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07.05.2019

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Dringlichkeiten jenseits des Dachstuhls

Zu den Rekonstruktionsideen der Notre-Dame


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Ein Kommentar von Sophie Jung

Urban Gardening auf dem Dach der Notre-Dame in Paris? Eine Imkerstation in einem gläsern-bronzenen Mittelturm als umweltaktivistischer Ersatz für den neugotischen Dachreiter von Eugène Viollet-le-Duc und Jean-Baptiste Antoine Lassus, der am 15. April 2019 beim Großbrand der Pariser Kathedrale dramatisch einstürzte? Das Dach der Notre-Dame mit seinen jahrhundertealten Eichenbalken ist ausgebrannt. Und seit dem fatalen Ereignis in der Nacht vom 15. auf den 16. April überwerfen sich Politiker*innen, Großspender*innen und Architekt*innen darin, wie denn nun mit der Zerstörung des Kulturdenkmals umzugehen sei. Die gotische Notre-Dame ist zur Projektionsfläche für ein politisches Stimmengewirr worden.

Emmanuel Macron
kündigte noch während des Brands eine schleunige Rekonstruktion des Dachstuhls an. Innerhalb von fünf Jahren, wofür er eigene Gesetze in die Wege leiten muss. Premierminister Edouard Philippe bestärkte den Tatendrang seines Präsidenten, als er am 17. April einen Ideenwettbewerb für eine zeitgenössische Neugestaltung des Daches in Aussicht stellte. Ein Wettbewerb wiederum ist nicht im Sinne der Großspender wie den Milliardärs-Familien Arnault, Bettencourt und Pinault, die binnen weniger Tage 900 Millionen Euro zusammenbrachten, vornehmlich um einen Wiederaufbau in den Zustand vor dem 15. April 2019 zu finanzieren. Trotzdem hat der Vorstoß des Premierministers eine ganze Lawine losgetreten. Architekt*innen wie Laien lancierten seither mit viel Aufmerksamkeit ihre eigenen Visionen der restaurierten Notre-Dame in den Medien. Es kursieren etwa Bilder von Champagnerflaschen anstelle des Mittelturms, die ein Facebook-User namens Romain ins Netz setzte, von einer skulpturalen Nachformung der Feuersbrunst auf dem Dach, die Architekt Mathieu Lehanneur vorschlägt oder von dem dekadent-gottesfürchtigen Dachentwurf aus Baccarat-Kristall, den Studio Fuksas verbreitete. Darunter ist auch der sympathische wie abwegige Vorschlag des jungen Studio NAB aus Paris, das mit einem Gewächshaus und einer Imkerstation auf dem Dach der Kathedrale das Artensterben in der Natur thematisieren will. 

Der Wiederaufbau der Kathedrale, eigentlich ein Problem der Denkmalpflege, weitete sich also in den letzten Wochen zu einem politischen Aktionsgebiet aus. Und wie sich die Gelbwesten in Frankreich lediglich auf ihre gelbe Weste einigen können, beschränkt sich das gemeinsame Interesse der Notre-Dame-Akteure scheinbar nur auf den eingestürzten Dachreiter. Die starken Reaktionen auf den Brand verdeutlichen, mit welch einem Stimmengewirr und welch schneller Triebkraft hier agiert wird. Die einen schaffen Fakten mit Geld, die anderen widerstreben ihnen mit Gesetzen, und die nächsten wecken Begehrlichkeiten mit Bildern, noch bevor man weiß, wie der fatale Brand überhaupt entstehen konnte.

Genau richtig ist da der offene Brief, den über 1.000 Wissenschaftler*innen aus dem Museums- und Denkmalwesen jetzt an Emmanuel Macron richteten. Sie zweifeln an dem Fünfjahresplan des Präsidenten und fordern mehr Zeit, Expertise und eine genaue Analyse der Zerstörung. „Lasst uns nicht die Komplexität des Denkens, die diesen Ort umgeben muss, hinter die Schauseite der Effizienz stellen”, heißt es in dem Brief, den der französische Le Figaro am 29. April veröffentlichte. Vielstimmigkeit sollte es also nach wie vor im Umgang mit der Notre Dame geben, allerdings unbedingt eine durchdachte, mit Zeit und Expertise entwickelte. Mehr Besonnenheit sollte her, vor allem seitens der Politik, auch wenn diese beinhaltet, dass zu den Olympischen Sommerspielen 2024 – in fünf Jahren – der Applaus ausbleibt, denn die Notre-Dame wäre dann womöglich noch immer von einem Gerüst verhüllt. Und was macht man mit den Bildern von Imkerstationen im rekonstruierten Mittelturm? Diese und die anderen sollte man sich anschauen, denn sie sagen sehr viel über die politischen Dringlichkeiten heute aus. Dringlichkeiten jedoch, die jenseits eines Dachstuhls der Notre-Dame liegen.



