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19.08.2019

Kein Waffenschmuck für Potsdam

Petition zur Rekonstruktion der Garnisonkirche


Der Streit um die Rekonstruktion der Garnisonkirche in Potsdam geht in die nächste Runde. Während der Turm des 1730–35 von Philipp Gerlach errichteten Gebäudes schon seit 2017 wiederaufgebaut wird, wächst der Widerstand gegen das Projekt weiter. Dass sich das Phänomen Rekonstruktion nicht verallgemeinern lässt, sondern immer am konkreten Baudenkmal und seiner Geschichte verhandelt werden muss, betont der Architekturtheoretiker und -historiker Philipp Oswalt, der gerade eine Petition gestartet hat: „Selbst wenn man sonst für Rekonstruktionen ist, ist dieses Projekt aufgrund seiner rechten Geschichte ein Tabubruch. Es zieht sich hier leider eine Linie vom preußischen Militärwesen über den Rechtsradikalismus in der Weimarer Republik, den Nationalsozialismus bis hin zum neuen Rechtsradikalismus. Auch das heutige Wiederaufbauprojekt hat – anders als die Frankfurter Altstadt – seinen Ursprung in rechtsradikalen Kreisen.“

Dennoch will der Bund seine Finanzierungsbeteiligung von bisher 12 Millionen Euro im Herbst sogar noch auf 18 Millionen Euro erhöhen. In „großer Sorge“ richten sich nun über 100 namhafte Künstler*innen, Architekt*innen, Denkmalpfleger*innen, Wissenschaftler*innen, Kirchenvertreter*innen, Kulturschaffende und zivilgesellschaftlich Engagierte als Erstunterzeichner*innen in einem offenen Brief an die Regierungsverantwortlichen und verbinden diesen mit einer Petition. Es geht ihnen nicht um den Stopp des schon begonnenen Wiederaufbaus, sondern um drei konkrete, dezidiert auf einen Kompromiss hin ausgelegte Forderungen:

  • Abriss des 1991 von der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel
    e. V. in Potsdam errichteten und der Stadt geschenkten Nachbaus des Glockenspiels der Garnisonkirche mit ihren revisionistischen, rechtsradikalen und militaristischen Inschriften.

  • Ein Verzicht auf die Nachbildung jeglichen Waffenschmucks bei der Rekonstruktion des Gebäudes, um symbolischen Abstand zu schaffen zu einem Identifikationsort des preußischen Militarismus, des Rechtsradikalismus der Weimarer Zeit und des Nationalsozialismus.

  • Eine veränderte Trägerschaft des Projektes, welche nicht die Einheit von Kirche, Staat und Militär wiederbelebt. Anstelle der Repräsentanten aus Politik und Militär sollen zivilgesellschaftliche Initiativen treten, die sich für Menschenrechte und gegen Militarismus und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einsetzen.


Konkret müssten etwa Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen, Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, Ohne Rüstung Leben oder die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner aktiv miteinbezogen werden. Andernfalls bleibe das Nutzungskonzept als Versöhnungszentrum und Lernort der deutschen Geschichte eine leere Phrase und diene der Stiftung Garnisonkirche lediglich als Vorwand für die formale Wiederauferstehung der Kirche. Und das, obwohl die kontinuierliche Vereinnahmung der Kirche von rechts außen historisch inzwischen umfänglich aufgearbeitet ist (u. a. in Matthias Grünzig: „Für Deutschtum und Vaterland. Die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert“, Berlin 2017).

Wie einseitig das Streben nach Erinnerung sein kann, zeigt sich im Übrigen auch am unweit gelegenen Alten Markt in Potsdam, wo 2017–18 das in den 1970er Jahren errichtete ehemalige FH-Gebäude abgerissen wurde. Die Diskussion um den Erhalt der DDR-Moderne und die Umgestaltung der Potsdamer Innenstadt will das Filmprojekt „Schrott oder Chance“ zusammenfassen, für das derzeit eine Crowdfunding-Kampagne läuft. (stu)


Zum Thema:

Petition und offener Brief Wiederaufbau Garnisonkirche Potsdam: Bruch statt Kontinuität – Notwendig ist ein Lernort anstelle eines Identifikationsorts auf change.org


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Garnisonkirche um 1827, Gemälde von Carl Hasenpflug.

Garnisonkirche um 1827, Gemälde von Carl Hasenpflug.

Hitler bei seiner Rede in der Garnisonkirche am sogenannten „Tag von Potsdam“. Foto: Bundesarchiv, Bild 102-16093 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0

Hitler bei seiner Rede in der Garnisonkirche am sogenannten „Tag von Potsdam“. Foto: Bundesarchiv, Bild 102-16093 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0


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