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04.10.2007

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Der deutsche Rationalist

Zum Tode von Oswald Mathias Ungers


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Der womöglich einflussreichste deutsche Architekt der Gegenwart ist tot. Wie seine Familie am 4. Oktober 2007 bekannt gab, erlag Oswald Mathias Ungers am 30. September 2007 im Alter von 81 Jahren den Folgen einer Lungenentzündung.

Ungers wurde 1926 in Kaisersesch in der Eifel in einfachen Verhältnissen geboren. Er studierte an der TH Karlsruhe bei Egon Eiermann und begann seine selbständige Berufstätigkeit 1950 in Köln. Sein eigenes Wohnhaus in Köln-Müngersdorf von 1959 fehlt in keiner Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Es folgten Wohnbauten wie ein Block im Märkischen Viertel in Berlin (1966).

Seine große Bedeutung, insbesondere im Ausland, erlangte Ungers aber hauptsächlich durch seine theoretische Lehrtätigkeit. Ungers ist derjenige, der die Thesen Aldo Rossis, die dieser 1966 in der Schrift „L'Architettura della Città" zusammengefasst hatte, im deutschen Sprachraum maßgeblich zu verbreiten half. Damit wurde das Ende der degenerierten Vulgärmoderne eingeleitet und im weiteren Verlauf die Blüte der geschichtsbewussten Postmoderne theoretisch untermauert.

Ungers hat seine Lehren seit 1963 an unzähligen verschiedenen Hochschulen in Deutschland, Österreich, Italien und vor allem den USA als Professor oder Gastkritiker vertreten, unter anderem an der Harvard University, der TU Berlin und der Düsseldorfer Kunstakademie. Zu seinen Schülern zählt auch Rem Koolhaas.

Sein gebautes Werk wurde erst im größeren Umfang mit Beginn der achtziger Jahre beachtet. In jenem Jahrzehnt baute er die bedeutendsten Wegmarken seines Schaffens, so das Messetor und die Halle 9 der Frankfurter Messe, das Deutsche Architekturmuseum ebendort, die Badische Landesbibliothek in Karlsruhe und das Polarforschungszentrum in Bremerhaven. Einer seiner größten Bauten ist der Block 205 an der Friedrichstraße in Berlin-Mitte aus den neunziger Jahren. Bei allen seinen Werken der letzten Jahrzehnte zeigte Ungers, dessen Architektur als „rationalistisch“ bezeichnet wird, eine fast manische Fixierung auf das Quadrat, als die seinen Bauten zu Grunde liegende geometrische Grundform.

Als Gesamtschau über sein Lebenswerk wurde von Oktober 2006 bis Januar 2007 in der Berliner Neuen Nationalgalerie die große Ausstellung „O.M. Ungers – Kosmos der Architektur“ gezeigt. Zur Begrüßung und in Anwesenhait von Ungers sprach Rem Koolhaas, dessen Büro-Akronym OMA ein bewusstes Spiel mit Ungers’ Initialen OMU ist. Ungers wurde am Eröffnungsabend unter großer Anteilnahme der deutschen Architektenschaft euphorisch gefeiert.


Zum Thema:

BauNetzWOCHE#4 mit einem Special über Ungers


Kommentare

2

Peter Riemann | 06.10.2007 10:52 Uhr

Zur Bedeutung von O.M.Ungers

Es war an der Zeit noch einmal die einzigartige Position von Oswald Mathias Ungers als Denker, Lehrer und Beweger herauszuarbeiten, der mithalf den "Bauwirtschaftsfunktionalismus " (H.Klotz) zu überwinden. Seine große Bedeutung, von der im dritten Absatz der BauNetz-Meldung die Rede ist, scheint auf in der Ausstellung "Lernen von O.M.Ungers" an der TU Berlin Ende 2006.
Während parallel dazu in der Nationalgalerie mit dem "Kosmos der Architektur" das Genie gefeiert wurde, ist es das Verdienst von Erika Mühlthaler mit dem Lehrstuhl Prof. Dr. Neumeyer den Lehrer und Methodiker einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben.
Ein erster Versuch die eindimensionale Sichtweise über OMU´s "Quadratismus" aufzulösen ist mein Beitrag "Casa Tragica - Città Comica" in: Der Architekt 12/1987 (SS. 586 - 590).
Mit der Rückbesinnung auf die Komplexität seiner vielen ungebauten Entwürfe erkennt man auch, dass er eher die Nähe von "kongenialen Andersdenkern" wie Aldo Rossi, Jonas Geist oder "Querdenkern" wie Rem Koolhaas schätzte als die Nachahmer seines vermeintlich einfachen Rationalismus.
Die von Ungers geschätzte "coincidentia oppositorum" unterschiedlicher Geister muss das belebende Element gewesen sein, dass er für sein Weiterdenken und sein Weiterarbeiten benötigte.
Dieses "sich reiben" an anderen Ideen zeigt sich an der Entwicklung des Projekts "Die Stadt in der Stadt" (The City in the City - Berlin: A Green Archipelago", Koolhaas, Ungers, Riemann), das in Berlin im Sommer 1977 entstand und dann in Cornell mit den Studentenprojekten der Summer School (Leitung: H. Kollhoff und A. Ovaska) zusammengeführt wurde zu einer Broschüre, die dem SPD Aussschuss am 23. September 1977 in Berlin vorgelegt wurde.
In dieser Zusammenfassung erschien die Studie dann in Lotus 19, Juni 1978, SS. 82 - 97.
Durch die Überarbeitung ist die ursprüngliche Sprengkraft des von Rem Koolhas entwickelten "Archipelago - Konzeptes" verloren gegangen, der u.a. in "ökologischen Reservaten, in Wälder und verwilderten Parks" die Möglichkeit eines "neuen Tourismuskonzeptes" entdeckte: "hunting - safaris" mitten in Berlin! Das mag man als "fuck the context" interpretieren, oder das Heruntersteigen des "homme sauvage" von den Freizeitdächern der Unités. Durch die gleichzeitig von ihm vorgeschlagene "Superimposition" von mini - utopias (Magintogorsk, Central Park, Royal Crescent, etc.) taucht allerdings eine, wenn auch surrealistische Rückbesinnung zur Stadtkonstruktion auf.
Ganz eindeutig ist hier Ungers von Koolhaas, der bereits mit dem fertigen Konzept in der Tasche in Berlin anrückte, befeuert worden.
Das schmälert aber nicht das Verdienst von OMU, denn es hat viel zu wenig Architekturlehrer in Deutschland gegeben, die die Stärke besaßen auch mal andere, wie OMA, durch sich hindurchgehen zu lassen....

1

Dr. Florian Hertweck | 04.10.2007 21:30 Uhr

Zum Tode Ungers

Eben haben wir eine Hausarbeit einer Architekturstudentin bewertet, die den Einfluss Ungers' auf Koolhaas historisiert hat. Und dann lesen wir über den Tod des in der Tat "einflussreichsten deutschen Architekten der Gegenwart". Der herzliche Gesichtsausdruck, den wir bei beiden Architekten auf beigefügtem Foto erkennen, ist natürlich kein Zufall. Koolhaas hat Ungers viel zu verdanken und der Glanz von Koolhaas strahlt auch auf den Rheinländer ab. Es ist jedoch nicht Rossis Werk der "Architektur der Stadt", welches die theoretische Grundlage für das fruchtbare Wechselverhältnis ausmachte, sondern die von beiden (und erstaunlicherweise auch u.a. von Hans Kollhoff) erarbeitete Studie über "Berlin - das grüne Archipel". Koolhaas anti-urbanistischer Ansatz, der in dem provokanten "Fuck the context" gipfelte (und sich in etlichen Projekten - Casa del Musica, Seattle Public Library, etc - materialisiert), lässt sich nur vor dem Hintergrund dieses Forschungsrojekts verstehen. Langfristig wird Ungers (auch eher in seiner Funktion als Dekan von Cornell) als geistiger Vater und väterlicher Freund von Koolhaas in die Architekturgeschichte eingehen und nicht für seine Quadrate oder seine Konversion zur rekonstruierten Morphologie, die prinzipiell vollkommen jenem pluralistischen Ansatz des Städtearchipels widerspricht und schnell vergessen sein wird. Schade, ich hätte mich noch gerne mit ihm darüber unterhalten - mein herzliches Beileid!

 
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Ungers und Koolhaas am 26. 10. 2006 in der Berliner Neuen Nationalgalerie. Foto: Benedikt Hotze

Ungers und Koolhaas am 26. 10. 2006 in der Berliner Neuen Nationalgalerie. Foto: Benedikt Hotze


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