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10.12.2020

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Bücher auf die Dörfer!

Privater Buchladen im Süden Chinas


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Einen guten Buchladen in der Stadt zu finden ist heutzutage schon schwer – aber um wie viel glücklicher kann man sich schätzen, auf dem Dorf noch einen gut sortierten Laden zu finden? Und erst recht im Dorf Xiadi, einem Weiler im Norden der ostchinesischen Provinz Fujian, versteckt im bergigen, waldigen Nirgendwo zwischen den Städten Pingnan und Nanping. Am nördlichen Rand von Xiadi, wo die Reisterrassen beginnen, stand seit Jahren ein Haus leer, oder besser: drei dicke Lehmwände, die im Reisfeld stehen geblieben waren. Bis der Geschäftsmann Qian Xiaohua darauf aufmerksam wurde, den man wohl zurecht als Büchernarren bezeichnen darf.

Seinen ersten Buchladen öffnete er 1996 in Nanjing auf nur 17 Quadratmetern, seiner Liebe zur französischen Literatur wegen nannte er ihn „Librarie Avant-Garde“. Niemand hätte diesem kleinen Buchladen wohl eine große Zukunft vorausgesagt, aber 2004 bot sich Qian die Chance, ein ehemaliges Parkhaus unter dem Wutaishan-Stadion nahe der Universität zu kaufen. Qian verwandelte die 4.000 unterirdischen Quadratmeter in eine Buchhandlung, die von CNN zur schönsten Buchhandlung Chinas erklärt und von der BBC sogar zu den zehn besten Buchhandlungen der Welt gezählt wurde. Inzwischen gibt es 11 Filialen in größeren Städten – und seit wenigen Jahren hat Qian begonnen, auch in kleine Buchläden in abgelegenen Dörfern zu investieren. So nun auch in Xiadi.

Qian sucht sich dabei gerne leerstehende oder verfallene Häuser, denn er sieht seine Ladenprojekte auch als Pioniere einer neuen Wertschätzung für alte Bauten. Und er arbeitet gerne mit jungen, chinesischen Architekturbüros zusammen. Für das Projekt in Xiadi fiel seine Wahl auf Trace Architecture Office aus Peking, die sich seit ihrer Gründung 2009 mit sensiblen, kontextbezogenen Projekten in ländlichen Regionen einen Namen gemacht haben. Dieses Gespann hat in Xiadi offenbar gepasst: Die Architekt*innen haben die wenigen Reste des Lehmbaus ertüchtigt und bewahrt, darin einen kompromisslos modernen Neubau aus Stahl, Beton und Holz eingefügt: Der „Xiadi Paddy Field Bookstore of Librairie Avant-Garde“.

Man betritt den kleinen Laden mit dem langen Namen über den alten Hof von Osten. Hinter der schlichten Holztüre findet man sich in einem engen, dunklen Eingang vor einer Treppe aus Beton. Alle Betonoberflächen wurden aus Ortbeton in eine raue Holzschalung aus lokalen Kiefern gegossen. So ergibt sich eine grobe Oberfläche, die denen der verwitterten Außenwände aus Lehm ähnelt. Die meisten Innenräume erhalten nur Licht von oben; entweder durch die Oberlichter entlang der Außenwände, die die Lehmwände in senkrechtem Tageslicht zusätzlich inszenieren, oder durch einen zentralen Lichtschacht. Hier steht im Zentrum des Grundrisses eine kräftige Stütze aus dunklem Stahl, die durch alle Etagen hindurch führt und über der neuen Dachterrasse ein kleines Dach wie einen Regenschirm in die Höhe hält.
 
Von außen bleibt dieser ganze Neubau fast völlig unsichtbar. Nur an der Westseite tritt eine Betonplatte hervor und öffnet das Café mit raumhohen Glaswänden an drei Seiten zur Landschaft. Neben dem Buchladen gibt es auch einen Ausstellungsbereich im Erdgeschoss und einen zentralen Raum, den die Architekt*innen als „Theaterbühne“ bezeichnen. Zur einen Seite türmen sich fünf bücherbestückte Sitzstufen, auf der anderen Seite eine Art kleine Bühne aus demselben Holz. Hier sollen Veranstaltungen stattfinden, von Lesungen bis zu Dorfversammlungen. Wie sich diese Buchläden in der tiefsten Provinz Chinas finanziell tragen, das verrät Qian Xiaohua übrigens nicht. Lieber spricht er über den Zugang zu guten Büchern, den er auf die Dörfer bringen möchte. Aber die nächsten zwei Projekte seien bereits in der Planung. (fh)

Fotos: Hao Chen, Yuxing Zhuo




Zum Thema:

Mehr zum Thema Buchhäuser, Bibliotheken und Buchläden in China in der BAUNETZWOCHE#566 „Bühnen für Bücher“, die am 5. November 2020 erschienen ist.


