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01.11.2017

Glaskoloss hinterm Ostbahnhof

Wettbewerb Konzerthaus München – mit Kommentar


Von Gregor Harbusch


Der wichtigste deutsche Wettbewerb des Jahres ist entschieden. Das neue Konzerthaus München am Ostbahnhof sollen Cukrowicz Nachbaur aus Bregenz bauen. Vergangenen Freitag kürte das Preisgericht den Entwurf eines vergleichsweise kleinen und jungen Büros, das mit dem Vorarlberger Landesmuseum bekannt wurde. Zur Entscheidung kann man der bayerischen Landeshauptstadt, die nicht unbedingt für gewagte Architektur bekannt ist, aus mehreren Gründen gratulieren.
 
31 Büros hatten am Wettbewerb teilgenommen. Sechs internationale Schwergewichte – von denen keines einen Preis errang – waren gesetzt. Die anderen 25 Büros waren durch einen Teilnehmerwettbewerb gefunden worden, bei dem vier Plätze für „Berufsanfänger und kleinere Büros“ reserviert waren. Als Auslober fungiert das Staatliche Bauamt München 1. Die Jurysitzung war um fünf Monate verzögert worden, da StephanBraunfels nicht zugelassen worden war, wogegen dieser sich – letztlich erfolglos – vor Gericht wehrte. 

Aufgabe war der Entwurf eines Konzerthauses mit einer Nutzfläche von circa 9.500 Quadratmetern. Ein großer Saal mit 1.800 Sitzplätzen und ein kleiner mit 600 Plätzen bilden den Kern des Raumprogramms. Hinzu kommen Räume für die Hochschule für Musik und das Theater München, darunter ein Aufführungsort, die sogenannte Werkstatt, mit Platz für ungefähr 200 Zuschauer.

Das 25-köpfige Preisgericht unter Vorsitz von Arno Lederer (Stuttgart) war prominent besetzt. Fachpreisrichter waren unter anderem Markus Allmann (München), BIG-Partner Kai-Uwe Bergmann (New York/Kopenhagen), Finn Geipel (Paris), Harry Gugger (Basel) und Ulrike Lauber (München) sowie Stadtbaurätin Elisabeth Merk. Sie vergaben fünf Preise und vier Anerkennungen.

  • 1. Preis: Cukrowicz Nachbaur Architekten (Bregenz)

  • 2. Preis: PFP Planungs GmbH (Hamburg)

  • 3. Preis: David Chipperfield Architects (Berlin)

  • 4. Preis: 3XN AS (Kopenhagen)

  • 5. Preis: Staab Architekten (Berlin)

  • Anerkennung: Henning Larsen Architects (Kopenhagen)

  • Anerkennung: Zaha Hadid Architects (London)

  • Anerkennung: Mecanoo (Delft)

  • Anerkennung: Christ & Gantenbein (Basel)

Der siegreiche Entwurf stehe „in fast archaischer Gebäudeform kraftvoll und prägnant im heterogenen Umfeld“, urteilte die Jury. Das Haus habe „nur Vorderseiten“ und könne nachts zu einem „schimmernden Leuchtkörper“ werden, der weit in den Stadtraum hinausstrahlt. Dies liegt auch daran, dass Cukrowicz Nachbaur die Baumasse 45 Meter hoch auftürmten – 19 Meter mehr als der Bebauungsplan erlaubt. Durch das „Zurückweichen der Baumasse“ sei dies jedoch kein Problem, ist sich die Jury sicher. Die Fassade ist als „Ganzglas-Vorhangfassade als zweite Haut mit einer dahinterliegenden ganz einfachen, wärmegedämmten Stahlbetonkonstruktion“ konzipiert.

Auch die innere Organisation überzeugte die Jury. Die klare Zonierung, die „sehr einladenden und attraktiven“ Foyerbereiche auf allen Ebenen sowie die gleichwertige Behandlung von öffentlicher Zone und Backstagebereich wurden gelobt. Den Besuchern ist der nach Nordwesten orientierte Bereich vor den zentral angeordneten Sälen vorbehalten, Musiker und Verwaltung haben ihre Räume hinter den Sälen. Der kleine Saal im Erdgeschoss ist als Schuhschachtel konzipiert, der große Saal liegt darüber und erstreckt sich bis in das siebte Obergeschoss. Er ist als „weichgeformte Schachtel“ mit drei Rängen geplant und hat ein „sehr hohes akustisches Potential“.

Kuben, Zikkurat, Tuch, Plenarbereich

Am Projekt von PFP (2. Preis) gefiel der Jury die „skulpturale Expressivität“, die sich aus der Anordnung der Funktionen ergibt: „Gestaffelte Einzelkuben unterschiedlicher Größe und geschossübergreifende Lufträume verschmelzen Innen- und Außenräume und gewährleisten attraktive Blickverbindungen.“ Ein Clou des Projekts – an dem vor allem die „Dimensionierung und Funktionalität“ des großen Saals bemängelt wurde – ist die Anordnung von kleinem Saal und Werkstatt. Beide öffnen sich mit doppelt gedämmten Fenstern nach außen.

