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29.01.2018

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Dunkelheit statt freier Meinung

Zensierte Lichtinstallation von realities:united in Toronto


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Insgesamt zehn Jahre verstrichen für Planungszeit und Bau – kurz vor Weihnachten konnten sie endlich in Betrieb genommen werden: Sechs neue Haltestellen der U-Bahnlinie 1 in Toronto. Die Stationen der erweiterten Linie und ihre großformatigen Kunst-am-Bau-Werke wurden vom kanadischen Premierminister Justin Trudeau feierlich eingeweiht. Alle Kunstwerke? Nein. Die vom Berliner Architektur- und Künstlerkollektiv realities:united konzipierte Lichtinstallation des Bahnhofs Pioneer Village läuft bis heute nicht – und der Bahnhof liegt im Halbdunkel.

130 Meter überspannt die hybride Installation LightSpell, die die Gleisbeleuchtung des von Will Alsop entworfenen Bahnhofs in ein interaktives Display verwandeln soll: Von der Decke hängen 40 nebeneinander befestigte Leuchten, auf denen sich nach dem Prinzip der 16-Segment-Anzeige Buchstaben, Ziffern und Sonderzeichen darstellen lassen. Mithilfe von fünf Eingabestellen – Keyboards, die frei zugänglich auf dem Bahnsteig installiert wurden – können Wartende ihre Gedanken direkt und ohne Verzögerung über den Köpfen der Mitpassagiere aufleuchten lassen. Die Helligkeit der Plattform bleibt dabei beständig, egal wie viele der Segmente in Anspruch genommen werden. Für Jan und Tim Edler von realities:united der interessanteste Aspekt der Arbeit: Jede Äußerung, egal ob unterhaltsam, schlau, bedeutungsvoll, nichtssagend oder sogar verletzend, ob beachtet oder ungelesen, sorge für die konstante Beleuchtung der Bahnsteige – und stelle damit eine Grundvoraussetzung für den Betrieb des öffentlichen Nahverkehrs sicher.

Es ist ein Experiment in sozialer Kontrolle, das sich die Berliner für Toronto ausdachten. Jeder, der sich auf dem Bahnsteig aufhält, hat die Möglichkeit, auf das Geschriebene zu reagieren, es zu kommentieren, redigieren, es zu ignorieren oder ihm zu applaudieren. Manche Äußerungen wären schon nach wenigen Sekunden wieder überschrieben, andere blieben vielleicht tagelang lesbar.

Doch genau diese Unmittelbarkeit provozierte Bedenken bei der Toronto Transit Commission (TTC). Die Furcht vor Hatespeech im öffentlichen Raum – und dem drohenden Imageschaden, der daraus für die Transportgesellschaft folgen könnte – überwog in den vergangenen Wochen. Das Unternehmen hatte die überdimensionale LED-Laufschrift 2009 in Auftrag gegeben, dennoch weigert es sich nun, die Installation ohne Missbrauch einschränkende Filteralgorithmen einzuschalten. Eine ausführliche Stellungnahme hat die TTC bisher jedoch noch nicht gegeben.

Die Idee, mit einer Art eingebauten Zensur für Ruhe zu sorgen, ist eine absurde Forderung für eine Arbeit, die anstrebt, den öffentlichen Raum mit Mitteln der Digitalisierung zum Öffentlichmachen einer Haltung zu nutzen. Das, was leise im Kopf stattfindet und was bislang auf dem eigenen Handy vorwiegend mit Ähnlichdenkenden kommuniziert wird, soll durch LightSpell schließlich laut und für alle Umstehenden sichtbar und damit verhandelbar gemacht werden. (kms)

Fotos: realities:united 2017


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Kommentare

6

mehmet | 31.01.2018 17:09 Uhr

richtig...

...ich finde das gut so. Es kam noch nie was vernünftiges heraus, wenn jeder seinen Unsinn in die Welt twittert.

Ja, es hiess mal der Klügere gibt nach. Spätestens seit Twitter-Trump wissen wir, dass bei zu viel Nachgeben der Klügere irgendwann vom Dummen regiert wird.

Ich habe daher kein Problem damit, man könnte ja die Ideen sammeln, redaktionell auswerten, den Mist löschen und das Ergebnis dann senden. Wird keinem weh tun.

5

Mette | 30.01.2018 15:21 Uhr

Sag was

Es bringt nichts wirre Gedanken zu verbieten. Wenn man eine andere Meinung zu Hasskommentaren hat dann muss man das eben auch mal sagen und nicht nur meckern, dass das nicht geht. Wenn nur die was sagen die Mist reden dann bleibt auch nur Mist in den Köpfen hängen. Schade das die Installation dunkel bleibt. Also rausgehen und Liebe verbreiten, statt über Hass zu meckern!

4

Claus | 29.01.2018 18:46 Uhr

Es ist ok

Wird hier in Deutschland nicht gerade gefordert, dass Facebook mehr Personal einstellt um Hassbotschaften zu löschen?
Ich kann verstehen, dass ein Verkehrsunternehmen sich nicht dem Aufwand und der Angreifbarkeit, die eine solche Platttform bietet aussetzen möchte. Eine Falsche Nachricht für Sekunden an der Decke, ein Foto davon im Netz und ein Social-Media-Shitstorm geht durch ganz Nordamerika.
Die Gesellschaft ist noch nicht so weit damit verantwortungsvoll umzugehen.

3

RBuss | 29.01.2018 17:33 Uhr

Politikal Inkorrektheit

Vielleicht soll der Betreiber ein Foto von der Verfasser eines Nachrichts machen. So könnte den Betreiber die Verfassern von Hassbotschaften identifizieren. Das könnte genug Abschreckung sein um manche extreme Botschaften zu verhindern.

Als Kunstwerk sollte den Betreiber mehr Toleranz zeigen. Facebook, Google und viele Anderen stehen auch nicht hinter jeden Nachricht an deren Platform.

2

V Mueller | 29.01.2018 16:41 Uhr

Kunst

Glückwunsch an realities:united für ein wahres Kunststück, das den Zwiespalt zwischen Meinungsfreiheit, der Schere im Kopf, sozialem Druck, und Unternehmensinteressen kristallklar offenlegt. Interessant wird auch, was uns durch dieses Kunststück als Machtrealität offenbart werden wird. Wird das Kunstwerk am Ende nur mit sorgfältig redigierten "feel-good messages" oder "mind the gap" Warnungen bespielt werden?

1

auch ein | 29.01.2018 15:45 Uhr

architekt

@baunetz:
sind das rendering oder aus der testphase? läufts doch?

Anm. d. Red.:
Nach Rücksprache mit realities:united hierzu folgende Info:
„Die Fotos wurden von Jan Edler vor Ort während der Einrichtungsphase kurz vor der Eröffnung gemacht. Es sind also keine Renderings. Zur Eröffnung des U-Bahnhofs wurde die Installation dann ausgeschaltet.“

 
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