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14.12.2020

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Weiterbauen statt Tabula rasa

Streit über die Zukunft des Roche-Areals in Basel


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Der Basler Pharmakonzern Hoffmann-La Roche arbeitet auf seinem Firmengelände in Kleinbasel seit Jahren an einem radikalen Maßstabssprung. Nach Entwürfen von Herzog & de Meuron entstand dort schon 2015 ein abgetrepptes Hochhaus, ein weiterer Turm folgt derzeit. Vor einiger Zeit wurden weitere Pläne bekannt: Teile der klassisch-modernen Roche-Architektur von Otto Rudolf Salvisberg und Roland Rohn sollen durch ein weiteres Hochhaus ersetzt werden. Dagegen wehrt sich Widerstand, unter anderem läuft mit breiter internationaler Unterstützung eine Petition gegen den Abriss.

Von Hubertus Adam

1930 betraute Generaldirektor Emil Barell den gerade von Berlin aus in die Schweiz zurückgekehrten Architekten Otto Rudolf Salvisberg mit dem Bau eines Betriebsgebäudes für den am rechten Rheinufer ansässigen Basler Pharmakonzern Hoffmann-La Roche. Der Weltwirtschaftskrise wegen konnte der aus Pilzstützen und Platten aufgebaute und mit umlaufenden Fensterbändern versehene Betonbau (nach Roche-eigener Nummerierung Bau 27), bei dem sich Salvisberg an der Van-Nelle-Fabrik von Brinkman/van der Vlugt und der Boots Factory von Owen Williams orientiert hatte, erst 1937 fertiggestellt werden.

Inzwischen hatte Salvisberg die Privatvilla von Barell fertiggestellt und auch das natursteinverkleidete Verwaltungs- und Direktionsgebäude (Bau 21, 1935/36) realisiert, war zum Chefplaner des Unternehmens berufen worden und hatte einen Masterplan für das nördlich der parallel zum Rhein verlaufenden Grenzacherstraße gelegene Erweiterungsareal vorgelegt. Bei Salvisbergs Tod 1940 stand erst ein dreigeschossiges Produktionsgebäude (Bau 29), doch Roland Rohn, einstiger Mitarbeiter Salvisbergs und nun Nachfolger als Chefarchitekt bei Roche, repetierte den Bau vier Mal und setzte die Idee des Masterplans aus parallelen, streng nordsüdlich ausgerichteten Bauten mit weißen Fassaden und Fensterbändern konsequent fort.

Sukzessive löste sich Rohn von der Ästhetik der klassischen Moderne: Mit einer 63 Meter hohen Vorhangfassade knüpft der Bau 52 (1957-60) an die Gestaltungsprinzipen der Hochhäuser des Mid-Century-Modernism an. Die Rheinfront zwischen Bau 21 und 27 komplettierte Rohn mit einer städtebaulich wirksamen kammartigen Gebäudestruktur, der sogenannten „Weissen Fabrik“; als sein letztes Projekt entstand am Ostrand des Nordgeländes das Personalrestaurant (Bau 67, 1967-71).

Salvisbergs weitsichtiges Masterplan-Layout konnte weiterhin als Grundlage genutzt werden, als Herzog & de Meuron in den Neunzigerjahren zu den neuen Chefarchitekten des inzwischen weltgrößten Biotech-Konzerns avancierten. Beginnend mit dem Forschungsgebäude Bau 92 (2000) fügten sie Neubauten in die bestehende Struktur ein, bis sich mit dem Vorschlag eines gläsernen Hochhauses in Form einer Doppelhelix 2006 der radikale Maßstabssprung anzudeuten begann. Das Projekt fiel letztlich bei der Firmenleitung durch; zur Ausführung kam schließlich der nördlich der „Weissen Fabrik“ parallel zur Grenzacherstraße sich 178 Meter emporstaffelnde und im Stadtbild Basels unübersehbare und damit auch die Öffentlichkeit polarisierende Bau 1. Mit Fensterbändern und weißen Brüstungen behaupten die Architekten, die Gestaltungsideen von Salvisberg und Rohn gewissermaßen in die dritte Dimension gebracht zu haben. Inzwischen haben sich die Bauaktivitäten wieder auf das Nordareal konzentriert, wo das 205 Meter messende Hochhaus Bau 2 in den Himmel wächst (Fertigstellung geplant 2020) und westlich davon ein Forschungszentrum aus mehreren Bauten moderaterer Höhe.

Der Umgang mit der bestehenden Bausubstanz des Roche-Areals war in der (Fach-) Öffentlichkeit kein besonderes Thema, bis der Konzern Ende Oktober 2019 Pläne vorstellte, das Südareal neu zu bebauen. Den geplanten drei Hochhäusern mit ca. 100 Metern Höhe sollten die „Weisse Fabrik“ sowie Salvisbergs ikonischer Bau 27 und Rohns Hochhaus Bau 52 weichen. Erhalten will die Firma aus der Zeit bis 1970 lediglich das Verwaltungsgebäude Bau 21, der Produktionsgebäude-Prototyp Bau 29 und das Personalrestaurant Bau 67.