Kommentare

10

Sieben | 09.05.2019 13:53 Uhr

Notre Dame

Verschiedene Gedanken gehen mir durch den Kopf:
Die Luxus-Variante von Fuksas passt irgendwie nach Paris.
Das Glasdach mit Stahlturm würde zeigen: hier wurde im 21. Jahrhundert gebaut. Man sollte aber versuchen, das Glasdach von unten erkennbar zu machen (Blick von der Kirche in den Himmel!) und nicht als Freizeit-Event zu installieren.
Die anderen Vorschläge finde ich ziemlich scheußlich, so dass mir noch folgende Variante in den Sinn gekommen ist: der abgebrannte Turm war ein Zusatz aus dem 18. o. 19. Jahrhundert. Man könnte das Dach ohne diesen nachträglichen Zusatz einfach wieder schließen. Aber dann werden die gespendeten Millionen vielleicht gar nicht aufgebraucht.
Im übrigen stimme ich Kommentar 6 zu.

9

mawa | 08.05.2019 16:58 Uhr

ad 8

»Für Kontemplation, Ruhe, Rückzug, gar religiöse Regungen ist diese Kirche doch auch schon vor der Brandkatastrophe schon nur bedingt geeignet und gewollt gewesen!?«
Wie kommen Sie auf diese Idee?

8

mages | 08.05.2019 09:40 Uhr

Entspiritualisierung

Warum sollte man in einer weitgehend entspiritualisierten Gesellschaft, die ihr Glück ausschließlich auf Erden sucht nicht die Kirche geben, die zu ihr passt?
Für Kontemplation, Ruhe, Rückzug, gar religiöse Regungen ist diese Kirche doch auch schon vor der Brandkatastrophe schon nur bedingt geeignet und gewollt gewesen!?
Verbrannt ist verbrannt (leider) – daher ist nun definitiv Zeit für neues und hierüber sollte man sich intensiv Gedanken machen, bis hin zu einer Entscheidung, das Gebäude dem Verfall preiszugeben!

7

Bücherwurm | 08.05.2019 07:46 Uhr

Der König ist tot, es lebe der König.

Es scheint hier die immerwährende Diskussion unserer Zeit zu starten. Wiederaufbau oder Weiterentwicklung.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nach einem Brand vor 200 Jahren andere Debatten gab. Aber vielleicht gab es die gerade nicht, weil sich alle einig waren, dass das Gebäude nach dem aktuellen Stand des Geschmacks und der Technik weiter gebaut werden muss?

6

DNLZSK | 07.05.2019 23:31 Uhr

Grotesk und infantil...

Alleine der Zeitpunkt der Veröffentlichung zeigt, dass hier unüberlegte Ideen veröffentlicht werden die einfach nur töricht sind und denen jegliches Verständnis für das gotische Bauwerk fehlt.Aus einer der ersten gotischen Kathedralen überhaupt, eine profane Aussichtsplattform zu machen ist einfach nur dreist!Das Metier der Architekten wird hier dermaßen der Lächerlichkeit preisgegeben, dass es fast genauso schmerzt wie der Verlust des historischen Dachstuhls.

5

staubmeier | 07.05.2019 18:26 Uhr

haben die gerade ...


... nichts besseres zu tun,

als sich auf kosten einer katastrophe zu profilieren?

das grenzt ja schon an leichenfledderei.

4

Jürgen | 07.05.2019 18:07 Uhr

typisch

Ich würde mich so freuen, wenn auch nur ein ernstzunehmender Versuch eines guten Architekten veröffentlicht würde. Das kann doch nicht wahr sein. Angesichts des Zustandes unserer Profession - das liegt bei uns ganz ähnlich wie in Frankreich - kann nur eine originalgetreue Rekonstruktion der äußeren Form in Frage kommen. Mit solchen aus der Hüfte geschossenen Vorschlägen machen sich die Architekten noch lächerlicher, als sowieso schon.

3

IgnazK | 07.05.2019 17:19 Uhr

Die Zerstörung geht weiter

Die Zerstörung geht weiter.
Das denkt man sich wohl bei diesen absurden Bildern.

Glücklicherweise scheint es sich aber nur um Hobbyarchitekten zu handeln, die per Instagram etwas Aufmerksamkeit brauchen.

2

so ein archi | 07.05.2019 17:14 Uhr

zurückhaltend...

@1: Rudi
naja, man kann über das gezeigte geteilter Meinung sein, ich finde tendenziell die Idee das Dach zu öffnen und begehbar zu machen jetzt so blöd nicht.
Lustig finde ich allerdings ihre Passage zu Egoismus und Selbstdarstellung... grad an so einem dezent-zurückhaltend, ja geradezu minimalistischen Bestandsbau wie Notre Dame, der auf gar keinen Fall etwas mit Selbstdarstellung zu tun hat ;)
Wenn Kardinal Richelieu in der Jury säße wäre Fuksas sicher Favorit. Ein Dach aus Kristall, gerade zurückhaltend genug!

1

Rudi | 07.05.2019 16:02 Uhr

traurig

Ich würde mich freuen, wenn die Architekten ihre egoistischen Wünsche nach Selbstdarstellung beiseite legen würden und diese lächerlichen Vorschläge für sich behalten würden.

Baut den Dachstuhl wieder so auf wie er war und gut ist.

 
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