Einen architektonisch geradezu konträren Weg schlugen David Chipperfield Architects ein (3. Preis). Sie entwarfen eine langgestreckte Zikkurat mit langen Außenrampen, die ein Flanieren der Besucher vom Vorplatz bis zum obersten Geschoss ermöglicht hätten. Der kleine Saal ganz oben ist laut Jury ein „Schmankerl“ mit „Rundumblick“. Die Fassaden sind als eng stehende, hohe Stützenreihen in Beton konzipiert. Die Jury zeigte sich beeindruckt von dem „umgestülpten Ding“ und seiner „irgendwie doch einladenden“ Begehbarkeit und verstand den Entwurf als Versprechen zukünftiger Urbanität. Die Brauchbarkeit des großen Saals stellte sie aber „nachdrücklich in Frage“.

Eine Fassade, die wie ein „geworfenes Tuch“ wirkt, bescheinigte die Jury dem Entwurf von 3XN AS (4. Preis). Das „einzigartige Erlebnis“ der Fassade werde durch den interessanten Haupteingang verstärkt. Doch im Inneren begannen für die Preisrichter die Probleme. Durch die grundsätzlich sinnvolle Anordnung der drei Spielstätten auf einer Ebene würden „gravierende Schwierigkeiten“ im Foyerbereich entstehen, wo mit einer „extremen Ballung“ der Besucherströme zu rechnen sei. Als Manko wurde außerdem die Anordnung des Haupteingangs gesehen, der sich Wohnbauten und einer Schule zuwendet.

Das Projekt von Staab Architekten (5. Preis) orientiert sich in Form und Struktur an der industriellen Geschichte der Umgebung und verarbeitet diese ästhetisch. Die Jury konstatierte dem Projekt „Zurückhaltung“ und einen „aus den konstruktiven Absichten resultierenden Ausdruck“. Von der städtebaulichen Setzung des vergleichsweise schmalen Baukörpers waren die Preisrichter überzeugt, doch die Schlankheit hat ihren Preis im Inneren, wo die Jury in funktionaler Hinsicht „erhebliche Einschränkungen“ ausmachte. Die Idee der Architekten, den großen Saal auf der Erdgeschossebene durch Glasflächen mit dem Foyer zu verbinden, wurde kontrovers diskutiert, die „rationale  Anmutung“ des Saals erinnerte die Preisrichter an einen „Plenarbereich“.

Wo bauen?

15 Jahre lang war darüber gestritten worden, ob München ein neues Konzerthaus benötigt, das in erster Linie als Sitz des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks fungieren wird – und wo dieses neue Haus stehen soll, ob in repräsentativer Innenstadtlage oder als städtebaulicher Impulsgeber. Das BR-Symphonieorchester zählt zu den 20 besten Orchestern der Welt, besitzt aber bis heute kein eigenes Haus, das seinem künstlerischen Rang entspricht. Bisherige Spielstätten sind der Herkulessaal in der Residenz und der Gasteig, ein wuchtiger Klotz aus den Achtzigerjahren, der es trotz seiner architektonischen Originalität momentan sehr schwer hat in der Münchner Stadtöffentlichkeit. Sogar über einen Abriss des multifunktionalen Kulturzentrums wurde eine Zeit lang fabuliert, nun wird es aber doch saniert.
 
Gegen Ende drehte sich der Streit vor allem um den künftigen Standort im sogenannten Werksviertel hinter dem Ostbahnhof. Das Wörtchen „hinter“ deutet einen der Kritikpunkte an, denn jenseits des Ostbahnhofes fängt selbst für alteingesessene Münchner ein gesichtsloses Niemandsland an. Mit der Einrichtung des Kunstparks Ost in den Neunzigerjahren rückten die ehemaligen Produktionsanlagen erstmals in den Fokus der Öffentlichkeit. Clubs, Bars, Ateliers und Flohmärkte lockten auf das Gelände. In der Wahrnehmung blieb das Areal ein Ort der Alternativkultur: nett, interessant, doch durch die Gleisanlagen des Ostbahnhofs sauber abgerückt von der gründerzeitlichen Stadtstruktur.
 
Gottfried Knapp bringt es in der Süddeutschen Zeitung polemisch auf den Punkt, wenn er schreibt, dass das neue Haus nur „über enge Tunnel erreichbar, also psychologisch weiterhin brutal von der Stadt abgehängt“ ist. Dieser Ist-Zustand ist richtig, aber mit dem Neubau verbindet sich eben die große Hoffnung, dass sich dies ändern wird. Er soll ein echter Leuchtturm werden und dem umliegenden Areal – das momentan mit dem üblichen Nutzungsmix aus Wohnen und Arbeiten entwickelt wird – großstädtischen Glanz verleihen.