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Kommentare

8

D.teil | 18.12.2020 17:36 Uhr

Doll

Toll. Tolles Projekt aus China und keineswegs überraschend, die Mentalität der Chinesen- der Kultur- an sich: 1:1 umgesetzt, weil: der Chinese ist neugierig. Denkt erst mal mit Nichten an Normen. Erst mal nicht. Dadurch kann erst Kreativität richtig raus kommen. Und sie wird auch immer zwischenzeitlich gefördert. Gerade auch durch den Auftraggeber

7

slate | 11.12.2020 11:32 Uhr

kleine Bitte

Lassen wir doch BITTE diesen ewig gleichen Verweis auf //China kann mehr, trotz oder wegen oder durch Diktatur oder auch mit/oder ohne Menschenwürde....// Ich kann es ebenso wenig mehr hören wie die Verkleidung von Binsenweisheiten in Pseudo-Poesie. Werdet doch mal erwachsen, Leute.

6

Reinhard04 | 11.12.2020 11:12 Uhr

@tiffys

vielen Dank für Ihren Kommentar.

technokratische Reduktion von Architektur auf Gestaltung und Baukonstruktion - Albert Speer würde sich freuen..

5

STPH | 11.12.2020 08:07 Uhr

...

Die chinesischen Architekten sind wohl ihrer Bürokratie und deren lähmendem Vorschriftendschungel enteilt, wie wir damals in der Nachkriegszeit und Spanien und Portugal nach der Diktatur.

Glückliche Zeiten für kreative Architekten.

4

claus | 10.12.2020 23:31 Uhr

erhabener schrein des buchkaufs

das projekt wirkt etwas, wie ein museum in dem der akt des bücher kaufens ausgesetellt wird. erst mal eigenartig, aber vielleicht auch eine kunst, die in zeiten der amazonkonjunktur verloren zu gehen droht. tolle haltung zum alten wie zum neuen, wie auch zu raum und zum buch.

mäzenatenarchitektur? sicher! aber warum nicht? thalia könnte auch mal wieder respekt vor buch bekommen, statt die welt mit katzenkalendern und malbüchern zuzumüllen...

im grunde selbes thema wie letzte woche in gaobu, wenn auch etwas erhabener, aber nicht schlechter. danke liebes baunetz fürs graben und finden!

3

tiffys | 10.12.2020 22:22 Uhr

letzte tscheinareise:

wow! dem baunetz zu uigur-teilen, müssen in ganz china überall und zahlreich an romatischen plätzen bücherläden und bibliotheken stehen - eine wissensnation, humanistisch, friedlebend, naturverbunden, toll!

2

Bücherwurm | 10.12.2020 16:55 Uhr

Wundervoll

Das Projekt wirkt wie aus einem wundervollen Märchenbuch indem alle Hektik und Abhängigkeit fehlt. Unbeschwert und idyllisch. Es entspannt schon beim Blick auf die Fotos.

Das Dorf scheint sehr belesen zu sein, wenn es sich lohnt in so einer Abgeschiedenheit einen Buchladen zu führen.

1

alexander | 10.12.2020 15:57 Uhr

wie wohltuend

...ein so klenes feines gebäude, aus dem land der konkurrierenden himmelsstürmer!

hut ab vor dem unternehmer, der auch in dörfliche strukturen investiert...!

 
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Der „Xiadi Paddy Field Bookstore of Librairie Avant-Garde“ von oben

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Am Dorfrand nutzt der Neubau drei alte Lehmwände.

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Nur nach Westen schiebt sich das neue Café aus dem Altbau heraus.

Nur nach Westen schiebt sich das neue Café aus dem Altbau heraus.

Buchladen, Café und Veranstaltungsort: Das „Theater“ im Inneren.

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