Bernd Nicolai, Architekturhistoriker an der Universität Bern und Leiter eines Nationalfonds-Forschungsprojekts zu Otto Rudolf Salvisberg, sowie seinen Mitarbeitenden ist es zu verdanken, dass sie diese weitgehende Zerstörung des bauhistorischen Erbes auf dem Areal des Pharmakonzerns auch medial thematisierten. Bei den Verantwortlichen indes stieß die zunehmende Kritik auf keinerlei Gehör:  Roche veröffentlichte im Oktober 2020 eine revidierte Planung, der zufolge die drei geplanten Bauten auf dem Südareal nun durch ein Bau 3 genanntes Hochhaus mit 221 Metern Höhe ersetzt werden. Auch wenn der Footprint des komprimierten Neubaus nun kleiner ist – die Bestandsbauten werden eliminiert, da Roche die Relation von Verkehrs- zu Nutzfläche für unattraktiv hält (Bau 52), eine Sanierung des Baus 27 aufgrund späterer Umbauten ablehnt und die „Weisse Stadt“ als räumlich beengt und wenig zukunftsfähig interpretiert. Das dritte Mega-Hochhaus auf dem Areal schafft nicht mehr, aber im Sinne der Auftraggeberschaft besser nutzbare Fläche: Die bislang über die Fläche verteilten Kubikmeter werden sozusagen in die Höhe gestapelt.

Das Greenwashing des von Roche vorgelegten Konzepts ist allerdings fragwürdig: Einerseits wird der neu geplante Uferpark der Öffentlichkeit aus Sicherheitsgründen kaum zugänglich sein, wie Jürg Erismann, Standortleiter von Roche, anlässlich einer Online-Podiumsdiskussion (weiterhin über YouTube abrufbar) am 4. November 2020 etwas kleinlaut zugeben musste. Und andererseits stellt sich die Frage, warum soviel an architekturhistorisch bedeutsamer Substanz und grauer Energie zerstört werden muss, ohne dass ein wirklicher räumlicher Gewinn erzielt wird – es handelt sich eben nicht um Verdichtung, sondern um Umschichtung. Niemand stellt Roches berechtigte Expansionspläne grundsätzlich in Frage: Aber es gibt deutlich intelligentere Strategien, mit einem derart exzeptionellen Erbe umzugehen. Auch Herzog & de Meuron haben verschiedentlich bewiesen, dass ihr Potenzial durch die Herausforderung des Bestands nicht geschwächt, sondern gestärkt wird.

Inzwischen hat der Basler Denkmalrat gefordert, neben dem unstrittigen Bau 21 auch die Bauten 27 und 52 unter Schutz zu stellen. Ob dem die Regierung folgt, ist alles andere als sicher – Roche ist in Basel, um es neudeutsch auszudrücken, „too big to fail“. Auch die Gruppe um Bernd Nicolai ist aber nicht untätig geblieben und hat nach der Veröffentlichung der jüngsten Roche-Pläne eine Online-Petition lanciert: „Refit-Reuse-Recycle: Rettet die Roche-Bauten in Basel“. Kernforderungen: Respekt vor den historischen Bauten, Prüfung von Alternativkonzepten, ergebnisoffener internationaler Architekturwettbewerb. Und insgesamt der Appell an Roche zu einer nachhaltigen und verantwortungsvollen Baukultur.

Link zur Online-Petition:

www.change.org/p/refit-reuse-recycle-rettet-die-basler-roche-bauten


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Kommentare

1

auch ein | 15.12.2020 13:37 Uhr

architekt

wenn man sich entschieden hat mitten in der stadt so eine gigantische verdichtung zu erlauben ist es nur konsequent nicht "zwischen den denkmälern" zu bauen sondern tabula rasa zu machen.

beides gleichzeitig geht leider nicht

 
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Betriebsgebäude (Bau 27) von Otto Rudolf Salvisberg, 1938. Foto: Robert Spreng, gta-Archiv (24-FX-3-39).

Betriebsgebäude (Bau 27) von Otto Rudolf Salvisberg, 1938. Foto: Robert Spreng, gta-Archiv (24-FX-3-39).

Bau 52: Roland Rohns elegantes, nahezu unverändert erhaltenes Bürohochhaus um 2015. Foto: Wladyslaw Sojka, Wikimedia Commons, Copyleft

Bau 52: Roland Rohns elegantes, nahezu unverändert erhaltenes Bürohochhaus um 2015. Foto: Wladyslaw Sojka, Wikimedia Commons, Copyleft

Luftaufnahme des Roche-Areals, 1971. Im Zentrum die „Weisse Fabrik“ von Rohn, links das Verwaltungsgebäude (Bau 21) von Salvisberg und rechts als Abschluss der Bau 27 von Salvisberg und Rohn. Auf Grundlage von Salvisbergs „Typenfabrik“ und Arealplanung errichtete Rohn bis 1956 vier weitere Fabrikgebäude. Das geschickt platzierte Hochhaus von Rohn (Bau 52) wirkt als „primus inter pares“. Bild: ETH Bildarchiv (LBS_IN-051218-13), Beschriftung ergänzt.

Luftaufnahme des Roche-Areals, 1971. Im Zentrum die „Weisse Fabrik“ von Rohn, links das Verwaltungsgebäude (Bau 21) von Salvisberg und rechts als Abschluss der Bau 27 von Salvisberg und Rohn. Auf Grundlage von Salvisbergs „Typenfabrik“ und Arealplanung errichtete Rohn bis 1956 vier weitere Fabrikgebäude. Das geschickt platzierte Hochhaus von Rohn (Bau 52) wirkt als „primus inter pares“. Bild: ETH Bildarchiv (LBS_IN-051218-13), Beschriftung ergänzt.

Aktueller Planungsstand für das Roche-Areal von Herzog & de Meuron. Visualisierung: Hoffmann-La Roche

Aktueller Planungsstand für das Roche-Areal von Herzog & de Meuron. Visualisierung: Hoffmann-La Roche

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