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07.07.2017

Adieu Brauhausberg!

Potsdams neues Freizeitbad erweist der Stadt einen schlechten Dienst


Ein Kommentar von Wolfgang Kil

Gleich nach der Eröffnung sah Potsdams Oberbürgermeister Anlass zu tröstenden Worten: „Irgendwann wird man das Bad von der Langen Brücke aus nicht mehr sehen.“ Das ist so ziemlich das brutalstmögliche Urteil, das einer derartigen Prestigeinvestition zuteilwerden kann. Nach fast zwanzig Jahren äußerst wechselvoller Vorgeschichte, nach zwei europaweiten Wettbewerben und einer Baukostenerhöhung, die sogar den Landesrechnungshof alarmierte, stehen die Bürger und Besucher der Havelstadt nun vor ihrem neuen Sport- und Freizeitbad und reiben sich die Augen. War hier nicht die „Anmutung einer Kunsthalle“ versprochen worden, eine Fassade voller „Klarheit, Leichtigkeit und Präsenz“? Heute, nach Abzug aller Kräne und Gerüste, bescheinigen Architekturkritiker „das antiurbane, seelenlose Erscheinungsbild eines Bau- oder Großmarktes“ – und auch im Inneren finden sie nichts als „langweilige Funktionalität“. Nach Aussage des Sprechers der Stadtwerke werde aber alles so bleiben, wie es ist. Keine Chance für Begrünung, Kunst oder zusätzliche Farben – „das Konzept der Architekten ist in jeder Hinsicht abschließend hergestellt“.

Nachdem im zweiten Wettbewerb 2013 der Entwurf der Berliner Filiale von gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner auserkoren worden war, hatte die Bauwelt vor drohender „Verwechselung mit beliebigen Stadthallen oder Multiplexen“ gewarnt. Doch wie sich nun herausstellt, wurden die Weichen zum jetzigen Desaster maßgeblich von der Jury gestellt, die sich mit aller Vehemenz zum Leitbild der „Europäischen Stadt“ bekannte. Urbane Kante wollte man zeigen, Baufluchten und Kubatur der Badeanlage sollten sich vorausgreifend an einer vage versprochenen Bebauung der nahen Speicherstadt orientieren.

Was dabei völlig aus dem Blick geriet, war die prägnante Landschaftlichkeit des gegebenen Ortes – der Brauhausberg. Dessen flach abfallende Flanke zu Füßen von Franz Schwechtens dunkel dräuender Neuen Kriegsschule aus dem Jahr 1900 bildete jahrzehntelang einen verschwenderischen Stadtbalkon mit Liegewiesen und Cityblick. Diese Gunst der Lage hatten die Planer zu DDR-Zeiten mit parkartigen Freitreppen, einem Terrassenlokal und einer Schwimmhalle weidlich zu nutzen gewusst. Weil der Ort so ansehnlich war, wünschten sich bei einer Befragung 65 Prozent der Potsdamer auch den neuen Badetempel genau hierher. Dass nach der absehbaren Großinvestition von der Hangwiese kaum etwas bleiben würde, weil deren höhere Lagen zwecks Finanzierung des neuen Sport- und Freizeitbades parzelliert, verkauft und mit Stadtvillen zugebaut würden, war den Brauhausberg-Freunden wohl nie richtig aufgefallen. Zumindest diese Frage hat sich ja jetzt auch erledigt, denn die ungefüge blassfarbene Kiste verstellt jeglichen Blick – sowohl hinüber ins Grüne als auch herab auf die Stadt.

Wie wichtig ist der Ort als Landschaft? Wie viel Grünraum wäre es wert gewesen, so überraschend nah am urbanen City-Getriebe erhalten zu werden, öffentlich gepflegt und begehbar für jedermann? Gilt etwa Brandenburgs Landeshauptstadt mit Freundschaftsinsel und Sanssouci-Park schon als freiraummäßig überversorgt? Auch wenn es bloß sarkastisch klingt: Hier möchte man noch einmal an den greisen Oscar Niemeyer erinnern, den die Stadtverordneten 2005 gebeten hatten, für ihr Havel-Arkadien ein Wasserlust- und Wellnessparadies zu entwerfen. Ein Highlight seines Oeuvres wäre es vielleicht nicht mehr geworden, aber für jenen sanften Hang vis-a-vis des nachgemachten Schlosses hatte er mit seinen schwungvoll skizzierten Pavillons eindeutig mehr Gespür bewiesen. Und der nun zum Abriss bestimmten Hängedachschale von Karl-Heinz Birkholz aus den frühen Siebzigerjahren, unter der man beim Planschen weite Blicke über Potsdams Skyline schweifen lassen konnte, bleibt als Adieu bloß noch ein Stoßseufzer: Natürlich war früher nicht alles besser. Aber manches war einfach gut. Hätte man bloß biss’l genauer hingeschaut. Und dann einfach die Finger davon gelassen.


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Die alte Schwimmhalle öffnete sich zum Freiraum.

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