Keine Frage: Mit ihrem gläsernen Koloss haben Cukrowicz Nachbaur einen echten Coup gelandet. Mit 45 Metern ist das Haus 19 Meter höher als es der Bebauungsplan erlaubt. Doch der Entwurf reckt sich nicht nur in die Höhe, er bietet auch fast 50 Prozent mehr Bruttogeschossfläche als vorgesehen. Für die Jury war beides kein Problem, denn ein städtebaulicher Akzent war mehr als gewünscht und die zusätzlich angebotenen Flächen überzeugten die Preisrichter in jeder Hinsicht.
 
In planungsrechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht ist die Sache kniffliger, wie Christian Krügel in der Süddeutschen Zeitung detailliert darlegt. Die verantwortlichen Lokalpolitiker hatten bereits in der Jury klargemacht, dass eine Ausnahmegenehmigung wegen der Höhe machbar sein sollte. Schwieriger wurde es bei der BGF, denn dieser Aspekt verweist direkt auf eine finanzpolitische Crux. Das Konzerthaus entsteht auf privatem Grund. Der Erbpachtvertrag sieht eine jährliche Pacht von happigen 600.000 Euro pro Jahr vor, die durch die zusätzlichen Flächen noch weiter gestiegen wäre. Grundbesitzer Werner Eckart erklärte sich allerdings noch während der Jurysitzung dazu bereit, die Pachtkosten zu deckeln.

Kommentar

Indem sie die Planungsparameter radikal überschritten, zeigt sich das richtige Gespür der Vorarlberger für den gewünschten Leuchtturmcharakter des Neubaus. Und die Politker in der Jury haben sich mit ihrer Entscheidung ganz offensichtlich bereit erklärt, planungspolitisch den Weg zu ebnen. Fast lehrbuchartig kommen politischer und architektonischer Gestaltungswille in der ungewöhnlichen Form des Hauses auf sinnfällige Weise zur Deckung.

Der Entwurf ist einerseits eine prägnante Großform, andererseits frei von spektakulären Gesten. Eine originelle Grundform, voll verglast, auf einen dunklen Sockel gesetzt – mehr braucht es nicht. Gerade deshalb wird der Entwurf nicht nur für Laien zur Projektionsfläche. Die Form changiert zwischen Vertrautem und Fremdem, zwischen Abstraktion und Bildhaftigkeit. Ist es ein Schiff, eine Kathedrale, ein Gewächshaus oder eine Scheune, wie Gottfried Knapp in der Süddeutschen mit Blick auf Herzog & de Meurons Entwurf für das Museum des 20. Jahrhunderts am Berliner Kulturforum assoziiert? Auf jeden Fall ist es, wie auch beim Berliner Wettbewerb, eine einfach lesbare architektonische Primärform, die städtischen Raum neu deuten beziehungsweise erschließen soll.

Neben der Akustik der Säle – für die ein eigener Wettbewerb ausgeschrieben werden soll – wird die Transparenz der Glasfassade den weiteren Planungsverlauf herausfordern. Das ist auch der Jury bewusst, die von einem „Versprechen auf Offenheit, Leichtigkeit und Transparenz“ spricht und explizit die Frage in den Raum stellt, ob dieses „so eingelöst werden kann“. Unklar sei erstens, ob die doppelte Fassade wirklich als offen wahrgenommen werde und zweitens, inwiefern die Nachtwirkung tatsächlich zu überzeugen weiß. Hier sei noch viel zu tun, denn die „viel zu reduzierte Darstellung ohne jede Andeutung von Haptik und Anmutung“ sei bisher nicht ausreichend. Es wäre mehr als bedauerlich, wenn sich in einigen Jahren bei der Eröffnung des vielversprechenden Hauses zeigen würde, dass es doch nur ein Image war, das die Jury verführt hat.


Zum Thema:

Alle Wettbewerbsarbeiten werden bis Sonntag, 26. November 2017 in der White Box in der Atelierstraße 18 gezeigt Die Ausstellung ist täglich 10–18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.

Informationen zu allen Arbeiten finden sich auf der Webseite zum Bauprojekt Konzerthaus München.


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Zu den Baunetz Architekt*innen:

Cukrowicz Nachbaur Architekten


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1. Preis: Cukrowicz Nachbaur Architekten (Bregenz)

1. Preis: Cukrowicz Nachbaur Architekten (Bregenz)

2. Preis: PFP Planungs GmbH (Hamburg)

2. Preis: PFP Planungs GmbH (Hamburg)

3. Preis: David Chipperfield Architects (Berlin)

3. Preis: David Chipperfield Architects (Berlin)

4. Preis: 3XN AS (Kopenhagen)

4. Preis: 3XN AS (Kopenhagen)

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