und den Bedürfnissen des Wohnungsmarktes entspreche, gehe aber vor. Dabei falle erheblich ins Gewicht, dass das Gebäude in seinem derzeitigen Zustand unstreitig nicht nutzbar sei und für die Aufgabenerfüllung des Eigentümers als öffentliches Wohnungsbauunternehmen nicht zur Verfügung stehe. Darüber hinaus habe die Eigentümerin nachvollziehbar und im Einzelnen vorgetragen, dass und warum sie das streitbefangene Haus durch einen modernen Neubau mit 90 zum Teil mietpreisgebundenen Wohnungen ersetzen möchte. Sie habe sich bei dieser Entscheidung umfassend gutachterlich beraten lassen. Weiter habe sie aktualisierte Wirtschaftlichkeitsberechnungen vorgelegt, aus denen nachvollziehbar hervorgehe, dass ein Neubau für die Eigentümerin wirtschaftlicher sei als eine Sanierung des vorhandenen streitbefangenen Gebäudes.


Hinweis
Auch der Hinweis der Architekten, dass das Kopfgebäude Teil des Gesamtensembles sei, führte nach den Abwägungen des Gerichts nicht zu einem anderen Ergebnis. Das Gericht meinte hierzu, dass für diesen Fall der Abriss des Kopfgebäudes eine Werkänderung des Gesamtensembles darstelle, die durch das Architektenbüro mit derselben Begründung hinzunehmen sei, wie der Abriss des Kopfgebäudes als Einzelwerk. Dass der Gesamteindruck der Wohnanlage durch den Abriss des Kopfgebäudes und einen Neubau, wie von der Eigentümerin geplant, derartig verfälscht würde, dass das restliche Werk in nicht hinnehmbarer Weise entstellt würde, sei nicht anzunehmen.


Kontakt
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Rechtsanwälte Reuter Grüttner Schenck