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14.04.2020

Pyramidenbauer vom Zürichsee

Zum Tod von Justus Dahinden


Von Gregor Harbusch

Er hat unendlich viel mehr entworfen, gebaut und gemacht. Und doch verbinden viele Architekt*innen mit dem Namen Justus Dahinden in erster Linie Pyramiden – genauer: die Pyramide am See in Zürich und das Einkaufs- und Freizeitzentrum Schwabylon in München. Beide Bauten wurden Anfang der 1970er-Jahre fertig und stehen in ihrer Freude an der ungewöhnlichen und starken Form paradigmatisch für das experimentelle Entwerfen jener Zeit. Darüber hinaus erlangte das knallbunte Schwabylon in München Kultstatus, da es ein unternehmerisches Desaster ersten Ranges war und bereits nach sechs Jahren mit dem Abriss begonnen wurde.

Die Pyramide tauchte schon weitaus früher im Werk des 1925 in Zürich geborenen Dahinden auf. Bereits sein Erstlingswerk war eine solche! Für den Vater baute er 1955 ein kleines Feriendomizil auf der Rigi am Vierwaldstättersee in Form eines auf vier Betonpfosten schwebenden, pyramidalen Nurdachhauses. Dieses architektonische Wagnis mag zunächst erstaunen. Wenn man aber weiß, dass der Vater Josef Dahinden als „Pionier und Rebell“ des Schweizer Skitourismus und -unterrichts gilt, überrascht der Drang zum Unkonventionellen nicht mehr ganz so sehr.

Den Erstling setzte Dahinden ein Jahr später selbstbewusst auf das Cover seines Buches Versuch einer Standortbestimmung der Gegenwartsarchitektur. Das Buch basiert auf seiner Dissertation an der ETH Zürich, an der er 1945–49 studiert hatte. Es dokumentiert Dahindens frühes Interesse an Formfragen der Architektur im großen historischen und vergleichenden Rahmen, wie er ihn an der ETH bei Sigfried Giedion kennengelernt hatte.

Bald baute Dahinden die ersten Kirchen – eine Bauaufgabe, die ihn zeitlebens besonders beschäftigen sollte und ihn bis nach Uganda oder Taiwan führte. Als Mitglied im 1957 gegründeten Bundes der Missionsarchitekten BMA baute er weltweit über 30 christliche Gotteshäuser. Doch Dahindens internationales Schaffen beschränkte sich nicht auf ausdrucksstarke Kirchenbauten. Er beschäftigte sich intensiv mit vernakulärer Architektur im globalen Süden und sprach von einer „Akkulturation der Architektur“, womit er ein orts- und klimaspezifisches Bauen meinte, das Traditionen und neue Technologien zu verbinden versucht. Beeindruckend in diesem Zusammenhang ist nicht zuletzt das Bubble-System, das er Ende der 1970er-Jahre zusammen mit dem Schalenbauer Heinz Isler für den Iran entwickelte.

Systembauten beschäftigten Dahinden immer wieder. Im Zürcher Doldertal entstanden 1966–69 beispielsweise farbige und dreieckige Wohnbauten, die auf dem von ihm entwickelten Trigon-System basierten. Das Quadrivium-System sollte flexible Museumsbauten ermöglichen, und das Cubo-System zielte auf öffentliche Groß- oder mehrgeschossige Wohnbauten.

Vielfältig wie seine kreative architektonische Praxis war auch sein geradezu eklektizistisches System an Bezügen. Das gta Archiv der ETH Zürich – dem Dahinden vor einigen Jahren große Teile seines umfangreichen Archivs übergab – steckt diesen Referenzrahmen in Anlehnung an eigene Aussagen so ab: „Dahindens Ziel ist ein ganzheitliches, harmonisches Mensch-Raum-Verhältnis, das er wegleitend an vier Komponenten festmacht: dem Architekten Bruno Taut (Ganzheitlichkeit der Architektur); dem islamischen Stadtwesen (das nicht nur äußerlichen Regeln, sondern einer inneren Ordnung folge – und das Profanes und Religiöses vereinend die Gemeinschaft als Lebensform konstituiere); der Lehre Rudolf Steiners (Ganzheitlichkeit der menschlichen Kreativität); und dem Stadtexperiment der Weltgemeinschaft in Auroville (Indien), die 1968 gegründet wurde (die spirituelle Erfahrung im Mitdenken des Universums als Bestandteil des Seins).“

In den letzten Jahren arbeitete der Architekt mit seinem Sohn Ivo Dahinden zusammen. Am Karsamstag ist Justus Dahinden im Alter von 94 Jahren in seiner Heimatstadt Zürich gestorben.


Video:

Im Herbst 2008 war Dahinden an der ETH Zürich zu Gast in der Reihe "Die Nachkriegszeit im Gespräch" und erzählte dort unterhaltsam und ausführlich aus seinem Leben als Architekt.


Quelle: Professur für Architekturtheorie, Prof. Dr. Laurent Stalder, ETH Zürich

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Justus Dahinden (1925–2020)

Justus Dahinden (1925–2020)

Zelthaus auf der Rigi für Josef Dahinden, 1955

Zelthaus auf der Rigi für Josef Dahinden, 1955

Ferrohaus Zürich (heute: Klinik Pyramide am See), 1970

Ferrohaus Zürich (heute: Klinik Pyramide am See), 1970

Kathedrale von Mityana in Uganda, 1965–1972

Kathedrale von Mityana in Uganda, 1965–1972

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