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29.04.2021

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Unsichtbar bleiben

Zur Sanierung der Neuen Nationalgalerie in Berlin von David Chipperfield Architects


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Die Neue Nationalgalerie in Berlin ist fit für die kommenden Jahrzehnte. Der nach Plänen von Mies van der Rohe 1968 fertig gestellte Bau, der vielen als Ikone der Moderne gilt, wurde unter Leitung von David Chipperfield Architects von Grund auf instandgesetzt. Mit dem heutigen Tag der Schlüsselübergabe an die Staatlichen Museen zu Berlin geht ein Sanierungsprojekt zu Ende, auf das die Denkmalpflege wohl lange verweisen wird.

Von Friederike Meyer

Dem Museum weitere Jahrzehnte Funktionsfähigkeit zu ermöglichen, den bauzeitlichen Zustand von 1968 samt Patina zu erhalten und so wenig wie möglich strukturell einzugreifen – das waren die Aufgaben für das Büro David Chipperfield Architects, als die Neue Nationalgalerie 2015 ihre Türen für die Grundinstandsetzung schloss. Lange hatte das 50 Jahre alte Haus unter den bekannten Altersproblemen öffentlicher, moderner Bauten gelitten: veraltete Haustechnik, geborstene Scheiben, korrodierte Elemente, Gebrauchsspuren einer musealen Turbonutzung. Wer nun sechs Jahre später die auratische Halle betritt, zuckt mit den Schultern: Sieht aus wie vorher. Genau das war der Plan. In seiner Erfüllung liegt die Leistung aller Beteiligten, von denen das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung BBR als Bauherrenvertreter und Projektmanager, Mies-Enkel Dirk Lohan und Mies-Spezialist Fritz Neumeyer als Berater, Topos, ProDenkmal und die Ingenieure von GSE, Enseleit und W33 als Fachplaner stellvertretend genannt sein sollen.

Es ist eine Leistung, die vor allem mit geduldiger Moderation der verschiedenen Interessen, mit gründlicher Archivrecherche und technisch präziser Ausführung zu tun hat, und die auf der nicht unbedingt selbstverständlichen Grundhaltung des Architekturbüros basiert, möglichst unsichtbar bleiben zu wollen. Zugleich, das muss man fairerweise sagen, waren die Rahmenbedingungen ideal wie selten bei einem Projekt dieser Größe und Prominenz: Nicht nur, dass der Bund 140 Millionen Euro bereitstellte. Alle Beteiligten wollten ein Exempel für den korrekten Umgang mit einer, ja mit ihrer Ikone der Moderne statuieren. Hier war eine Generation am Werk, die zeitgleich mit dem Haus heranwuchs und seinen Mythos tief verinnerlicht hat. Ihr Respekt vor der Aura des Bauwerkes, ihr Slogan „So viel Mies wie möglich“ war eine Konstante, die die gesamte Bauzeit bestimmt hat. Keine Streiterei drang nach außen, keine Kostensteigerung dominierte die Debatte. Alles war unter Kontrolle – so wie die radikal reduzierte Konstruktion des auf acht Stützen ruhenden, schweren Dachs über der auf maximale Transparenz getrimmten Halle.

Bis zur schmalsten Fuge wurde das Vorgehen dokumentiert und in all seinen Facetten medial aufbereitet – vom Abtragen der Granitplatten und Eichenholzpaneele über die Erneuerung der Tragstruktur bis zum Wiedereinsetzen der Originalteile an ihren alten Platz. Die Beiträge im liebevoll gepflegten Baublog präsentierten derweil Anekdoten und Bilder aus der Nutzungszeit und gaben jedem Meilenstein der Sanierung Raum – den neuen Glasscheiben, die in der nötigen Größe weltweit nur ein einziges Werk in China herstellen konnte; dem Beleuchtungskonzept, das man auf LED-Technik umrüstete; der Betonsanierung, die im Untergeschoss nötig wurde; der optimierten Haustechnik, die in den alten Kanälen verläuft; den Bäumen im Skulpturengarten, dessen Wände neu gesetzt werden mussten.

Es ist eine Sanierung, bei der es im sichtbaren Teil nichts wegzunehmen, aber auch nichts hinzuzufügen galt. Jegliche Veränderung hätte die Struktur in ihrer Gesamtwirkung entstellt, sagt der verantwortliche Architekt Martin Reichert. Im Gegensatz zur Halle, deren Erscheinungsbild um jeden Preis erhalten bleiben sollte, diskutierte man im Untergeschoss lange über die Raufasertapete und den grauen Teppichboden in den Ausstellungsräumen, die nicht so recht in das Bild der glanzvoll perfekten Moderne passten. Raufasertapeten findet man im sanierten Haus nur noch exemplarisch, doch ansonsten blieben alle Elemente erhalten, zum Teil ersetzt durch Materialien der Originalhersteller. Dennoch gab es – von außen unsichtbare – räumliche Änderungen. Die Gemälde- und die Skulpturensammlung wurden in ein neues Depot unter dem östlichen Vorplatz verlagert. An ihre Stelle sind Garderobe und Buchladen gerückt – die einzigen Orte, an denen die Architekten ihre dezente Handschrift hinterlassen konnten. Die betonsichtige Decke der alten Depoträume bleibt als Zeichen, dass sie ursprünglich nicht öffentlich zugängig waren, erhalten.

