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12.10.2018

Standardschule schlägt Wohnexperiment

Steht das Berliner Projekt ps wedding vor dem Aus?


Von Katrin Groth

Sechs Jahre lang wurde über ein Konzept verhandelt, dann endlich stand ein Plan, mit dem alle Beteiligten einverstanden schienen: Per Erbbaurechtsvertrag sollte die markante Schule an die Anwohnerinitiative ps wedding gehen, die in dem leerstehenden Gebäude ein soziokulturelles Zentrum und Wohnungen realisieren wollte. Gemeinsam mit der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Degewo sollen rund 350 Wohnungen gebaut werden, circa 150 davon plant ps wedding selbst zu realisieren, davon 70 Prozent zu kleinen Quadratmeterpreisen von 6,50 Euro. Sogar Stadtentwicklungs- und Finanzsenatorin unterstützten das Vorhaben. Und nun? Nun scheint alles anders. Weil der Bezirk das ehemalige Diesterweg-Gymnasium abreißen und lieber eine neue Schule bauen will.

Es ist ein Dilemma, das viele wachsende Großstädte kennen: bezahlbarer Wohnungsbau versus Schulbau. Beides wird dringend benötigt, auch im Berliner Stadtteil Wedding. Die Mieten steigen, innerstädtischer Wohnraum ist knapp und preisgünstiger Neubau nötig. Doch wachsende Stadt bedeutet eben auch: mehr Kinder, die irgendwo in die Schule gehen müssen.

Eigentlich ulkig, wurde das ehemalige Oberstufenzentrum Wedding, später Diesterweg-Gymnasium, doch aus dem gegenteiligen Grund im Sommer 2011 geschlossen: wegen Schülermangels. Der schlechte energetische Zustand tat sein Übriges. Inzwischen baumelt der alte Schriftzug über der Tür, Graffiti schmücken die Fassade, die Bullaugentüren sind verrammelt. Der Leerstand kostet den Bezirk jedes Jahr rund 600.000 Euro.

Prädikat: architektonisch wertvoll

Mit einem Raumschiff wird das Gebäude zwischen Mauerpark und Nachkriegsbauten im Brunnenviertel gern verglichen. Es gilt als gelungenes Beispiel der Nachkriegsmoderne. Der Entwurf des Büros Pysall-Jensen-Stahrenberg war 1971 Sieger im Wettbewerb. Die bildungsreformerischen Ziele von damals – demokratische Schulen für eine demokratische Gesellschaft. Pysall-Jensen-Stahrenberg hat diese in ein offenes Schulkonzept übersetzt: flexible Klassenräume mit verschiebbaren Wänden, großzügige Gemeinschaftsflächen und öffentliche Nutzungen wie Stadtteilbibliothek und Volkshochschule entlang der Schulstraße, die mittig durch das Gebäude verläuft. Es war eine bewusste Verflechtung von Schule und Quartier – ein echtes Versuchsobjekt.

Der dreigeschossige, modular aufgebaute Stahlskelettbau mit abgerundeten Kanten und orangen Fassadenpaneelen entwickelte sich über die Jahre zum identitätsstiftenden Gebäude im Kiez. Rahmen und Rohre in Grün, freistehende Treppenhäuser und geriffelte Betonwände zeugen auch im Detail von den gestalterischen Ambitionen der Architekten.

Mit der Idee eines soziokulturellen Zentrums will die gemeinwohlorientierte Initiative ps wedding der Berliner Architekten Oliver Clemens, Sabine Horlitz und Bernhard Hummel an die Ziele der 1970er anknüpfen. Sie plant auf einem Teil des 18.200 Quadratmeter großen Geländes einen Kindergarten, eine Bibliothek, ein Theater und einen Gemeinschaftsgarten auf dem alten Sportplatz. Im alten Schulgebäude und in einem Neubau sollen neben 3.000 Quadratmetern Fläche für soziale und kulturelle Nutzungen circa 150 Wohnungen entstehen. Bezirksverordnetenversammlung, Stadtentwicklungsausschuss und Bezirksamt haben sich mehrfach für das ambitionierte Modellprojekt ausgesprochen.

Zeiten ändern sich

Fragt man das Bezirksamt, warum nach Jahren der Verhandlung alles über den Haufen geworfen werden soll, wird als erstes ein Wasserschaden genannt, der die Sanierung verteuern würde. Ein Rohrbruch hatte Anfang September die Turnhalle, die wegen Schimmel ohnehin abgerissen werden soll, geflutet. Zu spät sei bemerkt worden, dass auch die beiden Untergeschosse der Schule unter Wasser stehen, in denen Heizung, Gas und Haustechnik liegen. Ursache unklar. Ein Abpumpen sei wegen der Kontamination des Wassers nicht so einfach möglich, so der Bezirk. Laut Schulstadtrat Carsten Spallek (CDU) ist das Gebäude ein wirtschaftlicher Totalschaden. Die Folge: Abriss. Aufgrund der Altlasten im Gebäude muss, wie im Konzept von ps wedding vorgesehen, das Gebäude allerdings sowieso vollständig entkernt werden, bevor es umgebaut und saniert oder abgerissen werden kann.

Einen „politischen Totalschaden“ nennt ps wedding diese Entscheidung. Vor gut einem Jahr galt das Vorhaben im Bezirk noch als Zukunftsmodell, für Herbst 2018 war die Anhandgabe des Grundstücks geplant. „Alle Absprachen und Beschlüsse der letzten sechs Jahre werden in undemokratischer Weise über den Haufen geworfen“, kritisiert Sabine Horlitz. Wenn nachbarschaftliche Akteure sich nicht auf Absprachen mit der Politik verlassen könnten, sei das ein fatales Signal – auch für vergleichbare Initiativen woanders in der Stadt. Für Sonntag, 14. Oktober 2018, ruft ps wedding deshalb um 14 Uhr zur Kundgebung vor dem Diesterweg-Gymnasium (Swinemünder Straße 80) auf.

In sechs Jahren Leerstand haben sich auch die Rahmenbedingungen geändert, Boden wurde teurer und die Schülerzahlen sind in die Höhe geschnellt. Aber dank der Berliner Schulbauoffensive steht plötzlich frisches Geld zur Verfügung. Ob der Wasserschaden also zur rechten Zeit kam? Das können wohl nur die Beteiligten beurteilen. Das jahrelange Hin und Her zwischen der Initiative und der Verwaltung hat das Projekt extrem verzögert – und könnte es jetzt zum Scheitern bringen, denn der Bezirk favorisiert nun den Neubau einer vierzügigen Sekundarschule.

Fotos: ps wedding, Rochus Wiedemer


Zum Thema:

www.pswedding.de


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