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25.10.2006

Mächtiger Mann

Senatsbaudirektor Stimmann in Berlin verabschiedet - mit Kommentar


Am 25. Oktober 2006 wurde der langjährige Senatsbaudirektor von Berlin, Hans Stimmann, offiziell verabschiedet. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit sagte anlässlich der Verabschiedung, Berlin werde sich auch in Zukunft einen Senatsbaudirektor leisten. Wowereit ließ allerdings offen, wer Stimmann nachfolgen könnte.

Hans Stimmann, 1941 in Lübeck geboren, war von 1991 bis 2006, mit einer Unterbrechung von 1996 bis 1999, Senatsbaudirektor in Berlin. Mit seiner Amtszeit ist – neben dem unbestreibaren persönlichen Engagement und robusten Ton, mit dem er das Amt ausübte – vor allen Dingen das „Planwerk Innenstadt“ verbunden, das als Grundlage für die städtebauliche Enwicklung Berlin den Vorkriegsgrundriss der Stadt postuliert. Unter den den von Stimmann geschickt vereinahmten Schlagworten „kritische Rekonstruktion” und „Europäische Stadt” wurde zu seiner Amtszeit eine Architektursprache gepflegt, die straßenbegleitende Blockrandschließung, steinerne Lochfassade und stehende Fensterformate zum Maß der Stadtverträglichkeit erhob.
Zu dieser Haltung gesellte sich eine oft erbitterte Ablehung der Städtebau- und der Architekturvorstellungen der Nachkriegsmoderne – sei es der sozialistische Städtebau im Osten der Stadt oder das von Stimmann geschmähte Kulturforum im Westen. In manchem Fall führte die von Stimmann geprägte Doktrin auch zum unwiderbringlichgen Verlust schützenswerter Baudenkmale – das Ahornblatt lässt grüßen.

Henning Sigge

Kommentar der Redaktion

Hans Stimmann war sicher der einflussreichste Baupolitiker Deutschlands, in der überregionalen Wirksamkeit noch vor Christiane Thalgott (München) und Jörn Walter (Hamburg) zu nennen. Und Stimmann war unter ihnen ganz gewiss der am meisten Angefeindete. Gerade die jüngere Generation von Architekten sieht sich in der deutschen Hauptstadt durch ihn systematisch um ihre Entfaltungsmöglichkeiten gebracht. Eine Ablehnung der Stimmannschen Politik gehört in diesen Kreisen zum Common Sense. Vor Jahren schon ging die Klage, Stimmann bevorzuge ein „Kartell“ ganz bestimmter, im Zweifel konservativer Architekten, er befördere Langeweile und Gleichmaß, er sperre sich gegen neue Tendenzen im Entwurf oder der Verwendung innovativer Materialien.

Zudem brachte ihm seine polterige, rechthaberische Art und seine endlosen Monologe auf den Podien nicht unbedingt Sympathiepunkte ein. Aber es wird gern vergessen, dass der lange Arm des „mächtigen Mannes" (Stimmann über Stimmann) bei weitem nicht so weit reichte, wie viele glaubten: Seine unmittelbare Einflussnahme beschränkte sich zumeist auf das Gebiet der engeren Innenstadt, soweit man im polyzentrischen Berlin überhaupt von Innenstadt reden kann. Hier hat er sich für ein Anliegen eingesetzt, das man im Kern schlechterdings nicht ablehnen kann: Er wollte durch Kriegszerstörung und Nachkriegsstädtebau entstandene unwirtiche Brachen, überbreite Verkehrsschneisen und bezugslose Hochhausbauten auf Abstandswiesen rückbauen oder ergänzen, um die als harmonisch angesehene Körnigkeit und Räumlichkeit der historischen Stadt in Grund- und Aufriss wieder herzustellen. Historisch, das bedeutet in Berlin ja in der Regel den Rückgriff auf die planmäßig entstandene (und nicht gewachsene) Systematik des Hobrecht-Plans von 1861 mit seiner Abfolge von Straßen und Plätzen und mit seiner notorischen Traufhöhe von 22 Metern. In den 22 Metern hat die Gründerzeit fünf Vollgeschosse untergebracht; die Jetztzeit kommt mit Staffel- und Dachgeschossen auf mindestens acht.

Innerhalb dieser Vorgaben wären durchaus auch zeitgemäße Architekturexperimente möglich gewesen. Die junge Szene in Wien, einer Stadt, die einen ähnlich dominanten historischen Bestand aufweist, macht es seit Jahren vor. Und auch in Berlin gibt es Architektur, die aus den Vorgaben Funken schlägt. Man kann hier Grüntuch Ernst erwähnen, Deadline, Wolfram Popp oder Mark Braun. Es war jedenfalls nicht immer Hans Stimmanns „Schuld“, wenn avantgardistische Konzepte nicht zum Zuge kamen; auch anderenorts müssen junge Architekten darum kämpfen, wenn sie ihre ungewöhnliche Architektur realisiert sehen wollen. In Berlin haben dagegen viele Büros, vor allem der mittleren Generation, in einer Art vorauseilendem Gehorsam ihren Architekturstil „freiwillig“ auf Stimmann-Linie gebracht. Das ist ihnen nicht anzulasten, nur nimmt es ihrer Kritik den Wind aus den Segeln.

Stimmann ist vorzuhalten, dass er das Konzept der „kritischen Rekonstruktion“ (den Begriff hat er der IBA der achtziger Jahre entlehnt) immer weniger kritisch und immer mehr doktrinär verfolgt hat. Regelrecht zur Marotte verkommen ist es dort, wo der Städtebau der Moderne ein ganzes Ensemble bildet wie am Kulturforum oder am Ernst-Reuter-Platz. Man kann zu diesen Stadtkonzepten stehen wie man will - die „gegliederte und aufgelockerte Stadt“ ist an diesen Orten nolens volens Realität. Hier durch „Zumiezeln“ verlorene historische Straßenverläufe wiedererstehen zu lassen (wie er es am Ernst-Reuter-Platz durch den – glücklicherweise verhinderten – Abriss des Instituts für Bergbau und Hüttenwesen vorhatte), grenzt ans unfreiwillig Komische.

Stimmanns wohl größte Leistung war es, in den frühen neunziger Jahren (zusammen mit seiner damaligen Mitstreiterin Ulla Luther) massenweise größenwahnsinnige und architektonisch erbärmliche Investoren-Bauvorhaben abgewehrt zu haben. Heute gibt es diese Bedrohung nicht mehr, damit könnte das Amt auch nach Stimmanns Pensionierung aufgelöst werden – worüber auch vielfach spekuliert wurde.
Doch Stimmann wird einen Nachfolger haben; die entsprechende Wowereit-Aussage auf der Verabschiedungsfeier war die Nachricht des Tages. Zu hoffen ist, dass eine Persönlichkeit folgt, die ihre Leitbilder nicht ausschließlich aus dem 19. Jahrhundert schöpft. Es muss ja nicht gleich, wie bereits gescherzt wurde, Mr. Shrinking City, Phillipp Oswalt, sein. Obwohl – der Gedanke hat was...

Benedikt Hotze


Zu den Baunetz Architekt*innen:

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