Die Aufgabe der denkmalgerechten Grundinstandsetzung kann man besser wohl nicht erfüllen. Die Qualität des Ergebnisses bietet aber auch Anlass zur Diskussion um die Angemessenheit der Mittel. So lässt es uns die Standards hinterfragen, die Kunstwerke und Verleihgeschäft heute von Museen erwarten und die all die technischen und ökologisch bedenklichen Verrenkungen provozieren, damit ein derart transparentes Gebäude in Zeiten turbulenten Wetters rund um die Uhr innenklimatisch stabil bleibt. Es lässt uns nach dem Publikum fragen, das sich im Haus künftig willkommen fühlen wird – und nach dem Nutzen für die Stadt jenseits des Geldes, das die Touristen dalassen, um die sorgfältig konservierte und vielleicht eines Tages als Weltkulturerbe deklarierte Perfektion bewundern zu können. Als die Nationalgalerie gebaut wurde, markierte sie den Aufbruch in eine neue Zeit. Ermöglicht ihre Sanierung einen erneuten Aufbruch? Die Antwort liegt nun in den Händen der Staatlichen Museen. Doch diese schwelgen erst einmal in den guten alten Zeiten. Am 22. August wird das Haus mit einer neuen Sammlungspräsentation und einer Ausstellung zum Bildhauer Alexander Calder, dem Schöpfer der Skulptur „Têtes et Queue“ auf dem Vorplatz, wiedereröffnet.


Zum Thema:

Zu Beginn der Sanierung erschien die „BAUNETZWOCHE#393 „Der Mies’sche Patient“. Am 6. Mai 2021 erscheint die BAUNETZWOCHE#578 mit einem vergleichenden Blick nach Washington, wo Mecanoo jüngst die Mies’sche Martin Luther King Jr. Memorial Library aktualisiert haben.

Die Tage der offenen Tür wurden aus Pandemiegründen auf den 28. bis 30. Mai 2021 verschoben.


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Kommentare

14

DocFeelGood | 04.05.2021 17:08 Uhr

Skulpturen

Klasse Ergebnis!
Es fehlen nur noch die Skulpturen, die auf der Terrasse einen Kontrapunkt zu diesem monumentalen Bau setzten. Ich hoffe, die finden wieder ihren Weg an den alten Platz zurueck? (siehe Bild 23-25).

@8 Christoph: Auf den bauzeitlichen Fotos befindet sich kein Fahrrad. Und die Radlerin auf Bild 1 faehrt auf dem an dieser Stelle sicheren Radweg ...

13

STPH | 03.05.2021 09:32 Uhr

@Hartmut Göhler zum grünen Tinos Marmor

Herr Lohan beschreibt in einem link hierzu die peinlichste Vermeidung von zentrierten Spiegelbildmotiven der Steinmaserung und genau das ist aber bei dem Wiederaufbau des Barcelonapavillons passiert, wodurch der flow der Anlage meiner Meinung nach gestört ist.

12

Hartmut Göhler | 02.05.2021 18:06 Uhr

Travertin und Start-Up-Beton-Look

Liebe Baunetz-Redaktion, vielen Dank für die schön zu lesende ausführliche "Meldung". In ihrer Ausführlichkeit ist sie dem auf das Erfreulichste genesenen "Mies'schen Patienten" angemessen. Die wunderbaren Fotos lassen grosse Vorfreude auf einen ersten Besuch aufkommen.Und die grossartige Arbeit des Teams um das Büro Chipperfield weckt Begeisterung und Respekt.

Als Mies-Fan kann ich mir eine kleine Korrektur nicht verkneifen. Sie betrifft die Beschriftung von Bild 16: nicht der "Travertin" der Schächte wurde abgenommen und wieder angehängt, sondern der Serpentinit Verde Gloria ( oder auch grüner Tinos Marmor), wie ihn Mies auch am Barcelona-Pavillon eingesetzt hat...

Im Übrigen möchte ich dem Kommentar von Frauke widersprechen: nur das Zeigen der nunmehr sichtbaren Betonstruktur ist denkmalgerecht - eine Verkleidung im "Mies'schen Sinne" wäre ein Fälschung. Der "Start-Up-Beton-Look" von Kassettendecke und Pilzstütze unten ist zudem ein schöner Kontrapunkt zur Stahlkonstruktion oben. Und eine wunderbare kleine Entdeckung für jeden Pilger in den Katakomben des Tempels.

[Anmerkung der Redaktion: Danke für den Hinweis, wir haben Bildunterschrift 16 korrigiert.]

11

auch ein | 30.04.2021 12:39 Uhr

architekt

@2 Frauke:
gerade das finde ich gut! das man das alles sieht.

es ist wie bei den meisten schön schlanken eleganten tischleuchten...man sieht oben das design, unterm tisch liegt der dicke trafo mit dem kabelsalat , den es dazu eben braucht.

10

ONE | 30.04.2021 12:27 Uhr

Großartig!

