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24.01.2025

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Wenn die Architektur zum Ökolabor wird

Umbau in Arles von Assemble und BC


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Manchmal braucht es einfach die richtige Bauherrin. So zum Beispiel bei diesem Projekt im südfranzösischen Arles, wo die private Stiftung Luma seit 2010 ein ehemaliges Werk der französischen Eisenbahngesellschaft SNCF in ein kreatives Zentrum umwandelt. Auf 27 Hektar Fläche und in mindestens 11 ehemaligen Eisenbahndepots und Lagern ziehen Studios, Werkstätten, Forschungslabors und Ausstellungsräume ein. Das letzte Bestandsgebäude haben nun Assemble (London) und BC architects&studies&materials (Brüssel) umgebaut – und damit den wohl radikalsten Bau dieses Architekturensembles der Stiftung geliefert.

Zuvor haben hier beispielsweise Selldorf Architects einige Hallen umgebaut, und Bureau Bas Smets das öde Gelände in die begrünte Oase des heutigen Parc des Ateliers verwandelt. Über allem thront ein zerknitterter Edelstahlturm von Frank O. Gehry, über den die Stiftung sagt, man habe einen Aufmerksamkeitsleuchtturm für die Transformation des Geländes bestellt und bekommen.

Und dennoch ist der jüngste Umbau von Lot 8 wohl radikaler. Denn das ehemalige Waggondepot soll der Stiftung nicht nur als Labor und Werkstatt dienen, um nachhaltige Materialien zu erforschen oder gar zu erfinden. Dieser Ansatz sollte sich auch im Umbau selbst wiederfinden. Also fragte die Stiftung bei Assemble und BC nach konkurrierenden Entwürfen. Beide Büros hatten sich bereits ein stolzes Portfolio für teils experimentelle Wiederverwendung von Materialien und Bauteilen erarbeitet, auch aus Schrott oder Abfall. Assemble war etwa in der BauNetz WOCHE #489 „Recycling im Kollektiv“ vertreten. Statt nun in Konkurrenz zu treten, schlugen die Büros vor, das Projekt gemeinsam zu begleiten. Die Stiftung nahm das Angebot gerne an.

Noch vor dem Entwurf schwärmten 30 Forscher*innen aus, um die Region nach Baumaterialien abzusuchen. Sie stießen auf orangen Tonschlamm in einem Steinbruch bei Vallabrix und weiße Schuttkiesel bei Sarragan. Auch fanden sie groben Kies aus einem Recyclingzentrum sowie Ernte-Abfälle der regionalen Sonnenblumen-Industrie, aus denen sich kräftige Pflanzenfasern und Kerne anboten. Dazu Erde und Lehm, sowie Salz aus den Sümpfen der Camargue.

In einer Serie von Tests entstanden Prototypen: Lehmbauziegel, Lehmputz und Wandelemente aus gestampfter Erde, Türgriffe aus Salz, Akustikpaneele aus Holz und Dämmplatten aus gepressten Sonnenblumenkernen. Auch im Bestandsgebäude fanden sich Materialien wie etwa die beschädigten Tonziegel auf dem Dach, die zerkleinert ihr zweites Leben im Terrazzoboden der Werkstätten finden. Die Einbauten erhielten kräftige Farben, die man im neuen Färbergarten vor der Tür herstellte. Dort werden Indigopflanzen gezüchtet, genauso wie Cochenillen-Schildläuse, aus denen Karminsäure und somit roter Farbstoff gewonnen wird. Für gelbe Farbe wiederum wird aus den Toiletten umgeleitetes Urin verwendet, nachdem es in Algenbecken gereinigt wurde.

Zur Eröffnung des Umbaus wurde eine Ausstellung mit weiteren Materialexperimenten der Luma Stiftung präsentiert: Seile aus Reisfasern, die helfen könnten, die Küstenerosion einzudämmen. Möbel aus Holz und japanischem Staudenknöterich, einer invasiven Art in Europa. Lampenschirme, Türgriffe und Beschläge aus Salzen, die man an Drahtgebilden entlang wachsen ließ. Keramiken aus Lehm, der als Abfallprodukt aus den nahen Steinbrüchen sonst einfach entsorgt wird. Dämmplatten aus Reisstroh. Und natürlich war die umgebaute Halle selbst auch Ausstellungsstück.

Architekturkritiker Oliver Wainwright schrieb für The Guardian einen enthusiastischen Artikel. Für ihn ist das Projekt gleichzeitig „the future of architecture“ und „the ultimate eco building“ – insbesondere im Zusammenspiel mit dem protzigen Turmbau von Gehry. Denn: „Es gibt nur wenige Orte auf der Welt, an denen so deutlich das Ende einer überkommenen architektonischen Ära auf den optimistischen Beginn einer neuen trifft.“ 

Wobei der Direktor von Luma Arles, Jan Boelen, bereits zugab, dass der Umbau von Lot 8 wohl nie ganz abgeschlossen sein werde. Schließlich wolle man das Labor auch in Zukunft als Testgelände für eigene Versuche verwenden. Insofern werde das Bauprojekt, auch wenn bereits „eröffnet“, wohl niemals „fertig“ sein. (fh)

Fotos: Morgane Renou, Adrian Deweerdt, Joana Luz, Joseph Halligan/Assemble, Laurens Bekemans und Baptiste Chatenet/BC architects&studies&materials


Zum Thema:

Der Campus und das Atelier sind ganzjährig öffentlich zugänglich, die aktuellsten Ergebnisse der Forschung werden kontinuierlich im Atelier Luma ausgestellt. Informationen dazu auf der Website der Stiftung


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Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

2

auch ein | 27.01.2025 09:34 Uhr

architekt

das Gelände ist einen Besuch wert. Der Turm von Gehry ist allerdings eine herbe Enttäuschung!
Zu kurz geraten, nur ein bisschen verknittert, steht er dort so rum. der inhalt? Nicht vorhanden...schade um das viele Geld.
Statt eine "Marke" einzukaufen hätte man dies besser in frische Architekten investiert

1

maestrow | 24.01.2025 17:24 Uhr

Sonnenblümchenrecycling

der Artikel von Wainwright erschien schon Anfang Juni 2023. Erstaunlich, dass die Nachricht erst 18 Monate später im Baunetz auftaucht. Und es tönt wie immer höchst idyllisch nach do-it-yourselfism und Öko-Recyling aus der Nachbarschaft. Ein wunderbarer Anfang, wenn dieser allerdings nicht von der Mäzenin subventioniert würde, sähe das Ergebnis dann vielleicht doch so aus, wie das öde Münchener Rautenlabor der Meldungen vom gleichen Tage? Fragen über Fragen...

 
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