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01.12.2022

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Buchtipp: Architektur und Stadtklima

Zwei Bände aus der Reihe Klima Polis


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Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, so die Umweltsoziologin Elizabeth Shove, dass die Ressourcen, die für das Management des Innenraumklimas weltweit aufgewendet werden, maßgeblich für negative Umweltveränderungen im Freien verantwortlich sind. Von Klimaanlagen über aufwendige Sonnenschutzsysteme bis hin zu konventionellen Wärmedämmverbundsystemen fallen einem diesbezüglich sofort Bilder der eigenen Umgebung ein. Insbesondere in Städten zeigt sich laut Shove, dass die gebaute Welt (Kultur) nicht getrennt von der vermeintlich äußeren Umwelt (Natur) betrachtet werden sollte, sondern beide im Zusammenspiel das Stadtklima ausmachen.

Diesen Aspekt greift der Schweizer Architekturtheoretiker Sascha Roesler in seiner zweibändigen Publikation City, Climate, and Architecture. A Theory of Collective Practice (Vol. 1) und Coping with Urban Climates. Comparative Perspectives on Architecture and Thermal Governance (Vol. 2) auf. In einer dicht recherchierten Analyse widmet er sich aktuellen wie historischen Ansätzen zur Klimaforschung innerhalb der Architektur und Stadtplanung.

Die Publikationen entstanden im Rahmen eines sechsjährigen Forschungsprojektes zum Thema „Architektur und Stadtklima“ an der ETH Zürich und der Akademie für Architektur in Mendrisio. Sie bilden zudem den Auftakt der internationalen Reihe KLIMA POLIS, die beim Birkhäuser Verlag erscheint und auf der Verlagswebsite in Form von kostenfreien E-Books zur Verfügung steht. Insbesondere aufgrund dieses barrierefreien Zugangs sei hiermit eine wärmste Empfehlung für die zwei lohnenswerten Veröffentlichungen ausgesprochen.

In Band 1 eröffnet Roesler eine historische und architekturtheoretische Perspektive auf die Entstehung der modernen Stadtklimatologie als Wissenschaft und legt einen Schwerpunkt auf die Zeit der Zwischenkriegsjahre in Deutschland. Anhand von baulichen Beispielen und ausgewählten planerischen Ansätzen aus dem In- und Ausland zeichnet er die Entwicklungen geistesgeschichtlich nach. Zentrale These des Autors ist, dass die Ansätze des 20. Jahrhunderts zur Klimakontrolle bereits Elemente für eine neue urbane Theorie der Klimatologie als kollektive Praxis beinhalten.

Roesler sieht innerhalb der Moderne vor allem zwei Hauptaspekte: zum einen die Frage nach der gesellschaftlichen Abhängigkeit vom Klima bezogen auf gesundheitliche Aspekte, zum anderen den Einfluss von Städten auf das Klima selbst. Thematische Schwerpunkte setzt er unter anderem bei Ludwig Hilberseimer als „heimlichen Helden“ des Buches und Berlin als Ort. Dabei veranschaulichen historische Fotografien, Skizzen und Pläne die Theorie und lockern die textlastigen, gut recherchierten Kapitel zusätzlich auf.

Der zweite Band erscheint im Vergleich etwas entzerrter, was unter anderem an Untersuchungen von vier internationalen Metropolen liegt, an denen exemplarisch die Beziehungen zwischen Stadtklima, Architektur und Gesellschaft innerhalb und außerhalb von Gebäuden thematisiert werden. Neben Sascha Roesler wirkten daran Lorenzo Stieger, Lionel Epiney, Madlen Kobi und Dalila Ghodbane als Autor*innen mit, die die Städte Genf, Santiago de Chile, Chongqing und Kairo vorstellen. Das Team wertete dazu soziokulturelle und meteorologische Daten der vier Städte aus.

Für das 21. Jahrhundert sieht Roesler den Begriff „Thermal Governance“ als zentral an, mit dem Gebäude intern wie extern als zwei Seiten eines Stadtklimas inklusive sozialer Gesichtspunkte zusammengedacht werden sollen. Damit plädiert der Autor für die Untrennbarkeit von Klimakontrolle und Politik. Wer sind die entsprechenden Akteur*innen in Institutionen und der Zivilgesellschaft? Was macht eine architektonische und städtebauliche Praxis unter diesen Gesichtspunkten aus? Woraus bestehen ihre konzeptuellen und theoretischen Komponenten?

Die Antworten auf diese Fragen spannen sich aktuell innerhalb von Städten wohl buchstäblich zwischen zunehmend klimatisierten Räumen mit Komfort-Standard um 20 Grad und Hitzeinseln mit Spitzentemperaturen auf. Wer nach Ansätzen für Veränderung sucht, werfe einen Blick in diese beiden Bücher.

Text: Ariann Schwarz

Klima Polis Vol. 1: City, Climate, and Architecture. A Theory of Collective Practice
Sascha Roesler
276 Seiten
Englisch
Birkhäuser Verlag, Basel 2022
ISBN: 978-3-0356-2416-8
E-Book: kostenlos
Gebunden: 68 Euro

Klima Polis Vol. 2: Coping with Urban Climates Comparative Perspectives on Architecture and Thermal Governance
Sascha Roesler, Madlen Kobi, Lorenzo Stieger (Hrsg.)
240 Seiten
Englisch
Birkhäuser Verlag, Basel 2022
ISBN: 978-3-0356-2424-3
E-Book: kostenlos
Gebunden: 68 Euro



Kommentare

2

Shi Zo | 01.12.2022 20:01 Uhr

Wetter

Es ist schon immer so, dass zu einem Haus ein Garten gehört. Manchmal ist es besser, erst den Garten, dann das Haus zu bauen.
Dazu braucht man die klassische Profession, den Architekten + Kollegen. Klimasoziologen braucht kein Mensch.
Die Spezialisierung ist das Ende ganzheitlicher Planung. Siehe die sogenannten Energieexperten. Ohne Architekten- Expertise sind diese hilflos.
Bitte nicht diese Aufmerksamkeitsdefizitgeplagten protegieren. Danke.

1

JSR | 01.12.2022 18:16 Uhr

etwa Hilberseimer?

Im Ernst? Wenn Ludwig Hilberseimer als "heimlicher Held" des Buches und "Berlin als Ort" geschildert wird, kann man gespannt sein, wie das angesichts der großflächigen Abrisse, des Geschichtshasses und der antiurbanen Grundhaltung der bekanntesten Arbeiten von Hilberseimer gemeint sein soll - unbedingt studieren und keinen Bären aufbinden lassen...

 
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