II.

9

schlawuki | 30.04.2021 12:00 Uhr

jungs

na, liebe kollegen, habt ihr da nicht ein paar vergessen?
nicht nur die architekten in ihrem elefenbeinturm die sich, wie ihr hier gerne, selbst beweihräuchern und darstellen, auch die jungs die das ganze ausführen, eisenflechter und schalungsbauer, der kleine arme bauleiter der nirgends auftaucht und den ganzen druck abpuffern muss, all die, die gehören auch erwähnt und gelobt für diese wunderbare perle.
danke, jungs!
hut ab...

8

Christoph | 30.04.2021 09:55 Uhr

Kompliment an Simon Menges

Ein kleines Kompliment an den Fotografen für den versteckten Scherz, das auf den bauzeitlichen Fotos zeitgenössisch vorbeifahrende Auto durch ein zeitgenössisch vorbeifahrendes Fahrrad zu ersetzen – obgleich natürlich jeder mit Ortskenntnis weiss, dass es Selbstmord ist, diese Spur mit dem Rad zu befahren.

Und das Gebäude selbst ist ausserordentlich schön geworden. Da die alten Scheiben langsam fast blind geworden waren, ist das Gebäude trotz der neuen Verglasung deutlich transparenter – da hat der Zahn der Zeit für die Wahrnehmung durchaus Positives bewirkt.

7

STPH | 30.04.2021 09:06 Uhr

...

Schon verrückt: eine weitgehende Blackbox als Sockel und darauf der Eingangstempel für Temporäres. Höchst funktional wenn es auch erst nicht so aussieht.

Eine vertikale Ordnung horizontal gelagert.

6

ac.arch | 30.04.2021 08:22 Uhr

Kompliment an alle Beteiligten

Chapeau! Hier sieht man, dass das gesamte Planungsteam eine hervorragende Arbeit geleistet hat.
Die Arbeit der Architekten - super! Aber was hier die Haustechnikplanung, die Bauphysik, die Denkmalpflege etc. geleistet hat, verdient auch allen Respekt! Ein wirklich gutes Ergebnis ist ohne dieses Verständnis untereinander nicht zu machen. Ich möchte nicht wissen, wie sehr die Disziplinen miteinander gerungen, diskutiert und - im Ergebnis - alle voneinander gelernt haben. Super!
Und noch etwas: Die Bilder 4,7,8 und vor allen Dingen 10 und 12 zeigen mehr als deutlich, das Stephan Braunfels mit seiner Kritik am Projekt von HdM richtig liegt. Für mich ein Grund schnell nochmal nach Berlin zu fahren, bevor es zu spät ist!

5

Nils aus Münster | 29.04.2021 17:04 Uhr

neue Nationalgalerie

...Wow!

4

salo | 29.04.2021 16:49 Uhr

Ein großes Dankeschön...

Zum Niederknien.

Vielen Dank an D.C. und die Beteiligten.

Mit Samthandschuhen restauriert und unsichtbar geblieben - hätte Mies das Ergebnis je gesehen, er würde sicher eine exquisite Zigarre spendiert haben.

Bild 10 +12: demnächst mit Scheunenblick...

L.i.m.

3

auch ein | 29.04.2021 16:14 Uhr

architekt

wunderschön! Ein kompromissloser, zurückhaltender Ansatz diese Ikone zu sanieren!

2

Frauke | 29.04.2021 16:13 Uhr

Oben Hui unten Pfui

Erstmal vorweg, toll dass die Nationalgalerie wieder ohne Bauzaun etc sichtbar, ich habe den Anblick sehr vermisst!

Auf der haben Seite stehen für mich die sehr gelungene Ausführung der Glasscheiben mit toller Transparenz. Hier hatte ich beffürchtet, dass zugunsten der Bauphysik etwas davon verloren geht.

Auch die steinenren Oberflächen in frischem Glanz sehen ist toll.

Nun aber zur Kritik, die ich für wirklich elementar und unverzeihlich halte.
Die Entblößung der Konstruktion im UG kommt fast gleich einem alten Herren die Hose runterziehen, wenn ich das Bild bemühen darf. Wo alles auf die Perfektion der aufeinander abgestimment Raster ausgelegt ist wurden die tragenden Stützen im UG mit Absicht nicht öffentlich gezeigt.

Dies nun wie jedes x-beliebige Start-Up Office mit ein bisschen Beton Look freizulegen ist für mich unter denkmalpflegerischer Sicht nicht nachvollziehbar.

1

d.teil | 29.04.2021 16:12 Uhr

Kannst du....

....sagen nichts so far.
Sieht aus wie neu (positiv gemeint).
Allein die virtuelle schlüsselübergabe war recht ermüdend......Chipperfield konnte auch nur ablesen.....hatte mich doch recht erstaunt.
Ende mai soll es - so Gott will- 3 Tage der offenen Tür geben, da kann man dann nach Fehlern suchen, wenn‘s denn welche gäbe. Sehr sehr empfehlenswert ist da eine Doku von rbb- kannst du auf utube anschauen- weitaus interessanter als angesprochene virtuelle Schlüsseldings.

 
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