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10.05.2006

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3 Fragen an...

Moritz Rinke über Architektur, Rotwein und Moral


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1. Verstehen Sie Architekten?

Ich kenne zu wenige, um das sagen zu können. Der erste hieß Kleffel aus Hamburg, da war ich 16. Ich war in des Architekten Tochter verliebt und mochte sogar den Vater. Er trank Rotwein beim Kochen, liebte seinen Saab 900, und alles was er sagte, zeugte von ästhetischer Entwurfskraft. Der Garten, in dem wir oft den Sonntag verbrachten, reichte bis an die Alster, und eigentlich wollte ich auch Architekt werden. Ich war davon überzeugt, Architektur sei eine Ästhetik, die unmittelbar auf die Grundbedürfnisse des Menschen angewendet werden könne und im besten Falle den Menschen hebe, den Rahmen schaffe, in dem Besseres möglich werde. Eigentlich war Architektur für mich, wenn Kleffel mit seinem Rotweinglas dozierend im Garten stand: angewandte Philosophie, nein, die konkreteste Kunst zur Vollendung des Menschen.

Nach und nach habe ich erfahren, dass die Menschen sich nicht unbedingt vollenden wollen und schon gar nicht mit Gebäuden und Städtebau. Und dass sich nicht die Menschen nach den Architekten richten, sondern wohl doch die Architekten nach den Menschen. Das würde mich mal interessieren, ob das so stimmt.

In meiner Disziplin, ist das schwer zu sagen, wer sich da nach wem richtet, meist entspringen die Moden irgendwelchen reizenden Oberflächen oder Richtungsgefechten in der Fachkritik, denen dann alles geopfert wird: Text, Schauspieler, Inhalte. Meist weiß der Produzierende gar nicht mehr, was er eigentlich mag; er glaubt nur, was die Kritiker vielleicht mögen und was nicht und wie man in der jetzigen Zeit rüberzukommen habe und dass man sowieso eigentlich mehr Pressearbeit machen muss als die genuine Arbeit, damit man überhaupt noch gehört wird. Und am Ende weiß eigentlich kein Mensch mehr, warum etwas so aussieht, wie es aussieht. Dieses Gefühl beschleicht mich natürlich oft, wenn ich durch unsere Städte laufe und dann denke ich, ach, die Architekten, die haben bestimmt auch nicht mehr den wirklichen guten Kontakt zu ihrem eigenen Empfinden.

Wenn ich heute im Garten mit einem Architekten wäre, dann würde der Jung-Kleffel bestimmt nicht mehr mit dem Rotweinglas dastehen, sondern mit einer Trommel und einem Marketing-Plan und würde mit dem öffentlichen Nahverkehr zu seinem Dienstleistungsort fahren. Ich glaube, es ist nüchterner geworden. Und das kann ich, wenn den Druck und die Zwänge in meinem Bereich vergleiche, sogar verstehen.

2. Ihr Traumberuf?

Schriftsteller oder Nationaltorwart.

3. Wann gibt es wieder Moral in der Welt?

Na, woher soll ich das wissen? Die Moral an sich, wird es sowieso nie geben. Es ist die Frage, wie wir – und da zählen die Künste dazu – so etwas wie Moral im Plural in die Welt bringen können, sollen, wollen? Der Begriff ist ja lange Zeit genauso tabuisiert gewesen wie „Utopie“, das galt alles als verstaubt, sauer, 68, Adorno, Bloch usw. Mittlerweile aber passiert wieder etwas, wie zum Beispiel die attac-Bewegung, aber nicht so wie 68, wo die Linken die schöne Welt irgendwo am rosaroten Horizont sahen und Kritik immer nur im Beschreiben der schlimmen Differenz bestand. Sondern die Globalisierungskritik ist sehr konkret, setzt sogar vor Ort an und greift ein, natürlich viel zu spät.

Zum ästhetischen Verfahren der Moralvermittlung: das geht natürlich nicht mehr wie früher, sondern auch Moral muss sich verkaufen, das macht ja teilweise schon die Werbung. Man passt sie also einerseits der Zeit geschickt an, andererseits muss man aber auch die Zeit radikal ihr anpassen. Moral kann nur noch in dieser Spannung Raum greifen: Sie läuft erst bequem in den Status quo ein, aber dann biegt sie plötzlich ab in die Rebellion. Vielleicht meinte Brecht deshalb, politische Kunst müsse auch kulinarisch sein. Fest steht auf jeden Fall, dass Politiker eine neue Moral erst dann begreifen würden, wenn sie sie im Fernsehen gesehen haben.


 
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Moritz Rinke Dramatiker, Jahrgang 1967  Lieblingshaus: Ich suche es noch. Irgendwo am Meer, zum Schreiben, und wenn es nur ein Zimmer ist mit freiem Blick. Würde mich über Angebote freuen unter moritzrinke@yahoo.de

Moritz Rinke Dramatiker, Jahrgang 1967 Lieblingshaus: Ich suche es noch. Irgendwo am Meer, zum Schreiben, und wenn es nur ein Zimmer ist mit freiem Blick. Würde mich über Angebote freuen unter moritzrinke@yahoo.de


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