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26.04.2018

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Buchtipp: Identität durch Imitat?

historisch versus MODERN: Rekonstruktion, Retroversion, Kopie


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Abreißen, neu bauen, wiederherstellen oder nachahmen? In vielen Städten weltweit ist der historische Bestand Thema – der Umgang mit ihm ist verschieden und führt immer wieder zu Diskussionen. Während in China ganze Städte nachgeahmt werden, scheiden sich in Deutschland bereits an einzelnen Gebäuden die Geister. Besonders bedeutsam war hierzulande die Debatte um die Rekonstruktion der Frauenkirche zu Beginn der Nullerjahre in Dresden. Diese Eindrücke prägten auch Barbara Engel, die Herausgeberin der Publikation „historisch versus MODERN. Identität durch Imitat?. Bevor sie an das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) als Professorin für internationalen Städtebau und Entwerfen berufen wurde, promovierte und lehrte sie nämlich an der TU Dresden.

„Was können städtebauliche Strukturen und Architekturen für die Stadtidentität leisten?“ und „Kann ein historisches Bild als Leitbild und Imageträger für die Zukunft fungieren?“, sind die Kernfragen der Publikation. Dabei präsentiert historisch versus MODERN nicht, wie der Titel vermuten lässt, das Pro und Kontra oder die Gegenüber der Denkmaldebatte. Vielmehr steht die differenzierte Betrachtung und Dokumentation von vierzehn Beispielprojekten verschiedener geografischer, sozioökonomischer und planungskultureller Kontexte des internationalen Raums im Vordergrund. Jedes Projekt wird kurz eingeleitet, in den historischen und politischen Kontext gesetzt, kritisch analysiert und mit Blick auf die Bedeutung für die Stadtentwicklung diskutiert. Karten, Zeichnungen und Bilder visualisieren die städtebaulichen Situationen, die nach vier Kategorien gegliedert sind.

Der Wiederaufbau nach Verlust und die Wiederherstellung von Identität: Spannend ist hier die Diskussion zur Retroversion, einer Methode des Wiederaufbaus nach zeitgenössischer Interpretation mit Bezug zur Historie. Fraglich ist, welcher Grad der Veränderung zwischen Gebautem, Erzähltem und dazu Erfundenem stattfindet und ob die Authentizität der Architektur überhaupt noch eine Rolle spielt.

Das Folgethema sind Kopierte Räume. Zum einen Satellitenstädte, Imitate europäischer Quartiere, wie sie rund um Shanghai als Orte zur Verlagerung der Industrien oder zur Entlastung des Bevölkerungsdrucks entstehen. Zum Anderen sind gänzlich kopierte Städte wie das österreichische Hallstatt gemeint, die quer durch China zu finden sind. Ob so eine neue Identität entsteht oder die Duplikate „pittoreske Oberflächen“ bleiben, soll erst in Zukunft beurteilt werden.

Mit Neue alte Städte werden nachgebaute Quartiere und Gebäude vorgestellt, die zuvor nie existiert haben, nun aber über Kleinteiligkeit und Baustile der Vergangenheit eine stadträumliche Idylle hervorrufen sollen – es sind Utopien „deren Zukunftsversprechen in der Geschichte“ liegen. Klingt fast illusorisch. Die Bandbreite der Beispiele aus China, den Niederlanden, den USA, Großbritannien und den Arabischen Emiraten zeigt jedoch, dass Mensch auf falsche Historik setzt.

Das letzte Themengebiet, die Transformation von Geschichte, beschäftigt sich mit der Stadt in Veränderung und der Frage, ob nicht die Überlagerung von Zeitschichten zur gewünschten städtischen Identität führen kann. Den Dialog zwischen Alt und Neu suchend, zeigen Beispiele aus Brasilien, Mazedonien und der Türkei Spannungsfelder zwischen behutsamer Erneuerung und dem großmaßstäblichen Eingriff.

Die Sachlichkeit und die klare, anschauliche Vermittlung der immer noch hochaktuellen Debatte um den Umgang mit unserer Geschichte machen das Buch, kombiniert mit einem zwischen den Projekten liegendem Glossar für Grundbegriffe der Denkmalpflege, zu einem Nachschlagewerk für Tendenzen des internationalen Städtebaus. Ob Rekonstruktionsgegner, Verfechter des Retro-Looks, historischer Stadtkern-Fan oder noch positionslos – historisch versus MODERN verschafft einen guten Überblick, der über den europäischen Tellerrand hinaus die Suche nach Identität in der gebauten Umwelt als zentrales Thema herausstellt.

Text: Riccarda Capeller

historisch versus MODERN. Identität durch Imitat?

Barbara Engel (Hg.) mit Johannes Blechschmidt, Max Mütsch, Philine Schneider
jovis, Berlin 2018
224 Seiten, ca. 200 farbige Abbildungen
ISBN 978-3-86859-506-2
29,95 Euro



 
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Buchcover

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Ulica Rybacka im polnischen Elblag (2014)

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Blick auf das alte Stadtzentrum von Datong (2013)

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Als eine der ersten Maßnahmen wird die Stadtmauer im Stil der Ming-Dynastie wiederaufgebaut (2010). Sie umgibt die Altstadt mit prächtigen Wachtürmen, von denen man Blicke auf die Stadt genießen kann.

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