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01.02.2019

Buchtipp: DDR-Städtebau

Planungen zur sozialistischen Umgestaltung Thüringer Städte


Rekonstruktion – fällt dieser Begriff heute im Zusammenhang mit Architektur, so denken die meisten an den Wiederaufbau des Berliner Schlosses oder die neue Altstadt in Frankfurt am Main. In der DDR stand Rekonstruktion von der Nachkriegszeit bis in die späten 1970er-Jahre für etwas sehr anderes als die Neuerrichtung zerstörter Gebäude, nämlich für die sozialistische Umgestaltung der Stadt, ihr Neu-Konstruieren im Dienste einer neuen Gesellschaft. So verkündete 1970 die Stadtplanungsgruppe Weimar, Rekonstruktion bedeute, „die unter den Verhältnissen des Privateigentums an Grund und Boden gewachsene Stadt funktionell und gestalterisch (…) neu zu profilieren.“ Architektur galt als Teil der sozialistischen Planwirtschaft, ihr ästhetischer Ausdruck war den Produktionsbedingungen in der DDR anzupassen.
 
Mit „Utopie und Realität. Planungen zur sozialistischen Umgestaltung der Thüringer Städte Weimar, Erfurt, Suhl und Oberhof“ legt der Bauhaus-Universitätsverlag in Weimar eine Dokumentation über die städtebauliche Umgestaltung der vier Städte vor. Jede war auf ihre Art vom Rekonstruktionswillen der DDR-Regierung erfasst worden. Herausgegeben von Hans-Rudolf Meier vom Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Planung an der Bauhaus-Universität, zeichnen die vier Studien ein komplexes Bild des sozialistischen Städtebaus nach. Sie stellen die utopischen Planungen in Weimar und Erfurt und ihr Scheitern an realen Umständen dar. Sie zeigen aber auch visionäre Realisierungen wie in Suhl und Oberhof. Kritisch dokumentieren die Autoren die verschiedenen Abrissplanungen, etwa in den Altstädten von Erfurt und Weimar, würdigend begleiten sie die Entstehung eines neuen Innenstadt-Ensembles in Suhl und der Ferienanlagen im Ski-Ort Oberhof.
 
Sehr genau legen die Autoren Simon Scheithauer und Mark Escherich die verschiedenen Wettbewerbe und Planungen für die beiden Städte Erfurt und Weimar dar, von denen nur wenig realisiert wurde. Das lag auch daran, dass die örtlichen Entscheidungsträger die Bestrebungen der Zentralregierung nicht mittrugen. Im Weimarer Jakobsviertel etwa sollen die von der Planwirtschaft bereitgestellten Typenbautem einfach nicht in die historische Straßenstruktur gepasst haben, was schließlich auch die Abrissplanungen stagnieren ließ. Spannend sind auch mittlerweile vergessene Projekte wie etwa die utopischen Planungen für eine Stadtkrone in Erfurt, die die Autoren aus den Archiven hervorgeholt haben: ein hoher Turm, der den gotischen Dom hätte überragen sollen. Sowohl in Erfurt als auch Weimar blieb die Innenstadt letztlich weitestgehend unberührt. Die Baumaßnahmen fanden vor allem als typisierter Wohnungsbau in der Peripherie statt.



Die Erhebung des Städtchens Suhl zur Bezirksstadt wiederum machte seine Umgestaltung zur Priorität in den 1960er-Jahren. Hier fand – wie Autor Jens-Christoph Nehring den Bezirksarchitekten Otfried Triebel zitiert – eine „echte Rekonstruktionsmaßnahme“ statt. Nach repräsentativen Maßstäben legte man in Suhl ein weiträumiges Ensemble mit Kulturpalast, Centrum Warenhaus und locker gereihten Wohnhochhäusern an. Heute ist Suhl von einem starken Einwohnerschwund gezeichnet, die einstigen Bauten sind abgerissen oder überformt. Ein Schicksal, das gemäß Daniela Spiegel auch den Anlagen in Oberhof widerfuhr, wo die Regierung einen Ferienort mit Großgaststätten, Kurpark und Ferienheimen errichtete.

Suhl und Oberhof sind Nebenschauplätze des DDR-Städtebaus, der heute vor allem durch Großmaßnahmen in Dresden oder Rostock ins allgemeine Bewusstsein gerückt ist. Nach langen Jahren der Ablehnung erfährt die Baukultur der DDR momentan eine neue Würdigung – man denke etwa an die kürzlich prämierte Modernisierung des Dresdner Kulturpalasts – zu der dieser Band wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse beiträgt. Er wirft einen differenzierten Blick auf vier Städte, die in der notwendigen Aufarbeitung der DDR-Architektur bislang wenig Beachtung finden.

Text: Sophie Jung

Utopie und Realität. Planungen zur sozialistischen Umgestaltung der Thüringer Städte Weimar, Erfurt, Suhl und Oberhof

Hans-Rudolf Meier (Hg.)


244 Seiten
Bauhaus-Universitätsverlag, Weimar 2017
ISBN 978-3-95773-244-6
34 Euro


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Buchcover mit Abbildungen der Umbauplanungen für die vier Städte Weimar (links oben), Erfurt (rechts oben), Suhl (links unten) und Oberhof (links unten)

Buchcover mit Abbildungen der Umbauplanungen für die vier Städte Weimar (links oben), Erfurt (rechts oben), Suhl (links unten) und Oberhof (links unten)


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